Washington Wie Newtown Amerika verändert hat

Washington · Die US-Waffenlobby tritt nach dem Amoklauf an einer Grundschule in Newtown mit 27 Toten für einen bewaffneten Schutz von Schulen ein. In vielen Bundesstaaten gedachten die Amerikaner mit einer Schweigeminute der Opfer.

Charlton Heston steht überlebensgroß zwischen den gläsernen Schaukästen, eine Bronzefigur mit Lasso, Halstuch und Cowboyhut. So hat der Schauspieler 1968 in dem Western "Will Penny" ausgesehen. So soll der symbolische Held der Flintenlobby für alle Ewigkeit im Museum der National Rifle Association stehen, jener NRA, die Politiker mit Noten bewertet, je nachdem, wie energisch sie für das Bürgerrecht aufs Waffentragen kämpfen. Rings um Heston glitzert ein imposantes Arsenal in den Vitrinen, Remingtons und Brownings, Colts und Berettas, "amerikanische Klassiker" und "italienische Meister", wie Inschriften verkünden.

Nach dem Amoklauf von Newtown, bei dem der 20-jährige Adam Lanza 20 Grundschüler im Alter von sechs und sieben Jahren sowie sechs Erwachsene und schließlich sich selbst mit einem halbautomatischen Bushmaster-Schnellfeuergewehr tötete, wirkt dieser Kult um Waffen für eine wachsende Zahl von Amerikaner befremdlich. Sie demonstrierten gestern am Rande einer Schweigeminute für die Opfer von Newtown mit Transparenten, auf denen stand "NRA – Blut an den Händen" oder "NRA tötet unsere Kinder". Mit Glockengeläut gedachten in Newtown und vielen anderen Städten Amerikaner der Opfer des Massakers. 26 Glockenschläge erinnerten an die 20 Kinder und sechs Erwachsenen, die dem Blutbad zum Opfer gefallen waren.

David Keene, Hestons Nachfolger im Amt des NRA-Präsidenten, schlug gestern vergleichsweise leise Töne an, als er sich erstmals nach dem Blutbad von Newtown der Presse stellte. "Wie die meisten Amerikaner sind wir schockiert über das, was passierte", sagte der 67-Jährige, der in einer Familie überzeugter Demokraten aufwuchs, bevor er zu den Republikanern wechselte und 1980 Ronald Reagans Präsidentschaftskampagne in den Südstaaten managte.

Wayne La Pierre, Keenes Geschäftsführer, schaltete dagegen sofort um auf verbale Attacken. Die amerikanische Gesellschaft, wetterte er, lasse ihre verletzlichsten Mitglieder im Stich, ihre Kinder. Sie leiste sich Schulen, die für einen mental gestörten Angreifer leichte Ziele darstellten, in denen er "bei minimalem Risiko maximales Chaos" anrichten könne.

Banken und Gerichtsgebäude, Flughäfen und sogar Sportstadien würden mittlerweile von Bewaffneten bewacht, nur eben nicht die Schulen, sagte La Pierre und forderte sofortige Korrekturen. Ab Januar müssten überall Wachposten mit Pistolen an den Schulpforten stehen. Der nächste Adam Lanza, warnte er, plane bereits sein Verbrechen. "Wie viele Nachahmungstäter warten schon jetzt auf ihren Moment des Ruhms?"

Es war der bizarre Versuch, eine Woche nach dem Massaker aus der Defensive zu kommen. Unterbrochen wurde La Pierre von empörten Zwischenrufen und einem Demonstranten, der den Blick aufs Rednerpult sekundenlang mit einem blutroten Protestplakat versperrte.

Zunächst war die NRA in Deckung gegangen. Außer zwei nichtssagenden Sätzen hatte sie kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Kein Wunder, denn im Senat zu Washington dachten sogar einige ihrer verlässlichsten Verbündeten über Einschränkungen des Waffenverkaufs nach. Allen voran Joe Manchin, Mitglied der NRA auf Lebenszeit und von selbiger bedacht mit der Bestnote A – eine durchaus wichtige Empfehlung im konservativen Milieu West Virginias, das der Demokrat Manchin vertritt.

"Wir müssen uns überlegen, was für eine Gesellschaft wir sein wollen", sagte der Senator in einem Radiointerview. "Wir müssen uns fragen, wie wir jene beschützen, die unseren Schutz am nötigsten haben, unsere Babys, unsere Kinder." Was in Newtown geschah, habe er in seinen schlimmsten Alpträumen nicht für möglich gehalten. Es habe Amerika für immer verändert. In seiner Videobotschaft anlässlich der Schweigeminute berichtete Präsident Barack Obama von einer Welle der Zustimmung für eine Verschärfung des Waffenrechts.

Das Parlament Kaliforniens beschloss im Eilverfahren, dass in dem Pazifik-Staat niemand mehr Munition erwerben darf, der keine Lizenz dafür besitzt. In Camden bei Philadelphia, einer Stadt mit einer der höchsten Kriminalitätsraten der USA, stieß ein staatlich finanziertes Programm, Waffen zurückzukaufen, um sie sicher zu lagern, auf enormes Interesse. Allein am vergangenen Wochenende wurden dort 1137 Gewehre, Pistolen und Revolver eingesammelt, für Camden der Allzeitrekord bei einer solchen Aktion.

Die einflussreiche Investmentgesellschaft Cerberus wiederum entschloss sich zum Verkauf der Freedom Group, unter deren Dach die Bushmaster hergestellt wird. Ein Großanleger, der Rentenfonds kalifornischer Pädagogen, hatte Cerberus massiv unter Druck gesetzt.

(RP)
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