Debatte Wer zahlt für eine künstliche Befruchtung?

Berlin · Paare, die nicht auf natürlichem Weg Kinder bekommen können, müssen hohe Kosten tragen, bis die Frau schwanger ist. Paare ohne Trauschein bekommen keinerlei Zuschüsse von den Kassen. Ein Gericht bestätigte dies nun.

So funktioniert Social Freezing
Infos

So funktioniert Social Freezing

Infos
Foto: dpa, dk_cu

Oft weigern sich Krankenkassen, diese oder jene Leistung für ihre Versicherten zu finanzieren. In dem Fall, der gestern vor dem Bundessozialgericht entschieden wurde, wollte die betroffene Krankenkasse BKK VBU ein nicht-verheiratetes Paar bei der künstlichen Befruchtung finanziell unterstützen. Das Bundessozialgericht lehnte dies ab.

Vielmehr stützte das Gericht die Gesetzeslage und hob hervor, "die Ehe sei als rechtlich verfasste Paarbeziehung von Mann und Frau, in der gegenseitige Solidarität nicht nur faktisch gelebt wird, solange es gefällt, sondern rechtlich eingefordert werden kann". So habe der Gesetzgeber die Ehe als eine Lebensbasis für ein Kind ansehen dürfen, "die den Kindeswohlbelangen mehr Rechnung trägt als eine nichteheliche Partnerschaft". 2007 hatte auch schon das Bundesverfassungsgericht diese Praxis gebilligt.

Die Sozial-Richter betonten allerdings auch, dass eine Gesetzesänderung möglich sei, nach der dann auch unverheiratete Paare die Unterstützung der Kassen bei einer Fruchtbarkeitsbehandlung bekommen könnten. Das heißt, in Deutschland wird es bei der Praxis bleiben, dass die Kassen nur unter einer Reihe von Voraussetzungen eine künstliche Befruchtung anteilig finanzieren dürfen. Nach dem Gesetz übernehmen die Kassen für bis zu drei Versuche jeweils die Hälfte der Behandlungskosten. Je nach Methode und Aufwand der Behandlung liegen die Kosten zwischen 2000 und 6000 Euro pro Versuch.

Einige Krankenkassen übernehmen auch noch Kosten, die darüber hinaus gehen, allerdings eben nur für verheiratete Paare. Zudem haben die kinderarmen ostdeutschen Bundesländer und Niedersachsen zusätzliche Regelungen getroffen, durch die die Kinderwunsch-Patienten finanziell weiter entlastet werden. Die Zahl der ungewollt Kinderlosen ist mit geschätzt sechs Millionen hoch. Pro Jahr unterziehen sich rund 50 000 Frauen einer künstlichen Befruchtung, weil es auf natürlichem Weg nicht funktioniere. Die Ursache dafür liegt etwa zu gleichen Anteilen mal bei der Frau und mal beim Mann.Im Jahr 2012 kamen nach Angaben des Deutschen IVF-Registers 11 816 Kinder nach einer Fruchtbarkeitsbehandlung zur Welt. Zwischen 1997 und 2012 waren es demnach 202 381.

Seit den 80er Jahren haben sich die Zahlen sehr rasch entwickelt. Weltweit wurde das erste "Retortenbaby" 1978 geboren, in Deutschland 1982. Seitdem machte die Medizin viele Fortschritte, so dass immer mehr Paaren geholfen werden konnte.

Die Zahlen sind seit 2004 allerdings zurückgegangen: Bis 2003 übernahmen die Kassen die Kosten für bis zu vier Versuche in voller Höhe. Im Zuge einer Gesundheitsreform unter Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wurden mit Wirkung ab 2004 die hohen Eigenbeteiligungen geschaffen, um die Krankenkassen zu entlasten. Die Reform ging damals weitgehend geräuschlos über die Bühne, da unfruchtbare Paare nicht in Vereinen oder einer Lobby organisiert sind. Seit 2004 ist die künstliche Befruchtung also weitgehend den Wohlhabenden vorbehalten, sofern nicht das Heimat-Bundesland mit weiteren Kostenbeteiligungen einspringt.

Für die künstliche Befruchtung werden zunächst mit Hormonen die Eierstöcke stimuliert, so dass sie möglichst viele Eier in einem Zyklus produzieren. Durch einen ambulanten operativen Eingriff werden die Eier entnommen und dann im Reagenzglas mit den Spermien des Mannes befruchtet. Bis zu drei befruchtete Eier werden anschließend der Frau wieder eingesetzt. Die meisten Paare müssen diese Prozedur mehr als einmal durchlaufen, bevor sich tatsächlich eine Schwangerschaft einstellt.

Für die Paare ist diese Behandlung nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine große psychische Belastung. Für die Frauen ist sie zudem ein gesundheitliches Risiko.

Neben der Bedingung, dass die Kinderwunsch-Patienten verheiratet sein müssen, gibt es auch eine Altersbeschränkung: Der Mann darf höchstens 50 Jahre, die Frau höchstens 40 Jahre alt sein. Wer jünger als 25 Jahre ist, dem ist der Zugang zur künstlichen Befruchtung versperrt.

Das Urteil von gestern stieß in der großen Koalition auf gegensätzliche Reaktionen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, begrüßte die Entscheidung der Richter. "Ich denke, wir sollten bei der bisherigen Regelung bleiben. Eine künstliche Befruchtung ist ein starker Eingriff. Da ist es vor allem wichtig, dass ein Kind in eine gefestigte Elternbeziehung geboren wird", sagte Spahn unserer Zeitung. Das könne auch für unverheiratete Paare gelten, sei aber schwer nachzuvollziehen. Die Sozialdemokraten drängen hingegen auf eine Gesetzesänderung. "Ich finde das Urteil sehr bedauerlich. Es ist ein schlechtes Signal an alle Paare, die zwar unverheiratet sind, aber einen bisher noch unerfüllten Kinderwunsch hegen", sagte der stellvertretende Chef der SPD-Fraktion im Bundestag, Karl Lauterbach.

Die Entscheidung sei zudem nicht mehr zeitgemäß, weil immer mehr Paare und auch Eltern in Deutschland unverheiratet bleiben wollten, kritisierte der SPD-Gesundheitsexperte. "Ich appelliere daher an das Parlament als Legislative, die bisherige Gesetzeslage zu überdenken und zu ändern", sagte Lauterbach. Auch die sonst eher knauserigen Krankenkassen sind bereit, mehr Geld für die künstliche Befruchtung zu investieren. Die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, hatte im Frühjahr geäußert, die Zeit sei reif, auch Paare ohne Trauschein bei der künstlichen Befruchtung zu unterstützen.

(jd, qua)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort