Moskau Wladimir Putin geht die Luft aus

Moskau · Die sinkenden Öl- und Gaspreise setzen Russland immer stärker zu. Die Bevölkerung bleibt noch ruhig - anders als die Regierung.

Moskau: Wladimir Putin geht die Luft aus
Foto: Ferl

Swetlana Kolegina ist gelassen. Die 69-jährige Rentnerin steht vor dem Gemüseangebot eines Moskauer Supermarkts. "Von Mal zu Mal wird es teurer und die Auswahl kleiner", sagt die Vegetarierin. Die Preise für Gemüse sind seit Ende vergangenen Jahres in Moskau um mehr als ein Viertel gestiegen, das Angebot ist ausgedünnt. Kolegina lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Ihre Generation habe schon härtere Zeiten überstanden.

Dass solche wieder bevorstehen, versucht Russlands politische Elite den Bürgern gerade beizubringen. Hatte Präsident Wladimir Putin in den letzten Monaten die Bürger immer wieder bei Laune gehalten, so bekannte er vergangene Woche: Mit einer schnellen Erholung der Konjunktur sei nicht zu rechnen.

Der Ölpreis sinkt täglich. Das trifft Russland hart: Mehr als die Hälfte des Staatshaushalts bestreitet das Land aus den Einnahmen für Gas und Öl. Seit November fiel der Preis für ein Fass um 40 Prozent, inzwischen hat die russische Marke "Urals" die Grenze von 30 Dollar unterschritten. Der rasante Absturz lässt selbst einen Preis von 15 Dollar nicht mehr ausgeschlossen erscheinen, fürchten russische Experten. Bei 14,50 Dollar für ein Fass wäre eine magische Untergrenze erreicht. Ab dieser Marge müssen Ölförderer keine Steuern mehr bezahlen.

Das hätte nicht nur Mindereinnahmen des Staates zufolge, auch die veralteten Förderkapazitäten könnten nicht modernisiert und keine neuen Ölfelder erschlossen werden. Zeitgleich verfällt auch der Wert des Rubel. Ein Dollar kostet fast 77 Rubel, vor anderthalb Jahren war er noch für 36 Rubel zu haben. Die Menschen nehmen es stoisch hin. Seit der Krim-Annexion verbrachten ohnehin nur noch wenige den Urlaub im Ausland. Die Bevölkerung bleibt noch ruhig, während die politische Führung schon nervös zu werden scheint.

Angesichts der Dramatik entwarf Alexej Uljukajew, Minister für Wirtschaftsentwicklung, auf einem Moskauer Ökonomieforum schon ein neues, beruhigendes Szenario: 2030 werde niemand in Russland mehr auf den Ölpreis oder den Dollarkurs schauen, versicherte er. Es werde ein anderes, "komfortables" Land sein, meinte er. Im Klartext heißt dies jedoch: Die Ziele des älteren, ambitionierten Entwicklungsprogramms 2020 sind nicht mehr einzuhalten. Skeptischer sieht German Gref, Chef der russischen Sparkasse (Sberbank) und ehemaliger Minister für Wirtschaftsentwicklung, die Lage. "Russland hinkt den ausländischen Konkurrenten katastrophal hinterher", da es den wirtschaftlichen und technologischen Wandel verpasst habe. Die Zeit des Öls sei vorüber. Zwischen Gewinnern und Verlierern klaffe in einer von Technologien abhängigen Ära eine noch größere Lücke als im Industriezeitalter. Gref forderte Reformen. Darüber wacht jedoch Russlands Präsident Wladimir Putin, der für Reformen nicht zu gewinnen ist. Sie würden den Bürgern vorübergehend noch mehr Verzicht abverlangen und langfristig aus seiner Sicht auch die Machtverhältnisse gefährden. Angst geht um, schon bei den nächsten Wahlen abgestraft zu werden.

So sollen am gerade erst verabschiedeten Haushalt nun zehn Prozent Einsparungen vorgenommen werden. Die Entscheidung fiel wohl noch im Dezember, wurde aber erst vergangene Woche publik: Den Bürgern wollte man die Feiertage nicht vermiesen. Auch jetzt wird nachgedacht, ob sich die Sparmaßnahmen nicht bis ins nächste Quartal verschieben lassen. Dahinter steht die vage Hoffnung, vielleicht schnelle der Ölpreis doch noch in die Höhe. Es sind die gigantischen unbeweglichen Staatsbetriebe und deren korrupte Bürokratie, die kleine innovative Firmen ausbremsen. Dabei sind es gerade diese Unternehmen, denen die Zukunft gehört. In anderen Gesellschaften sind sie es, die längst den Ton angeben.

Dieses Mal ist es keine zyklische Krise wie noch 2008 und 2009. Vielmehr ist das alte russische Wirtschaftsmodell heißgelaufen, in dem der Staat über alles entscheidet und vor allem die Interessen der Bürokratie bedient. Ein zäher Niedergang scheint sich abzuzeichnen.

In mehr als einem Dutzend Regionen erhielten Lehrer, Ärzte und Angestellte im Staatsdienst vorübergehend keine Gehälter. Die pünktliche Lohnzahlung diente dem System Putin lange als Beweis, um sich von den 90er Jahren des demokratischen Umbruchs und dessen wirtschaftlichen Verwerfungen abzuheben. Die Bevölkerung nimmt die Engpässe bisher klaglos hin. Proteste sind Randerscheinungen. Noch überwiegt der Glaube, Präsident Putin habe den Aufschwung gebracht, nicht der steigende Ölpreis der Nullerjahre. Nach dieser Logik hat der Kremlchef auch mit der wirtschaftlichen Baisse nichts zu tun.

(RP)
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