Analyse Zeitbombe Generationenvertrag

Düsseldorf · Immer weniger Beitragszahler müssen künftig immer mehr Rentner finanzieren. Das belastet den Staat - und gefährdet den Generationenvertrag. Die Politiker bezahlen das Defizit aus dem Bundeshaushalt. Ist das gerecht?

Analyse: Zeitbombe Generationenvertrag
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Demokratien haben ein Strukturproblem: Es besteht eine Tendenz, die Gegenwart zu bevorzugen und die Zukunft zu vernachlässigen. Jede Partei steht vor der Notwendigkeit, in kurzen Abständen Mehrheiten zu gewinnen und sich dabei an den Interessen der jeweils vorherrschenden Wählerschaft zu orientieren. Menschen, die in Zukunft geboren werden, spielen nur eine untergeordnete Rolle. Politik kann aber nur gut sein, wenn sie auch gut ist für morgen und übermorgen. Wenn sie die sozialen Lasten zwischen Jung und Alt gerecht verteilt. Wenn sie die Gesellschaft zukunftsfähig macht.

Generationengerechtigkeit Die meisten Menschen halten ein gewisses Maß an Gleichheit für gerecht. Wenn dem so ist, würde sich der Begriff Generationengerechtigkeit weitgehend mit der Idee der Nachhaltigkeit wirtschaftlichen Handelns decken. Nachhaltig wirtschaften heißt, dass Leistungen und Gegenleistungen über Generationen hinweg ausgeglichen sind. Diese Definition entspricht der Debatte über Generationengerechtigkeit in der Öffentlichkeit: Dort wird mit dem Begriff sowohl die Ungleichheit zwischen Altersgruppen als auch zwischen Alterskohorten - eine Gruppe von Menschen, die etwa gleich alt sind - thematisiert. Im ersten Fall ist eine Ungleichheit zwischen Altersgruppen im Querschnitt gemeint, etwa die unterschiedlichen Quoten der Sozialhilfeempfänger in der Gruppe der Älteren und der Familien mit Kindern. Im zweiten Fall geht es darum, ob Geburtskohorten im Längsschnitt durch den Sozialstaat ungleich behandelt werden.

Zudem fällt unter Generationengerechtigkeit das Argument, dass die heute jüngere Generation wegen der verstärkten Konkurrenz um Bildungstitel, Ausbildungs- und Arbeitsplätze insgesamt schlechtere Startchancen hat als ihre Vorgänger-Generationen.

Generationenvertrag Zwischen Jung und Alt gibt es in Deutschland eine Art Generationenvertrag. Die Erwerbstätigen sorgen mit ihren Beiträgen für die Alterseinkommen der Ruheständler. Die jeweilige Generation der Beitragszahler vertraut darauf, dass auch ihr Lebensabend später von den Jüngeren genauso finanziert wird. Den Vertrag gibt es nicht als Schriftstück. Die Politik muss aber dafür sorgen, die Interessen der Alten und der Jungen unter den sich verändernden Bedingungen einer älter werdenden Gesellschaft immer wieder in Einklang zu bringen.

Das Problem: Der Generationenvertrag setzt eine kontinuierliche Entwicklung der Bevölkerung und der Erwerbstätigen voraus, da wichtige Teile des sozialen Sicherungssystems (etwa Renten und Krankheitskosten) in Deutschland durch Beiträge der Erwerbstätigen finanziert werden. Die demografische Alterung torpediert dieses System. Kamen 1991 noch mehr als vier Arbeitnehmer auf einen Rentner, wird diese Zahl bis 2030 auf unter zwei sinken, bis 2060 sogar auf 1,3. Weit weniger als zwei Personen müssten künftig also eine volle Rente finanzieren. Damit das gelingt, muss entweder der Rentenversicherungsbeitrag enorm steigen oder aber die Rente drastisch sinken. Die Folge: Der Generationenvertrag wankt. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes können heute fast 470 000 Menschen in Deutschland nicht von ihrer Altersrente leben. Dass diese Zahl künftig noch steigen wird, scheint absehbar.

Generationenbilanz Seit Jahren erstellt Bernd Raffelhüschen eine Studie zur sogenannten Generationenbilanz. Darin prüft der Freiburger Professor, welche Verpflichtungen den heute jungen Menschen aufgebürdet werden. Das Forschungszentrum Generationenverträge unterscheidet dabei die explizite Verschuldung, die jeder in den Haushaltsplänen von Bund, Ländern und Gemeinden ablesen kann - und die sogenannte implizite Verschuldung. Das sind jene Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft, die heute begründet werden, beispielsweise künftige Pensionszahlungen für Beamte. Die explizite Staatsschuld ermittelt der Ökonom mit rund 80 Prozent der wirtschaftlichen Jahresleistung (Basisjahr 2012). Die verdeckte ist dagegen fast doppelt so hoch: Sie beträgt 147 Prozent. Damit summieren sich die Schulden für die künftigen Generationen auf fast 230 Prozent.

Hinzu kommt, dass Renten- und Pflegeversicherung nicht nachhaltig finanziert sind. Der Zuschuss des Bundes aus Steuergeldern zur Rentenversicherung betrug 2013 bereits 81 Milliarden Euro - 27 Prozent der Ausgaben des Bundeshaushalts. Schon jetzt liegt die Staatsverschuldung bei mehr als zwei Billionen Euro. Jede Sekunde kommen rund 1560 Euro dazu. Der 56 Jahre alte Raffelhüschen rechnet vor: Alle Deutschen müssten rund zwei Jahre und drei Monate alle erzeugten Werte zur Verfügung stellen und dürften nichts konsumieren, um diese Verpflichtungen abzutragen.

Generationengerechtes Handeln Gerechtigkeit ist ein Chamäleon-Begriff - jeder versteht etwas anderes darunter. Einig sind sich die meisten Deutschen aber in der Frage, wer für generationengerechtes Handeln zu sorgen hat: Sie sehen vor allem den Staat und nicht die Bürger oder die Wirtschaft in der Verantwortung. Das belegt eine Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Allensbach 2012 für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft durchgeführt hat. Generationengerechtigkeit heißt für die Befragten, dass junge Menschen von ihrer Arbeit leben können; dass der Staat dafür sorgt, dass Ältere nicht in Not geraten; dass die eigenen Beiträge auch später noch zum Leben reichen; dass ältere Arbeitnehmer dieselben Beschäftigungschancen haben wie jüngere; dass keine Alterskohorte bevorzugt oder benachteiligt wird.

Denn fest steht: Das Problem der Generationen(un)gerechtigkeit entsteht nicht, weil "gierige Greise" das soziale Sicherungssystem plündern oder junge Menschen keine Verantwortung übernehmen. Es entsteht, weil die Politik den kommenden Generationen die Chance, ihr eigenes Leben so zu gestalten wie ihre Eltern und Großeltern, unter einem Berg von Lasten begräbt.

(RP)
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