Analyse Wie Seehofer Söder schachmatt setzt

Berlin/München · Polternd lenkt Horst Seehofer den Blick der Öffentlichkeit auf den Obergrenze-Streit mit Kanzlerin Merkel. Doch hinter den Kulissen kommt er mit seinem innerparteilichen Söder-verhindern-Projekt voran.

Als CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt die Glocke zur Eröffnung der Winterklausur im ehemaligen Benediktinerkloster Seeon am Chiemsee läutet, weiß jeder Teilnehmer, dass sie das hier zum ersten und zum letzten Mal tut: Sie ist zwar mit ihrer Truppe vom traditionellen Wildbad Kreuth nach Seeon gewechselt, aber zur Bundestagswahl im Herbst hört sie auf. Schon jetzt schielt die Hälfte der CSU-Abgeordneten auf ihren Job, der als einflussreicher eingeschätzt wird als der eines Bundesministers. Entsprechend groß ist die Zahl potenzieller Bewerber. Ein Generationenwechsel steht an. Damit kommt auch die Nach-Seehofer-Ära in Sicht.

Weit im Rund umblicken müssen sich die Abgeordneten jedoch nicht, wenn sie sich Gedanken um die Person machen, die derzeit die größten Nachfolge-Chancen hat. Das macht die Sitzordnung klar. Hasselfeldt sitzt zu Seehofers Linken. Zu seiner Rechten sein aktueller Lieblingsbundesminister: Alexander Dobrindt. Es vergeht seit Jahren kein CSU-Parteitag, bei dem Seehofer Dobrindt nicht lobt. Mal als scheidender Generalsekretär dafür, dass er der CSU den Wahlsieg organisierte. Mal als Maut-Minister, der rechtzeitig zum CSU-Parteitag die Grundsatzeinigung mit der EU-Kommission über die Maut hinkriegt. Seehofers Lieblingsprojekt. Zuerst gegen Merkel, dann gegen die SPD, dann gegen die EU durchgesetzt. So gefällt Seehofer die Rolle der CSU. Dann belohnt er gerne.

Dobrindt hat nicht nur dem formellen Rang unter den Bundesministern nach die goldenen Schulterklappen der CSU-Kabinettsmitglieder. Seehofer hat ihn auch längst zum Koordinator der CSU-Politik in der Bundesregierung gemacht. Welches Projekt unbeanstandet durchgeht und welches erst einmal ausgebremst wird - Dobrindt organisiert den geschmeidigen Ablauf wie den wirksamen Widerstand. Sollte der Oberbayer in den nächsten Monaten keinen Bock schießen, wären viele verwundert, wenn er nicht Hasselfeldt-Nachfolger würde.

Oder mehr. Denn es wird noch ein weiterer Posten frei. Der des Parteichefs. Der nächste CSU-Vorsitzende soll nach dem Willen Seehofers am Kabinettstisch in Berlin Platz nehmen. Er selbst will es nicht sein, also liegt es nahe, dass der nächste Parteichef, der für die CSU die Bundespolitik als Bundesminister mitbestimmen soll, schon im Wahlkampf als neue Nummer eins auftritt. Dem Vernehmen nach meint es Seehofer damit so ernst, dass er schon eine Halle für einen Sonderparteitag reservieren ließ. Am 6. Mai wird die Landesliste aufgestellt. Es kann nun alles ganz schnell gehen.

Jahrelang schien es vor allem auf den bayerischen Finanzminister Markus Söder zuzulaufen. Seehofer versuchte dessen Vorwärtsdrängen zwar immer wieder zu stoppen, indem er ihm mal "Schmutzeleien", mal charakterliche Defizite vorwarf, mal politisch in die Schranken wies. Aber am Talent Söders kam auch er nicht vorbei. So sollte Söder nach Seehofers Kalkül durch eine aus Berlin geholte Vize-Ministerpräsidentin in Schach gehalten werden: Ilse Aigner. Doch Söder musste sich nicht einmal sehr anstrengen, seinen Abstand auf Aigner in der Beliebtheit und in der Wahrnehmung von Durchsetzungsfähigkeit auszubauen. Als Finanzminister gelang es Söder, immer mehr Landtagsabgeordnete gewogen zu machen. An dem Tag, an dem Seehofer seinen Abgang verkünden würde, hätte er seine Truppe zusammen.

Einem CSU-Politiker kann Söder in Sachen Beliebtheit und Kompetenzzuschreibung freilich nicht das Wasser reichen: Seehofer selbst. Und es machte ihm immer wieder sichtlich Freude, mit der Variante zu spielen, seinen für 2018 angekündigten Rücktritt doch wieder zurückzunehmen. Indem er nun die Trennung von Regierungs- und Parteiamt verfolgt, ist Seehofer in die entscheidende Phase des Söder-verhindern-Projektes eingetreten. Er bot Söder den Parteivorsitz sozusagen auf goldenem Tablett - ahnend, dass sich der schwer tun würde, seinen Bayern-Traum aufzugeben und nach Berlin auf unbekanntes Terrain zu wechseln. Schnell lehnte Söder ab - Parteifreunde nennen das einen schweren strategischen Fehler.

Dobrindt ist nicht der einzige, der statt Söder als CSU-Chef in Frage kommt. Unter den Anschlags- und Bedrohungsbedingungen des abgelaufenen Jahres hat sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann profiliert. Zudem wäre er geeignet, mit dem Gewicht eines Parteichefs die Obergrenze zuerst in den Koalitionsverhandlungen und dann als neuer Bundesinnenminister auch im Kabinett durchzusetzen.

Die Beliebtheit aller potenziellen Ministerpräsidentenkandidaten ist übersichtlich. Zuletzt war auch die Zustimmung zu Söder von 36 auf 28 Prozent gefallen. Aigner kommt auf 17 Prozent, Herrmann auf acht, Dobrindt und der in Europa einflussreiche CSU-Vize Manfred Weber auf jeweils ganze ein Prozent. Seehofer dagegen ist unumstritten. So gehen führende CSU-Mitglieder davon aus, dass der Nachfolger von Seehofer 2018 tatsächlich Seehofer heißen könnte. Und wenn er nicht mehr dauernd als CSU-Chef nach Berlin eilen und sich dort in den Koalitionsrunden die Nächte um die Ohren schlagen muss, sondern sich auf die Regierungsgeschäfte in Bayern konzentrieren kann, dürfte er sich weitere Jahre im Amt durchaus zutrauen. Erster Zug: Parteichef 2017 nicht Söder. Zweiter Zug: Ministerpräsident 2018 nicht Söder. Matt.

Aber Söder beherrscht das Strategiespiel ebenfalls. Noch hat er weder die Macht noch die Mittel, Seehofer wegzuschubsen. Aber er hat Zeit. Seehofer würde mit 69 Jahren als Ministerpräsidentenkandidat vor die bayerischen Wähler treten. Söder ist gerade 50 geworden.

(may-)
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