Hannelore Kraft im Interview "Wir wollen NRW nicht kaputtsparen"

Düsseldorf · Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) macht sich im Gespräch mit unserer Redaktion Sorgen um die künftige Energieversorgung und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

 Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft stand unserer Redaktion Rede und Antwort.

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft stand unserer Redaktion Rede und Antwort.

Foto: Bretz, Andreas

Frau Ministerpräsidentin, CDU-Oppositionsführer Karl-Josef Laumann geht als Staatssekretär nach Berlin. Werden Sie ihn vermissen?

Kraft Ja. Er war ein Abgeordneter mit Leib und Seele und hat sich immer engagiert für diejenigen eingesetzt, die es nicht so gut haben. Das hat mir imponiert.

Kann er etwas in Berlin für NRW bewirken?

Kraft Die alternde Gesellschaft ist eine der zentralen Herausforderungen der Politik. Als Sozialpolitiker und Fachmann für Pflegepolitik ist er da genau in der richtigen Funktion.

Jetzt führt Armin Laschet die NRW-CDU allein. Was unterscheidet die beiden?

Kraft Herr Laschet und Herr Laumann sind völlig unterschiedliche Typen. Ich kann aber sagen, dass ich mit Herrn Laschet im Bund in der Koalitionsarbeitsgruppe Energie gut zusammengearbeitet habe.

Ist die große Koalition im Bund ein Modell für NRW?

Kraft Nein. Wir haben hier in NRW eine gut funktionierende Koalition mit den Grünen.

Im Bundesrat könnte es leicht zu Konflikten zwischen Ländern und Bundesregierung kommen.

Kraft Ich vertrete als Koordinatorin der SPD-regierten Länder gemeinsame Interessen, und als Ministerpräsidentin habe ich NRW im Blick. Wir werden nicht immer mit der Bundesregierung übereinstimmen.

Was ist Ihnen wichtiger: die Interessen der Länder oder die Rücksichtnahme auf die SPD?

Kraft Ich bin in erster Linie Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Daraus ergibt sich alles andere.

Sie waren anfangs sehr skeptisch gegenüber der großen Koalition. Was hat Sie zur Umkehr bewogen?

Kraft Ja, das mit der Skepsis stimmt. Aber wir haben im NRW-Landesvorstand schon einen Tag nach der Wahl auch gesagt, dass man unter Demokraten reden muss.

... was noch nicht heißt, dass man eine Koalition schließt.

Kraft Es gab gegen Ende der Sondierungen auf der anderen Seite mehr Bewegung, als ich der Union zugetraut hätte. Und dann haben wir hart verhandelt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Ein sozialdemokratischer Koalitionsvertrag?

Kraft Wir haben uns massiv eingebracht. Es ist ein guter Koalitionsvertrag, mit dem deutliche Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger möglich sind. Er ist gut für unser Land.

Was passiert im neuen Jahr mit dem Parteiliebling Hannelore Kraft?

Kraft Ich bin ganz froh, wieder etwas mehr Ruhe zu haben und werde mich verstärkt um Nordrhein-Westfalen kümmern. Im Mai sind Kommunal- und Europawahlen, und da streben wir ein gutes Ergebnis an.

Worauf gründen Sie Ihre Zuversicht?

Kraft Wir haben die Städte, Gemeinden und Kreise immer als Partner auf Augenhöhe behandelt, und wir tun, was wir können, um die schwierige Haushaltslage in vielen Kommunen zu entschärfen. Die Kommunen wissen, dass die Landesregierung allein vier Milliarden Euro aus dem Landesetat für den Stärkungspakt für besonders notleidende Kommunen aufbringt. Wir gehen bei der Unterstützung an unsere finanzielle Schmerzgrenze.

Und wenn der Verfassungsgerichtshof im Jahr der Kommunalwahl den Kommunal-Soli kippt?

Kraft Wir halten unsere Entscheidung für rechtssicher. Sonst hätten wir sie so nicht getroffen.

Barbara Hendricks ist die einzige Ministerin aus NRW. Niedersachsen stellt dagegen mit Gabriel als Vizekanzler, Oppermann als Fraktionschef und Steinmeier als Außenminister gleich drei Schwergewichte.

Kraft Ich widerspreche. Einen von sechs SPD-Ministern zu stellen, ist nicht schlecht. Steinmeier hat zwar lange in Niedersachsen gearbeitet, hat seinen Wahlkreis aber in Brandenburg. Und wenn Sie die Stellvertreter in der Fraktion mitzählen, wo der NRW-Landesverband mit drei von neun Abgeordneten vertreten ist, steht es um den Einfluss unseres Landes nicht schlecht. Und ich bin außerdem stellvertretende Parteivorsitzende.

Wie lange werden Merkel und Gabriel harmonisch miteinander regieren?

Kraft Der Koalitionsvertrag ist auf vier Jahre Regierungszeit ausgelegt. Dann ist wieder Wahlkampf, der zum demokratischen System dazugehört.

