Analyse Wer kann den IS-Terror noch stoppen?

Berlin · Die Islamisten wollen in Syrien nach dem weltberühmten Ensemble in Palmyra weitere einzigartige Tempelstätten zerstören. Nun wächst der Druck auf Deutschland, sich an Militärschlägen zu beteiligen - auch mit Blick auf ein Ende der Gewalt als Ursache für die Fluchtbewegung.

Viele Tausend Luftangriffe haben die Kampfjets der Anti-IS-Koalition schon geflogen. Doch die Erfolgsmeldungen über eine angebliche Schwächung des "Islamischen Staats" (IS) klingen nach knapp 13 Monaten der Bombardierungen eher wie Pfeifen im Wald. Die IS-Propaganda mit Videos abscheulichster Verbrechen an Menschen hat nun auch neues Bildmaterial von der barbarischen Zerstörung des weltberühmten Baal-Tempels in Syrien. Die technisch hoch überlegene Militärallianz konnte auch den seit Mai absehbaren Kulturterror nicht verhindern.

Nun werden Rufe nach einer massiven Ausweitung des Militär-Engagements gegen den IS laut. Dabei rückt auch die bislang an den Attacken unbeteiligte Bundeswehr in den Blick. Denn immer mehr wird der Zusammenhang zwischen der kaum noch zu bewältigenden Fluchtbewegung von Syrien nach Europa und dem Blutvergießen in Syrien und im Irak als Fluchtursache deutlich. Tausende junger Menschen haben sich fasziniert von der ungezügelten Brutalität von Europa aus auf den Weg in den Dschihad gemacht. Nun kommen Hunderttausende Flüchtlinge in die Heimatländer dieser Gotteskrieger, um der tödlichen Bedrohung zu entrinnen.

"Viel ernstere Handlungen gegen den IS" fordert Bulgariens Außenminister Daniel Mitow im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskatastrophe. Beim nächsten EU-Rat werde sein Land die Initiative ergreifen und auf die Nato verweisen. Schon zuvor hatte auch die australische Außenministerin Julie Bishop indirekt ein militärisches Eingreifen Deutschlands verlangt. Ihr Appell, dass neben Australien auch "die Europäer" in die Koalition der kämpfenden Staaten eintreten müssten, war auf Deutschland als wichtige europäische Führungsnation gemünzt worden, da Briten und Franzosen bereits an den Einsätzen mitwirken.

Doch deutsche Politiker weisen dieses Ansinnen zurück: "Der Ruf nach Luftschlägen scheint mir ein Zeichen der Hilflosigkeit zu sein", stellt SPD-Außenexperte Niels Annen im Gespräch mit unserer Zeitung fest. Es mangele der Anti-IS-Koalition nicht an Flugzeugen, sondern an einer kohärenten, mit den Nachbarstaaten abgestimmten Strategie. Ein gemeinsames Vorgehen von Türkei, Golfmonarchien, Iran, Russland und den USA seit bisher nicht erreicht worden. "Deutschland ist im Kampf gegen den IS unverändert engagiert, sowohl politisch als auch durch militärische Ausbildung und Ausstattungshilfen", so Annen. Ratschläge aus Australien seien nicht nötig.

Seit dem Wochenende ist die Türkei in die unter US-Führung stehende Koordination der Luftangriffe gegen IS-Stellungen in Syrien und im Irak integriert. Zuvor hatte Ankara nur einzelne eigene Einsätze gegen die IS geflogen und sich auf die Bekämpfung kurdischer Ziele konzentriert. Die USA kritisieren weiterhin die mangelnde türkische Grenzsicherung, wodurch der IS Nachschub und medizinische Versorgung über die Türkei organisieren kann. Für Ankara hatte das Vorgehen gegen die kurdische PKK, ihre syrischen Verbündeten und das syrische Assad-Regime lange Zeit Vorrang vor einer Bekämpfung des IS.

Dabei erscheint das Gegenteil mehr Erfolg zu versprechen. Wenn dem IS im Irak und in Syrien erobertes Terrain wieder abgetrotzt werden konnte, dann geschah das nicht durch Bombardierungen aus der Luft, sondern durch kurdische Kämpfer in Bodenoffensiven. Deutschland unterstützt irakische Kurden durch Ausbildungshilfe sowie Waffen- und Munitionslieferungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief denn auch die Türkei zu einem Neustart des Aussöhnungsprozesses mit den Kurden auf.

Ein weiteres Problem sieht CDU-Außenexperte Jürgen Hardt: die Uneinigkeit des Weltsicherheitsrates. Die Zerstörung der bedeutenden Tempelanlage sei nicht nur ein Angriff auf das kulturelle Erbe der Menschheit, sondern auch ein Kriegsverbrechen. "Wäre eine Lösung im UN-Sicherheitsrat nicht seit Jahren blockiert, hätten wir zahlreiche Kriegsverbrechen gegen Menschen und die fortlaufende Zerstörung von Kulturgütern möglicherweise verhindern können", sagte Hardt unserer Zeitung.

Über die sozialen Netzwerke hatte der IS das Bild einer gewaltigen Explosionswolke aus Palmyra verbreitet. Die Vereinten Nationen bestätigten nach der Auswertung von Satellitenaufnahmen, dass die Ruinen des Baaltempels im syrischen Palmyra zerstört wurden. Das von Millionen von Touristen bewunderte Zeugnis aus römischer Zeit bildete den größten Komplex in dem Unesco-Weltkulturerbe. Zuvor hatte der IS bereits gemeldet, den ebenfalls rund 2000 Jahre alten Baal Schamin-Tempel gesprengt zu haben. IS-Anhänger kündigten an, weitere "Zeugnisse der Vielgötterei" vernichten zu wollen.

Mit jedem Tag festigt der IS in seinem "Kalifat" in großen Gebieten Syriens und des Irak seine Willkürherrschaft. Diese besteht einerseits aus sozialer Versorgung, andererseits aus der Ermordung von "Ungläubigen" und angeblichen Gegnern. Zu Tausenden wurden nach Opferberichten jesidische Mädchen und Frauen als Geiseln genommen, die den IS-Kriegern als Sexsklavinnen zu dienen haben und nach Preislisten "verkauft" werden.

(may-)
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