Geschichte des subversiven Witzes Heil Hitler, der Hund ist tot!

Düsseldorf · Seit Platons Zeiten ist das Lachen den Herrschenden verdächtig. Denn der subversive Witz untergräbt ihre Macht. Für den Erzähler ist er Gefahr und Schutz zugleich.

Zeit zum Lachen - 27 schrecklich schöne Witze
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Foto: Shutterstock.com/ Sergey Furtaev

Guckt ein Mann beim Gehen die ganze Zeit in den Himmel, stolpert und fällt in den Brunnen. Haha, sehr witzig, Heimvideo-Niveau. Die Panne wäre nicht weiter erwähnenswert, wäre sie nicht Anlass einer philosophischen Abhandlung über das Lachen geworden. Platon erzählt sie in seinem Dialog "Theaitetos": Der Mann ist der Mathematiker Thales, der die Sterne betrachtet und wegen seines Sturzes von einer Magd ausgelacht wird.

Platon outet sich bei der Gelegenheit als ziemlich humorloser Geselle: Das Lachen ist für ihn elitenfeindlich - die Magd versteht den Gelehrten nicht. In Platons unangenehmen Idealstaat, ein kontrollversessenes Philosophenkönigtum, passt es deshalb schlecht. Die da oben wissen am besten, was gut für die da unten ist. Und wenn einer von denen da unten doch mal in den Genuss höherer Erkenntnis gelangt, dann wird er von seinen tumben Zeitgenossen ausgelacht und am Ende ermordet. So erzählt es jenes Stück platonische Weltliteratur, das als Höhlengleichnis bekannt ist.

Lachen signalisiert Distanz, ist tendenziell maßlos, also verdächtig, das sieht im Grundsatz auch Platons Schüler Aristoteles so, in Sachen Humor ein intellektueller Bedenkenträger. Dem Menschen stehe allenfalls Ironie gut an, doziert er, nicht derbe Possenreißerei. Sicher hatten Platon und Aristoteles die griechischen Komödien vor Augen, die wahre Zotenfestivals sind, vielleicht auch einen Kollegen wie Diogenes, der am Tag mit einer Laterne über den Athener Marktplatz gelaufen sein und gesagt haben soll, er suche Menschen. Denen pinkelte Diogenes dann auch mal ans Bein - eine Art früher Performance, allerdings nicht sehr feingeistig.

Dem Christentum ist der Witz suspekt

Im klassischen Altertum gelten Lachen und Witz als fragwürdig. Die Römer benutzen dasselbe Wort, "ridere", für "lachen" und "auslachen". Für Cicero ist das Lachen Privatsache, ansonsten rhetorisches Mittel zur Selbstdarstellung und Herabsetzung des Gegners. Auch das sprichwörtliche olympische Gelächter der Götter ist ein Auslachen, etwa wenn sie sich über den hinkenden Hephaistos lustig machen.

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Ebenso in der Bibel: Gott verlacht den Sünder, das Volk lacht Jesus aus, selbst auf Golgatha. Eine Episode freilich sticht heraus: Als der 100-jährige Abraham erfährt, dass seine Frau Sara mit 90 noch ein Kind von ihm empfangen soll, lacht er wie über einen schlechten Witz - weil die Dinge so phänomenal schlecht zusammenpassen. Das ist schon fast moderne Humortheorie.

Aber es bleibt eben Episode. Auch dem Christentum, einmal zu Macht gelangt, ist der Witz suspekt. Umberto Ecos Mönch Jorge, der mitsamt Aristoteles' Schrift über die Komödie lieber verbrennt, als sie andere lesen zu lassen, ist zwar eine Karikatur, aber eine treffende. Jorge beruft sich auf den Kirchenvater Johannes Chrysostomos, der lehrte, die Welt sei kein Theater zum Lachen, und dem der Satz zugeschrieben wird, Christus habe nie gelacht. Unter den Reformatoren scheint der lebensfrohe Martin Luther eher die Ausnahme zu sein - Johannes Calvins Regime in Genf jedenfalls ist eine ausgesprochen humorlose Veranstaltung; Tanzen und Singen sind verboten. "Mein Jesus hat geweint, und ich sollte lachen?", schreibt der evangelische Theologe Heinrich Müller 1664. Es ist eine rhetorische Frage, natürlich.