Sie haben vor dem Mitgliederentscheid eine Kanzlerkandidatur für sich explizit ausgeschlossen. Wollten Sie an Ihrer Loyalität zum SPD-Chef keine Zweifel aufkommen lassen?

Kraft Ich habe das auf einer internen Sitzung meiner Fraktion in Düsseldorf gesagt. Und für die war es nicht neu.

Ist es klug, ein für alle Mal auf den wichtigsten Posten zu verzichten, den die Politik zu bieten hat?

Kraft Wer mich kennt, war nicht überrascht. Ich bleibe gern in NRW.

Würden Sie — wie Ihr Vorbild Johannes Rau — auch nicht als Bundespräsident wechseln?

Kraft Bundespräsident ist ein sehr ehrenvolles Amt. Aber meine Aufgabe liegt in Nordrhein-Westfalen. Da habe ich noch jede Menge zu tun.

Sie haben in den Koalitionsverhandlungen für die Länder einiges herausgeholt — etwa die Eingliederungshilfe für Behinderte, die jetzt der Bund zahlt. Was soll er sonst noch zahlen?

Kraft Es gilt, was im Koalitionsvertrag steht. Darüber hinaus wollen wir in dieser Legislaturperiode die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu regeln.

In einer neuen Föderalismus-Kommission?

Kraft Eben nicht. Es wird keine Föderalismus-Kommission III geben. Es geht um die Finanzbeziehungen und nicht um eine neue Aufgabenverteilung.

Bleibt es beim umstrittenen Kooperationsverbot in der Bildung?

Kraft Die CDU ließ darüber nicht mit sich reden. Eine Beteiligung des Bundes allein bei Hochschulen und Forschung und nicht bei Schule war für uns nicht akzeptabel. Also bleibt hier erst mal alles beim Alten.

Also geht es nur um mehr Geld?

Kraft Die finanzielle Decke für die Länder und Kommunen ist zu kurz. Für alle drei Ebenen — Bund, Länder und Gemeinden — reicht es hinten und vorne nicht. Auch wenn wir die Decke etwas zu uns herüberziehen, haben wir immer noch keine warmen Füße, um im Bild zu bleiben.

Fordern Sie doch neue Steuern, die nur den Ländern zustehen.

Kraft Es gibt verschiedene Ideen. Warten wir die weitere Debatte ab.

Um wie viel Geld wird verhandelt?

Kraft Es geht jedenfalls nicht nur um den Länderfinanzausgleich im engeren Sinne. Wir müssen über die gesamte Bandbreite der Finanzbeziehungen reden.

Nennen Sie uns ein Beispiel?

Kraft Es geht dann auch um den Mehrwertsteuerausgleich, weil NRW im Gesamtvergleich Geberland ist. Wir zahlen bei der Umsatzsteuer über zwei Milliarden Euro an andere. Das angeblich so sparsame Sachsen bekommt dagegen 2,3 Milliarden. Der ehrliche Blick auf die Zahlen hilft. Denn Sachsen erhält insgesamt 35 Prozent seines Haushalts aus Zuweisungen des Bundes und der Länder. Wenn wir das für NRW bekämen, wären das über 20 Milliarden Euro im Jahr. Dann hätten auch wir satte Überschüsse.

Bei den Beamten haben Sie angefangen zu sparen, aber reicht das?

Kraft Wir haben auch schon vorher strukturell, also dauerhaft, gespart — allein 156 Millionen Euro bei den Förderprogrammen. Doch der Prozess ist noch nicht zu Ende. Wir haben angekündigt, bis 2017 strukturell eine Milliarde Euro einzusparen. Dabei unterstützt uns ein Effizienzteam, das die Landesregierung berät. Es bleibt bei dem finanzpolitischen Dreiklang: in Kinder, Bildung — also in Zukunft — investieren, sparen und Einnahmen verbessern. Im Zusammenhang mit den angekauften Steuer-CDs und durch Selbstanzeigen hat allein NRW inzwischen 850 Millionen Euro Mehreinnahmen erzielt. Das zeigt, dass unser Kurs für mehr Steuergerechtigkeit richtig ist.

Trotz Rekords bei den Steuereinnahmen will Rot-Grün 2014 2,4 Milliarden neue Schulden machen. Wann will NRW endlich mit dem Geld auskommen, das hereinkommt?

Kraft 2020. Die Schuldenbremse ist unser Ziel, und das werden wir auch erreichen. Aber wir wollen dieses Land nicht kaputtsparen, sondern gleichzeitig auch in Bildung und Kommunen investieren. Deswegen gehen wir Schritt für Schritt vor. Welche Folgen es hat, wenn man verpasst, rechtzeitig zu investieren, zeigt sich zum Beispiel bei den maroden Autobahnbrücken.

Noch einmal zurück zu den Beamtengehältern: Würden Sie heute bei den Nullrunden anders entscheiden?

