Neues Buch "World Order" Henry Kissinger erklärt die neue Weltordnung

Washington · Henry Kissinger, 91, analysiert in seinem Buch "World Order", wie Bush mit seiner Hybris scheiterte und Obama mit seiner Zurückhaltung übertrieb. Fazit: Eine Weltordnung ohne die Führungsrolle Amerikas funktioniert nicht.

 Henry Kissinger erklärt die neue Weltordnung in seinem neuen Buch "Worls Order".

Henry Kissinger erklärt die neue Weltordnung in seinem neuen Buch "Worls Order".

Foto: dpa, dka soe sab

Die Welt gerät aus den Fugen, und Amerika schaut weltmüde zu. Dass Russland die Krim an sich reißt, der Irak und Syrien in Religionskriegen versinken, China vor seinen Küsten die Spannungen schürt - so hätten sich die Amerikaner die dritte Dekade nach dem Fall der Mauer nicht vorgestellt, doziert der Politikwissenschaftler Walter Russell Mead, ein Stratege der konservativen Mitte. Die Ernüchterung hat zur Folge, dass eine ungewöhnliche Koalition aus linken Demokraten und libertären Republikanern empfiehlt, auf sichere Distanz zu den Krisenherden zu gehen. Amerika könne die Probleme des Planeten nicht lösen, lautet ihr Mantra.

Die globale Unordnung, sie ist ein brandaktuelles Thema in Washington. Der ideale Zeitpunkt für ein neues Buch Henry Kissingers, der schon im Titel aufgreift, worum sich der Streit dreht. "World Order" heißt sein 420-Seiten-Wälzer.

Kissinger, erst Harvard-Professor, dann Sicherheitsberater und Außenminister, der Inbegriff des kühlen Realpolitikers, schlägt den großen historischen Bogen. Sein Ordnungsideal ist der Westfälische Frieden, 1648 geschlossen, um den Dreißigjährigen Krieg zu beenden. Der stützte sich auf ein System unabhängiger Staaten, die ihre wechselseitigen Ambitionen durch ein delikates Gleichgewicht der Kräfte unter Kontrolle halten. "Eine praktische Aussöhnung mit der Realität, keine besondere moralische Einsicht", skizziert Kissinger den Kern. Bis jetzt bildeten, so der Autor, die Westfälischen Regeln die einzige allgemein anerkannte Grundlage einer globalen Ordnung.

Heute aber drohe das Chaos, in Form der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, sich auflösender Staaten, ökologischer Verwüstung in manchen Landstrichen. "Steuern wir auf eine Zeit zu, in der Kräfte jenseits der Fesseln jeglicher Ordnung die Zukunft bestimmen?", fragt der Autor, mit seinen 91 Jahren im Wortsinne ein "Elder Statesman". Amerika, erwidert er den Isolationisten, habe weiter die Führungsrolle zu spielen, nicht als moralisierender Weltpolizist, wohl aber als hart kalkulierende Großmacht, die in Absprache mit anderen handle, in aller Regel mit Verbündeten, hier und da auch mit Rivalen.

Applaus bekommt er dafür von Hillary Clinton, die als mögliche Präsidentschaftskandidatin des Jahres 2016 ihrem Parteifreund Barack Obama attestierte, kluge Außenpolitik bestehe für ihn darin, "nichts Dummes zu tun". Große Nationen bräuchten Leitprinzipien, rüffelte Clinton, und nun hat sie Kissingers Werk einen zweiseitigen Aufsatz in der "Washington Post" gewidmet. Zu amerikanischer Führung gebe es keine tragfähige Alternative, postuliert sie. Kein anderes Land könne so wirksam Koalitionen zimmern, kein anderes verfüge über ähnliche Ressourcen.

Die Sätze erinnern an Madeleine Albright, die Chefdiplomatin des Präsidenten Bill Clinton, die es einst auf eine markante Zeile brachte: Die USA seien die "unverzichtbare Nation", nicht stark genug für Alleingänge, wohl aber der wichtigste Garant des internationalen Systems. Selbst wohlwollende Beobachter scheinen allmählich die Geduld mit dem bedächtigen Krisenmanager Obama zu verlieren. So meint etwa David Remnick, Autor der besten Obama-Biografie: "Obamas zögerliche Coolness am Rednerpult liest sich inzwischen allzu oft wie Schwäche." Wenn er gegen den Vorwurf der Schwäche protestiere, könne er sehr müde wirken. Thomas Friedman, der Starkolumnist der "New York Times", sieht es anders. Warnend blendet er zurück zur Stimmungswoge nach den Anschlägen des 11. September 2001, als man die Welt, zumindest den Nahen Osten, in großer Eile verändern wollte. "Wenn du in Eile bist, ignorierst du komplexe Zusammenhänge, die dich später verfolgen werden."

USA - die ambivalente Supermacht

Kissinger sieht es durch die Historikerbrille. Nach seinen Worten sind die USA schon seit Langem eine "ambivalente Supermacht", hin- und hergerissen zwischen Idealismus und Realismus, zwischen feurigem Sendungsbewusstsein und nüchternem Abwägen. Schon Gründungsvater Thomas Jefferson begriff die Vereinigten Staaten als "Imperium der Freiheit", nicht einfach nur als normale Macht. Fast jeder US-Präsident, so Kissinger, beharre auf dem Grundsatz, wonach sein Land universelle Prinzipien hochhalte, während alle anderen lediglich nationalen Interessen folgen. Diese Werte zu verbreiten, wie im Falle des Marshall-Plans für das kriegszerstörte Europa, sei ein wichtiger Teil amerikanischer Tradition. Sie aber durch militärische Besatzung in einer Region durchzusetzen, wo sie keine historischen Wurzeln hätten, "das war mehr, als die amerikanische Öffentlichkeit unterstützen und die irakische Gesellschaft verkraften konnte".

Kissinger beschreibt die Extreme zwischen Bush und Obama mit dem Abstand eines neutralen Gelehrten. Bush habe Amerikas Macht überdehnt, als er eine Demokratie westlichen Musters nach Bagdad exportieren wollte. Die schiitische Mehrheit, diskriminiert unter Saddam Hussein, hätte unter Demokratie eine bloße Bestätigung ihrer zahlenmäßigen Dominanz verstanden, analysiert Kissinger. Die Sunniten sahen in ihr ein Komplott fremder Mächte, um sie in Schach zu halten.

Obama habe übertrieben bei der Korrektur dieser Fehler. So sei es ihm mehr um den raschen Truppenabzug gegangen als um die Strategie für die Zeit danach. Jetzt, da im Herzen der arabischen Welt ein dschihadistischer De-facto-Staat entstehe, müsse Washington Durchhaltevermögen beweisen, es müsse handeln - "im Konzert mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, aber auch mit regionalen Kontrahenten". Sprich: Gemeinsam mit China, Russland und vielleicht auch Iran.

(RP)
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