Gaziantep "Wir sind von aller Welt verlassen"

Gaziantep · Die Kommandeure der Freien Syrischen Armee wollen trotz militärischer Rückschläge nicht aufgeben. Nicht alle teilen ihre Zuversicht.

Das Hauptquartier der Freien Syrischen Armee (FSA) in der türkischen Stadt Gaziantep ist so gut versteckt, dass General Adeeb al Shaliaf selber Mühe hat, es zu finden. Durch den Hauseingang eines Bürogebäudes geht es eine Treppe hoch. Im dritten Stock macht al Shaliaf Halt und überlegt, wo er klingeln muss. Nach kurzem Zögern drückt er einen Knopf. Die Tür öffnet sich, und General Abdul Jabbar al Oquaidi öffnet.

Al Oquaidi ist der Chef des Militärrats der Rebellen in Aleppo, al Shaliaf befehligt die Polizei in der zweitgrößten Stadt Syriens. Wären die beiden nicht gläubige Muslime, stünde zu vermuten, dass sie Stärkeres brauchen als den Tee, der nun gereicht wird. Zwar hat sich die Lage an der Front mit der Feuerpause zunächst entspannt. Aber die Kämpfe können jederzeit erneut losbrechen. Al Oquaidi und al Shaliaf haben dennoch die Ruhe weg. Sie sagen, dass sie alles tun werden, damit der Waffenstillstand hält. Sie bezweifeln aber, dass sich die Gegenseite an die Abmachung halten wird. Aus ihrer Sicht wäre eine Fortsetzung der Schlacht um Aleppo alles andere als ausweglos. Die Lage in der Stadt sei gut, nur im Norden von Aleppo sei es schwieriger, sagt al Oquaidi. Was an einer Lage gut sein kann, in der die Gegner den Rebellen die einzige Versorgungslinie Richtung Türkei abgeschnitten haben, nachdem die russische Luftwaffe die Stadt monatelang bombardiert hat, erklärt der Kommandeur mit militärischer Nüchternheit. "Die Russen konnten nicht direkt an der Front bombardieren, weil sie sonst auch die Regimekämpfer getroffen hätten. Also hat uns das Bombardement nicht so beeinträchtigt." Von einer Belagerung der Rebellen in Aleppo könne keine Rede sein. "Wir werden die Stadt künftig vom Westen durch die Provinz Idlib versorgen", so al Oquaidi.

Ein Blick auf den Frontverlauf genügt, um zu wissen, dass die Versorgung Aleppos über Idlib durch Gebiete verlaufen würde, die entweder schon von der Kurdenmiliz YPG kontrolliert werden oder in denen ihre Verbände vorrücken. Kann so ein Plan funktionieren? Die YPG, sagt General al Shaliaf, sei eine russisch-iranische Schöpfung. "Die Amerikaner werden das erkennen und ihre Unterstützung einstellen. Sie wollen ja auch sicher die Türkei nicht als Alliierten verlieren."

Die FSA verlässt sich also auf die Annahme, dass ihre Gegner an Stärke verlieren, weil deren Allianzen bröckeln. Auf die Frage, welche Verbündeten die FSA noch habe, kommen vorsichtige Antworten. Mit der von der Saudi-Arabien angekündigten Militärhilfe rechnen die Kommandeure ebenso wenig wie mit einer raschen Intervention der Türken. Diese seien noch Freunde, betont al Shaliaf. Aber das "noch" fällt auf. Die Türken machten es den FSA-Kämpfern immer schwerer, aus Syrien heraus- und dann wieder hineinzukommen, bestätigt al Shaliaf. Die Zeiten, in denen die Türkei der Rückzugsraum der syrischen Rebellen war, scheinen vorbei zu sein.

Aber nichts schmerzt die Anführer der FSA in Aleppo so wie die Angriffe der Kurdenmiliz YPG im Norden der Stadt. Im vergangenen Jahr hatte General al Oquaidi seine Truppen nach Kobane geschickt, um den Kurden im Kampf gegen den Islamischen Staat beizustehen. Seine Soldaten starben neben den Kurden in dem verlustreichen Kampf Haus um Haus. "Wie nennt man jemanden, dem du zur Hilfe gekommen bist in schweren Zeiten, und der dir dann in den Rücken fällt?", fragt einer im Raum.

Die beiden FSA-Generäle versichern dennoch im Brustton der Überzeugung, dass der Kampf der FSA weitergehen werde, egal wie isoliert sie international dastehe. General al Oquaidi nennt Vietnam und Afghanistan als Beispiele für die mögliche Strategie der FSA. Ob der Plan einer langjährigen Zermürbung der Russen und des Assad-Regimes durch einen Partisanenkampf aufgehen kann, würde aber davon abhängen, ob sich in Syrien noch genügend Partisanen finden.

Abdul Faisal (Name geändert) räsoniert ein paar Kilometer entfernt von der Front über den französischen Widerstand gegen die Nazis. "Die Résistance hat sich auch Freie Armee genannt. Aber die Résistance hatte die Welt auf ihrer Seite", sagt Faisal. Der syrische Widerstand gegen Baschar al Assad werde jedoch scheitern, weil sich die regionalen und internationalen Mächte gegen die Revolution stemmten. "Wir sind von aller Welt verlassen", sagt Faisal. Der ehemalige Kämpfer ist zweimal desertiert. 2012 schloss sich der syrische Offizier in Homs der FSA an. 2015 hat er dann beschlossen, dass er sein Leben nicht riskieren will für eine Revolution, die aus seiner Sicht zum Scheitern verurteilt ist.

Angesprochen auf die Zuversicht der Generäle von Aleppo schnaubt er empört. Die FSA habe sich selbst in eine katastrophale Lage manövriert. Der ehemalige Kämpfer gibt den Rebellen einen hässlichen Namen: Söldner. "Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn wir Hilfe bekommen hätten, eine funktionierende Kommandostruktur aufzubauen für eine Armee, die wirklich für Syrien kämpft", sagt Abdul Faisal. Die ehrliche Unterstützung vom Westen, die Faisal sich so sehr gewünscht hätte, habe die FSA aber nie bekommen. Der Westen, sagt er, wolle gar keine Demokratie in Syrien. Sein Traum von der syrischen Résistance ist ausgeträumt.

(RP)
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