Geistige Notwehr gegen das Grauen der Diktatur

Aus dieser Sackgasse führen erst die Aufklärer heraus, die sich wissenschaftlich über das Thema Humor beugen. Als schließlich der Witz von Sigmund Freud unter Verweis auf das Unbewusste erklärt wird, da ist er schon wieder bedroht. Wieder von oben, aber nicht von unduldsamen Asketen, sondern von einem Staat, der sich anmaßt, das Leben seiner Bürger bis ins Letzte zu organisieren.

Das 20. Jahrhundert, die Katastrophe von Faschismus und Kommunismus, ist das goldene Zeitalter des subversiven Humors. "Flüsterwitz" heißt die Gattung schon zu NS-Zeiten, denn: Wer zu laut redet, riskiert seinen Kopf. Der Flüsterwitz macht sich selbst zum Thema. Etwa in der Frage: "Was gibt's für neue Witze?" Antwort: "Drei Monate Dachau." Der Flüsterwitz spricht das Undenkbare aus: Hitlers Chauffeur überfährt den Hund eines Metzgers. Der Fahrer eilt ins Geschäft und kommt mit einem Arm voller prächtiger Würste wieder heraus. Hitler fragt verwundert: "Was haben Sie dem denn gesagt?" Sagt der Chauffeur: "Ganz einfach - Heil Hitler, der Hund ist tot!" Der Flüsterwitz ist, bei aller Gefahr für den Erzähler, geistige Notwehr gegen das Grauen der Diktatur: Selbstschutz.

Auch der Kommunismus hat seine Flüsterwitze. Wie den vom Parteichef, der einen Juden einlädt, weil er gehört hat, die erzählten die besten Witze. Er bewirtet ihn großzügig und sagt: "So werden bald alle Werktätigen im Lande leben." Erwidert der Gast: "Genosse, mir wurde gesagt, ich sei derjenige, der die Witze erzählt." Das Gift der Propaganda freilich steckt verdünnt sogar im Flüsterwitz - dieses heikle Beispiel ist zwar kein Judenwitz, aber auch kein typischer jüdischer Witz, sondern möglicherweise ein Echo des Antisemitismus, den auch kommunistische Regime pflegen.

Darf man über den Holocaust lachen?

Es gibt einen Film, in dem man einem subversiven Witz beim Entstehen zusehen kann: Roberto Benignis Tragikomödie "Das Leben ist schön" über den italienischen Faschismus. "Eintritt verboten für Juden und Hunde" steht da eines Tages an einem Geschäft. Was das solle, fragt Giosuè seinen Vater Guido. Ach, sagt der, das sei eben in diesem Geschäft so - das nächste wolle keine Chinesen und Kängurus, ein anderes keine Spinnen und Westgoten. Der Terror wird lächerlich - der Terror, dem am Ende auch Guido im KZ zum Opfer fällt. Noch Sekunden zuvor aber veralbert er das Morden, indem er im Stechschritt vor seinem Henker zur Erschießung paradiert. Er muss es tun, weil Giosuè die Szene aus einem Versteck beobachtet und Guido seinem Sohn den Glauben lassen will, alles sei nur ein Spiel; der Sieger bekomme einen Panzer.

Benigni hat mit seinem extremen Humor eine Debatte darüber angestoßen, ob man über den Holocaust lachen darf. Er hat sich aber auch witztheoretische Verdienste erworben: Witz essen Angst auf. Die makabre Show des Vaters bewahrt den Sohn vor der Wahrheit. Der Witz schützt. Und er untergräbt zugleich. Sobald der Flüsterwitz nicht mehr geflüstert werden muss, ist die Zeit des Regimes abgelaufen.

Während des Aufstands im kommunistischen Ungarn 1956 kursiert die Frage: "Was ist Humor?" Die Antwort öffnet, je nach Deutung, einen Abgrund an Subversion: "Der friedliche Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus." Was heißt das? Ist ein friedlicher Übergang nicht möglich? Ist am Ende der Zusammenbruch des Kommunismus nur eine müde Pointe? Oder doch: Witz ist gleich Freiheit? Das wäre sicher die sympathischste Deutung, ist aber wahrscheinlich nicht komplex genug. Sicher ist nur eins - wie der Rest des Lebens ist auch Geschichte bisweilen nur mit Humor zu ertragen. Auch wenn das denen da oben nicht passt. Gerade dann.

(fvo)
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