Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen Ohne Kippa durch Problemviertel

Berlin · Weil die Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen ist, rät der Zentralrat der Juden vom Tragen der Kopfbedeckung in Stadtteilen mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil ab. Ein Münchner trägt seit zwei Jahren öffentlich Kippa - und hat andere Erfahrungen gemacht.

 Jüdische Gläubige mit Kippa bei einer Veranstaltung in Berlin.

Jüdische Gläubige mit Kippa bei einer Veranstaltung in Berlin.

Foto: dpa, jhe kat nie

Die Kippa ist eine kleine kreisförmige Kopfbedeckung, die im jüdischen Glauben Gottesfurcht signalisiert - und den männlichen Träger auch als Juden identifizierbar macht. Das aber hält Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in überwiegend von Muslimen bewohnten Vierteln einiger Städte mittlerweile für zu gefährlich. Juden sollten sich zwar nicht aus Angst verstecken, und die meisten jüdischen Einrichtungen seien gut gesichert, sagte Schuster dem Sender rbb. Die Frage sei aber, "ob es tatsächlich sinnvoll ist, sich in Problemvierteln, in Vierteln mit einem hohen muslimischen Anteil, als Jude durch das Tragen der Kippa zu erkennen zu geben - oder ob man da besser eine andere Kopfbedeckung trägt". Es sei eine Entwicklung, sagte Schuster, die er so vor fünf Jahren nicht erwartet habe, und die schon auch ein wenig erschreckend sei.

 Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, rät Juden zur Vorsicht in Problemvierteln.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, rät Juden zur Vorsicht in Problemvierteln.

Foto: ap

Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen

Tatsächlich hat die Zahl antisemitischer Straftaten im vergangenen Jahr in Deutschland zugenommen. Wurden 2013 noch 788 Fälle registriert, waren es im vergangenen Jahr 864 - das ist ein Anstieg um rund zehn Prozent. Ermittelt hat die Zahlen die Amadeu Antonio Stiftung, die sich der Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus verschrieben hat. So führt die Stiftung eine Chronik antisemitischer Vorfälle.

Allerdings lassen sich die Zahlen nur bedingt qualitativ aufschlüsseln. So sind laut Stiftungssprecher Robert Lüdecke von den 864 Vorfällen im vergangenen Jahr 25 Gewalttaten und 128 sogenannte Propagandadelikte, also etwa Hakenkreuzschmierereien. Die restlichen rund 700 Straftaten sind nicht speziell kategorisiert.

Auch über die Ursachen für den Anstieg liegen keine belastbaren Analysen vor. Lüdecke führt es vor allem auf den Gaza-Konflikt im vergangenen Sommer zurück. Damals hatte es verbreitet Anti-Israel-Demonstrationen gegeben. "Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Ressentiments", sagt Lüdecke. "Deutscher Antisemitismus verbindet sich mit muslimisch geprägtem Antisemitismus." Generell verzeichne die Stiftung eine Häufung von körperlichen Angriffen auf und Beleidigungen von Juden. Die Stimmung in den jüdischen Gemeinden gehe dahin, dass die meisten Mitglieder sich im Alltag unwohler fühlen würden. Dies sei nicht nur auf individuelle Angriffe zurückzuführen, sondern liege an einer spürbar antisemitischen Atmosphäre im Land. Die Stiftung, das American Jewish Committee und das Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam haben daher ein Netzwerk gegen Judenfeindlichkeit gegründet.

Auch andere Erfahrungen mit Kippa

Aber nicht alle Juden im Land möchten sich solchen Erfahrungen anschließen. Der Münchner Terry Swartzberg, Jude und Vorsitzender der Initiative "Stolpersteine für München", hat anderes erlebt. Vor 27 Monaten entschloss er sich, Kippa zu tragen - er wollte wissen, wie ausgeprägt die antisemitischen Vorurteile wirklich sind. Fortan war Swartzberg mit Kippa unterwegs, in München, aber auch in Berlin-Neukölln, also in einschlägigen Problemvierten. Und es passierte: nichts.

"Wenn Menschen reagiert haben, dann durchweg positiv", sagt er. Zumeist aber seien sie desinteressiert an seiner Kopfbedeckung gewesen. Angepöbelt wurde Swartzberg nie. Die aktuelle Diskussion hält der 61-Jährige für aufgebauscht. Seine Empfehlung: "Jeder Jude hierzulande sollte eine Kippa tragen, um zu sehen, wie judenfreundlich Deutschland ist."

Der badische Landesrabbiner Moshe Flomenmann dagegen pflichtet Schuster bei. Die Gefährdung von Juden in Deutschland sei nichts Neues, sondern Realität, sagte Flomenmann. Er erläuterte, die Kippa sei nicht heilig, sondern nur ein Bekleidungsstück, das ein Jude durch eine andere Mütze ersetzen könne, wenn er sich bedroht fühle.

(RP)
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