Analyse Wende für den WDR

Düsseldorf · In letzter Minute haben sich die Fraktionen von SPD und Grünen doch noch darauf geeinigt, die Werbezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stufenweise zu beschränken. Im Koalitionsvertrag klang das noch anders.

In den vergangenen Tagen hat WDR-Intendant Tom Buhrow noch einmal alle Register gezogen. Mit einem persönlichen Schreiben an die Landtagsabgeordneten versuchte er in letzter Minute, allzu großes Ungemach vom WDR abzuwenden. Und er drohte dabei der Politik für den Fall, dass im neuen WDR-Gesetz die Rundfunk-Werbezeiten beschnitten würden: "Ich wäre gezwungen, sofort Notmaßnahmen zu ergreifen", schrieb der Chef des zweitgrößten Fernsehsenders Europas.

Nun sieht es so aus, als wären Buhrows Bemühungen fast umsonst gewesen. Wenn alles nach Plan läuft, wird der Landtag heute zumindest mit der Regierungsmehrheit von SPD und Grünen beschließen, dass der WDR von 2017 an die Werbezeit auf zwei seiner Radiowellen von jetzt 90 Minuten auf täglich 75 Minuten senken muss. In einem weiteren Schritt soll dieser Anteil dann von 2019 an auf 60 Minuten auf einer Welle reduziert werden. Die Fernsehwerbung ist nicht betroffen.

Die Wende kam gestern überraschend. Noch am vergangenen Donnerstag hatten sich die Fraktionen von SPD und Grünen in einer Sitzung des Medien- und Kulturausschusses darauf geeinigt, die Werbezeiten unangetastet zu lassen. Doch in den zurückliegenden Tagen seien noch einmal intensive Gespräche mit Beteiligten und Betroffenen geführt worden, auch mit dem WDR, hieß es in Düsseldorf. Dabei sei deutlich geworden, dass private Hörfunksender im Wettbewerb um Werbeeinnahmen so stark unter der übermächtigen Konkurrenz des WDR zu leiden hätten, dass ihre Situation wirtschaftlich sehr angespannt sei. Gefährdet seien rund 1000 feste Redakteursstellen im privaten Lokalfunk in Nordrhein-Westfalen. Die Rheinische Post Mediengruppe ist selbst an Lokalradiostationen und dem Mantelprogrammanbieter Radio NRW beteiligt.

Die Landesanstalt für Medien (LfM) in NRW begrüßte den Verzicht auf einen Teil der Werbezeit. "Im Sinne des Lokalfunks hatten wir für einen solchen Einstieg in den Ausstieg plädiert", sagt LfM-Direktor Jürgen Brautmeier. Die Lokalradios dürften zufrieden sein. Ihr Verband hatte gar nicht gefordert, dass der WDR auf Werbung komplett verzichten soll. Ihnen reicht es, wenn der WDR sich wie nun vorgesehen nach dem Vorbild des NDR auf 60 statt heute 90 Minuten beschränkt.

SPD und Grüne werteten die Novelle in einer gemeinsamen Mitteilung ebenfalls als "Einstieg in den Ausstieg aus der Werbung". Davon allerdings ist das neue WDR-Gesetz weit entfernt. Von einem völligen Verzicht auf Werbung ist in dem neuen Entwurf keine Rede, auch perspektivisch nicht.

Die SPD gibt damit bis auf Weiteres ein Ziel auf, das NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann noch vor knapp vier Monaten sehr selbstbewusst vorgetragen hatte. "Die Landesregierung verfolgt den stufenweisen Ausstieg aus Werbung und Sponsoring für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil sie davon überzeugt ist, dass mit der Umstellung auf die Haushaltsabgabe eine sichere Finanzierungsgrundlage inklusive Entwicklungsgarantie gewährleistet ist", sagte Eumann damals unserer Redaktion in einem Interview. Die Tage von Werbung im öffentlich-rechtlichen Programm seien gezählt. Sogar im Koalitionsvertrag hatte Rot-Grün diesen Einstieg in den Ausstieg aus der Werbung verankert. Um dieses Ziel jetzt noch zu erreichen, bliebe noch der Weg über eine bundeseinheitliche Regelung, die eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrages bedeuten würde. Das allerdings wäre deutlich schwieriger umzusetzen als eine Gesetzesnovelle, die auf den WDR und Nordrhein-Westfalen beschränkt ist.

Schon auf Landesebene hatte sich die rot-grüne Regierung mit der Änderung des WDR-Gesetzes schwer getan. Ein Alleingang gegen die Stimmen von CDU und FDP war eigentlich nicht vorgesehen. Bis zum Schluss habe insbesondere die SPD versucht, einen breiten Konsens zu finden und die CDU mit ins Boot zu holen, berichten Beteiligte.

Dabei müssten die Folgen der Gesetzesnovelle für den WDR eigentlich zu verkraften sein. Gleichwohl drohte Buhrow den Abgeordneten in seinem Brief: "Kämen weitere Kürzungen hinzu, würden die Maßnahmen eine neue Qualität erreichen, sämtliche Bereiche stünden zur Disposition - als direkte Folge der Werbebeschränkungen im WDR-Gesetz." Entsprechend verärgert fiel Buhrows Reaktion gestern aus: "Die geplante Werbereduzierung im Rahmen des WDR-Gesetzes würde einseitig den WDR belasten und damit auch Nordrhein-Westfalen schaden." Die Einbußen müssten durch entsprechende Kürzungen ausgeglichen werden. "Die Konsequenzen wären für die Medienpräsenz in unserem Bundesland bitter", meint der WDR-Chef.

Tatsächlich aber macht die gesamte Werbung nur rund 2,3 Prozent der Einnahmen des Senders aus, in Zahlen sind das knapp 32 Millionen Euro. Sollte das Gesetz heute wie geplant den Landtag passieren, würde dem WDR nach Schätzung von Medienpolitikern nur rund ein Prozent seiner Einnahmen verloren gehen. Zum Vergleich: Die Gebühren aus dem Rundfunkbeitrag, die dem öffentlich-rechtlichen Sender zustehen, brachten 2015 knapp 1,2 Milliarden Euro an Einnahmen.

Doch das ist noch nicht alles, was an Veränderungen auf den Sender zukommt. Die Gesetzesnovelle sieht auch mehr Kompetenz für den Rundfunkrat vor, damit Millionengagen wie für Thomas Gottschalk künftig nicht mehr an dem Gremium vorbei vergeben werden können. Zudem soll der staatliche Einfluss dadurch sinken, dass mehr unabhängige Vertreter in den Rundfunkrat entsandt werden. In einer Hinsicht aber bleibt alles beim Alten: Den Internetauftritt klammert das Gesetz aus. Dort kann der gebührenfinanzierte Sender den privaten Anbietern weiterhin Konkurrenz machen - und werben.

(RP)
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