Kraft Nein. Ich habe Verständnis für den Ärger der Beamten, die davon betroffen sind. Aber der Personalbereich macht über 40 Prozent des Haushalts aus. Er kann bei der notwendigen Konsolidierung nicht ausgeklammert werden.

Kann Ihre präventive Sozialpolitik unter dem Motto "Wir lassen kein Kind zurück" den SPD-Wahlkampf 2017 prägen?

Kraft Es handelt sich keineswegs nur um präventive Sozialpolitik. Das würde zu kurz greifen. Wir setzen umfassend auf Vorbeugung. Ich nenne nur frühkindliche Förderung, Schule, Ausbildung, aber auch gezielte Ansprache von jugendlichen Intensivtätern. Wir werden hier in Nordrhein-Westfalen zeigen, dass dieser präventive Politikansatz seine Wirkung entfaltet. Vorbeugen ist allemal besser und auf die Dauer preiswerter als später aufwendig zu reparieren.

Wäre dieser Ansatz nicht auch ein Vorbild für den Bund?

Kraft Präventive Politik, kein Kind zurücklassen, ist traditionell bei den Ländern angesiedelt, denn es geht um unsere Kompetenzfelder. Deshalb habe ich auch immer gesagt, dass ich großes Interesse daran habe, in Nordrhein-Westfalen zu bleiben. Ich will zeigen, dass dieser Ansatz wirkt. Und das kann nur hier vor Ort in Zusammenarbeit mit den Kommunen gelingen. Aber im Berliner Koalitionsvertrag heißt es immerhin jetzt "kein junger Mensch darf zurückbleiben" — da geht es um einen besseren Übergang von der Schule zum Beruf.

Die Energiepolitik in Deutschland ist bisweilen verwirrend — Atomausstieg, keine neuen Kohlekraftwerke, Widerstand gegen Stromtrassen und Pumpspeicherkraftwerke. Und jetzt macht EU-Kommissar Almunia noch Front gegen die Ökostromrabatte der Industrie. Können Sie als Chefin des Energie- und Industrielands NRW noch ruhig schlafen?

Kraft Ich schlafe ruhig und gut. Aber ich mache mir auch große Sorgen um eine sichere Energieversorgung, die bezahlbar ist, und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Denn viele kennen nicht die komplexen Zusammenhänge. Da sprechen einige von den bösen Kohlekraftwerken. Aber wenn wir die alle über Nacht abschalten würden, hätten wir keine sichere Energieversorgung mehr — und zwar sicher zu jeder Sekunde, weil das für industrielle Prozesse entscheidend ist. Sonne und Wind sind aber nicht immer verfügbar. Wir werden also auf längere Zeit noch fossile Kraftwerke zur Absicherung unserer Stromerzeugung brauchen.

Sollte die EU die Ökostromrabatte kippen, wäre auch der Industriestandort NRW gefährdet?

Kraft Deshalb kämpfen wir um Ausnahmen für die energieintensiven Branchen. Damit kein Zweifel aufkommt: Wir wollen die Energiewende mit dem Ziel 80 Prozent erneuerbare Energien im Jahr 2050. Hier werden neue Chancen und Arbeitsplätze entstehen. Sie darf aber den deutschen Industriestandort nicht gefährden. Ich bin zuversichtlich, dass wir der EU erklären können, dass es sich bei den Ausnahmen nicht um wettbewerbsverfälschende Beihilfen handelt. Das Gegenteil ist der Fall. Denn mit den Industrierabatten bei der EEG-Umlage gleichen wir nur eine zusätzliche Kostenbelastung unserer Industrie aus, die ihre europäische Konkurrenz nicht hat.

Wird der Braunkohletagebau Garzweiler II wie vorgesehen weitergeführt?

Kraft Das Bundesverfassungsgericht hat ein klares Urteil gefällt, dass der geplante Abbau erlaubt ist.

Selbst der Betreiber RWE hat Zweifel, ob sich der Abbau weiter lohnt.

Kraft Der RWE-Chef, Herr Terium, hat öffentlich erklärt, am Tagebau festzuhalten. Am Ende des Tages ist das aber eine unternehmerische Entscheidung. RWE hat auf Jahrzehnte die Genehmigung, dort Braunkohle abzubauen.

Wird Nordrhein-Westfalen am Ende der Energiewende weiterhin die Nummer eins bei der Stromerzeugung sein?

Kraft Die Energieerzeugung wird insgesamt in Zukunft viel dezentraler sein. Eine große Herausforderung ist noch, erneuerbare Energien speicherbar zu machen. Klar ist aber: Wenn uns als einer der größten Wirtschaftsnationen der Welt die Energiewende gelingt, wird unser Know-how ein gigantischer Fortschrittsmotor sein, der Tausende neuer Arbeitsplätze schafft und außerdem einen enormen Kostenvorteil bedeutet, weil Energie dann preiswerter als anderswo sein wird. Dann werden wir die modernste Energieversorgung haben, die es gibt. Und sie wird sicher sein.

(RP)
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