Berlin Wirtschaft fürchtet Rezession wegen Putin

Berlin · Die Chemie-Produktion und Autozulassungen gehen zurück. Die geplante Verschärfung der Russland-Sanktionen verunsichert zusätzlich.

Angesichts der Zuspitzung der Ukraine-Krise wächst in der Wirtschaft die Sorge vor einer Rezession. In der deutschen Chemie-Industrie ging die Produktion im zweiten Quartal um 2,3 Prozent zurück, wie der Verband der chemischen Industrie (VCI) gestern mitteilte. "Die Industrie reagiert auf die geopolitischen Risiken und bestellt weniger Chemikalien", so der VCI. Er erwartet jetzt für das Gesamtjahr nur noch ein mageres Produktionsplus von 1,5 Prozent. Nach dem Maschinenbau hat damit eine weitere Schlüsselbranche der deutschen Wirtschaft ihre Prognose gesenkt.

Auch am Automarkt ist die Krise bereits zu spüren. Im August sank die Zahl der Neuzulassungen um 0,4 Prozent auf 213 000 gegenüber August 2013, wie das Kraftfahrtbundesamt gestern mitteilte. "Die dunklen Wolken am politischen Horizont wachsen", sagte Matthias Wissmann, Chef des Branchenverbands VDA. Das Thema Ukraine drücke "auf die Psychologie der internationalen Märkte". Ohnehin schwächst sich die Autonachfrage aus China und in Europa ab.

Im zweiten Quartal war die gesamte deutsche Wirtschaft bereits um 0,2 Prozent geschrumpft. Wenn die Wirtschaftsleistung zwei Quartale hintereinander sinkt, sprechen Ökonomen von einer Rezession. Die letzte große Rezession hatte die deutsche Wirtschaft 2009 nach der weltweiten Finanzkrise erlebt, als die Produktion teilweise um fünf Prozent gefallen war. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält eine Rezession für möglich, zumal das vom Institut Ifo gemessene Geschäftsklima seit vier Monaten fällt.

Die Ausfuhren nach Russland machen zwar nur drei Prozent der deutschen Exporte aus. Doch einzelne Konzerne wie Rheinmetall oder die Autozulieferer treffen die Sanktionen der Europäischen Union bereits hart. Nun sollen sie noch verschärft werden: Die Europäische Union (EU) will bis Freitag über neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland entscheiden. Das von der EU-Kommission geschnürte Maßnahmenpaket würde heute stehen, kündigte die designierte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gestern an. Wirtschaftssanktionen der EU können vier Bereiche betreffen: militärische Güter, Dual-Use-Güter (die sowohl militärisch wie zivil genutzt werden können), Hochtechnologie für die Ölförderung sowie den Finanzmarkt.

Der Ukraine-Konflikt und die heraufziehende Wirtschaftskrise waren gestern auch Thema beim Treffen der Bundesregierung mit Spitzenvertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften auf Schloss Meseberg (Brandenburg). Ingo Kramer, Präsident des Arbeitgeberverbandes BDA, sagte unserer Zeitung, an den zurückgehenden Auftragsbeständen der Industrie lasse sich eine Eintrübung der Konjunktur ablesen. "Gleichzeitig nehmen die Risiken im außenwirtschaftlichen Bereich infolge geopolitischer Krisen zu." BDA und andere Verbände gehen davon aus, dass die aktuelle Konjunkturprognose von zwei Prozent Wachstum für das laufende Jahr in 2015 nicht mehr zu halten sein wird.

Denn nicht nur die Wirtschaftssanktionen gegen Russland sorgen für Unsicherheit bei den Unternehmen. Auch die wichtigen Euro-Länder Italien, Frankreich und die Niederlande stecken in der Wirtschaftskrise, entsprechend gering ist ihre Nachfrage.

Zusätzliche Unsicherheit schafft die Zins-Entwicklung. Die Chefin der US-Notenbank Fed, Janet Yellen, hat für das kommende Jahr die Zinswende angekündigt. Dann wird die Fed ihre Nullzins-Politik aufgeben. Die Europäische Zentralbank (EZB) will übermorgen über ihren Kurs entscheiden. In der Euro-Zone liegt der Leitzins seit dem Frühsommer bei 0,15 Prozent. Damit hat die EZB ihr Pulver in der Zinspolitik weitgehend verschossen. Es wird erwartet, dass sie den Zinssatz auf der bisherigen Höhe lässt. Zugleich steigt der Druck auf die EZB, nun massiv Staatsanleihen zu kaufen, damit die Staaten mehr nachfragen und so der Druck auf die Preise steigt. Zuletzt hatte die Inflationsrate in der Eurozone bei 0,4 Prozent gelegen. EZB-Präsident Mario Draghi ist für weitgehende Maßnahmen offen. Er hat zum Ärger der Kanzlerin bereits angekündigt, dass man nun über eine Flexibilisierung der staatlichen Sparprogramme der Schuldenländer nachdenken müsse. "Die Erwartungen an Draghi sind hoch", sagte ein Börsianer.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mahnte die Europäische Zentralbank: "Die EZB hat ein klares Mandat, nämlich für Geldwertstabilität zu sorgen. Und sie hat nicht das Mandat, die Staaten zu finanzieren."

(RP)
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