DRK-Präsident Rudolf Seiters "Zelte für Flüchtlinge auch im Winter"

Berlin · Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes fordert mehr Unterstützung für freiwillige Helfer, die sich für Flüchtlinge engagieren - unter anderem eine Freistellung vom Job und eine Lohnfortzahlung. Er sagt: Manche Flüchtlinge werden auch im Winter in Zelten leben müssen.

 Eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge im niedersächsischen Bramsche: Vielerorts müssen Flüchtlinge auch im Winter in Zelten leben.

Eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge im niedersächsischen Bramsche: Vielerorts müssen Flüchtlinge auch im Winter in Zelten leben.

Foto: dpa, frg uk lof

Sind die ehrenamtlichen Helfer in der Flüchtlingskrise noch motiviert?

Seiters Ja, unsere ehrenamtlichen Helfer sind nach wie vor sehr motiviert, weil sie die Betreuung der Flüchtlinge als eine ureigene Aufgabe des Roten Kreuzes ansehen und weil sie viel Zuspruch aus der Bevölkerung erfahren.

Keine Erschöpfungserscheinungen?

Seiters Wir sind mit rund 15.000 ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfern in 440 Notunterkünften rund um die Uhr im Einsatz, in denen sich derzeit 140.000 Flüchtlinge aufhalten. Natürlich stoßen einige auch an die Grenzen der Belastbarkeit. Deshalb appellieren wir an die Politik, dass die freiwilligen Helfer des DRK - jedenfalls bei einer derart exorbitanten und über Monate andauernden Herausforderung - einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber und einen Anspruch auf Lohnfortzahlung erhalten, wie dies auch bei der Freiwilligen Feuerwehr und beim Technischen Hilfswerk der Fall ist.

Welche Hilfe wird benötigt?

Seiters Wir brauchen Ärzte, Pflegekräfte und Übersetzer. Wir sind auch dankbar für jeden, der für andere Aufgaben bereitsteht, sei das bei der Essensausgabe oder in Kleiderkammern. Welche Sachspenden gefragt sind, ist von Notunterkunft zu Notunterkunft unterschiedlich.

 Rudolf Seiters ist der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes.

Rudolf Seiters ist der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes.

Foto: AP, AP

Werden Sie im Winter ohne Zelte auskommen?

Seiters Nein, leider nicht. Der Zustrom an Flüchtlingen ist so groß, dass die Behörden nicht genügend feste Quartiere zur Verfügung stellen können. Zelte, auch wenn sie beheizbar und winterfest sind, können jedoch nur eine absolute Notlösung darstellen.

Benötigen wir eine Obergrenze für die Flüchtlinge in Deutschland?

Seiters Wir haben in der Verfassung ein Grundrecht auf Asyl, und dafür gibt es keine Obergrenze. Ein Asylberechtigter hat Anspruch darauf, dass wir uns um ihn kümmern.

Die Kanzlerin sagt, dass es auch keine Obergrenze für die geben kann, die aus dem Bürgerkrieg flüchten . . .

Seiters Die Formulierung des Grundgesetzes lautet, dass es ein Asylrecht für politisch, religiös und rassisch Verfolgte gibt. Diese Definition wird heute zu Recht auf Menschen ausgeweitet, die in Lebensgefahr sind und aus ihrer lebensbedrohlichen Situation aus Bürgerkriegen fliehen. Das halte ich für richtig.

Sind die geplanten Kontingente eine gute Lösung, um den Zustrom der Flüchtlinge nach Deutschland zu steuern?

Seiters Im Unterschied zu Beginn der 90er Jahre, als auch sehr viele Flüchtlinge zu uns kamen, benötigen wir heute nicht nur eine nationale, sondern auch eine europäische Lösung. Damals konnten wir die Zuwanderung über unsere Grenzkontrollen ordnen und steuern. Heute müssen die Außengrenzen der EU gesichert werden. Die Grenzkontrollen funktionieren leider nach wie vor nicht. Das müssen wir ändern. Zudem brauchen wir zumindest den Einstieg in eine faire Quotenregelung.

Flüchtlinge in Düsseldorf: Traglufthalle aufgebaut
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Erste Traglufthalle für Flüchtlinge in Düsseldorf aufgebaut

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Foto: dpa, fg jai

Das Problem ist, diese Forderungen in der EU durchzusetzen . . .

Seiters Das Problem ist, dass in der EU die Dinge zu lange dauern. Die EU hätte schon 2013 handeln müssen, als die Menschen die Flucht über das lebensbedrohliche Mittelmeer suchten. Dass die Balkanroute dann auch bald genutzt wird, das war abzusehen. Das Bild, das Europa im Augenblick abgibt, ist mehr von Egoismus als von gemeinschaftlicher Solidarität geprägt.

Wie sehen Sie die Perspektive der Flüchtlinge, die in Deutschland angekommen sind?

Seiters Die Versorgung der Flüchtlinge bei uns ist gut. Neben ihrer Unterbringung ist es jetzt unsere große Aufgabe, die Integration der Flüchtlinge voranzubringen. Dazu gehören ein guter und schneller Arbeitsmarktzugang, die Aufhebung der Vorrangprüfung sowie die Identifizierung und Anerkennung vorhandener Qualifikationen bei Flüchtlingen. Zu einer gelungenen Integration gehört auch der kostenlose Zugang zu Integrationskursen und zu Sprachkursen.

Können Sie sich um die Menschen kümmern, die auf der Flucht sind?

Seiters In Griechenland versorgen wir Flüchtlinge mit Hygienepaketen und Winterkleidung. Wir können aber nur dort tätig sein, wo wir von unserer Schwestergesellschaft im betreffenden Land gebeten werden. Das ist in Ungarn zum Beispiel nicht der Fall. Wir helfen auch über den Suchdienst des DRK, wenn Familien während der Flucht auseinandergerissen wurden. Allein zwischen August und Oktober 2015 haben sich die beim DRK eingegangenen Suchanfragen zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen fast verdoppelt. Ende Oktober zählte der Suchdienst insgesamt 221 solcher Fälle.

EVA QUADBECK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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(qua)
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