Kufr Zu dicht an der Mauer

Kufr · Die Stadtverwaltung von Jerusalem will für die Palästinenser in Kufr Akab eine Umgehungsstraße bauen - und dafür Häuser abreißen.

Akab Auf den letzten drei Kilometern vor dem militärischen Kontrollpunkt Kalandia ist nahezu immer Stau. Wie ein Trichter verengt sich die Hauptstraße, die von Ramallah in die Kleinstadt Kufr Akab führt bis hin zur Trennmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten. Wer nach Jerusalem will, muss für die Fahrt auf dem kurzen Stück Straße eine gute Stunde einkalkulieren. Nun will die Stadtverwaltung von Jerusalem, die für Kufr Akab zuständig ist, eine Umgehungsstraße bauen. 900 Meter lang soll sie direkt an der Mauer entlang verlaufen, dann Richtung Norden, um mit der Hauptstraße verbunden zu werden, wo sie vierspurig ist.

Bis zu 40 Minuten Wartezeit könnte durch die neue Straße eingespart werden, verspricht die Verwaltung. Trotzdem sind viele Palästinenser nicht glücklich mit dem Plan. Grund dafür sind vier mehrstöckige Wohnhäuser, die zu dicht an der Mauer stehen. Mindestens sieben Meter zwischen Trennmauer und Häuserwand schreibt das Straßenverkehrsamt vor. Um den Abriss zu verhindern, sind die betroffenen Wohnungseigentümer nun vor Israels Obersten Gerichtshof gezogen.

Von Jerusalem kommend liegt die umstrittene Straße gleich links hinter dem Kontrollpunkt. Vorläufig ist es nur ein Weg, noch nicht asphaltiert und teilweise stark vermüllt. Der junge Jassir Arafat, legendärer PLO-Chef und Palästinenserpräsident, unverkennbar mit seiner Kafijah, dem Palästinensertuch, ist an die Sperrmauer gemalt, neben ihm Marwan Bargouti, der einst die Intifada der Steine anführte. Die beiden Porträts liegen unter schwarzem Ruß - am Kalandia-Kontrollpunkt brennen nicht selten Autoreifen, fliegen Steine und Rauchbomben.

"Auf Wunsch der Anwohner von Kufr Akab und zu ihrem Wohl", so heißt es in einer Mitteilung der Stadtverwaltung von Jerusalem, wurde die neue Straße geplant. Nur öffentliche Verkehrsmittel sollen hier fahren dürfen. Busse, Taxis und Ambulanzen machen rund 20 Prozent des gesamten Verkehrs aus. Um den Plan umzusetzen, sei man zu dem Schluss gekommen, dass vier Gebäude, die "ohne jede Genehmigung auf der Route der geplanten Straße errichtet wurden" abgerissen werden müssen.

Kufr Akab gehört formal zum Einzugsgebiet der Stadt Jerusalem, ist aber durch die Mauer von Israel abgeschnitten. Für die hier lebenden rund 65.000 Palästinenser hat das Vorteile. Sie behalten ihren Status als Bürger Jerusalems und dürfen nach Israel einreisen, was den Palästinensern in Ramallah nur mit Sondergenehmigung möglich ist. Die Jerusalemer Palästinenser dürfen in Israel arbeiten, sind sozialversichert und können theoretisch sogar die israelische Staatsbürgerschaft beantragen. Gleichzeitig bleiben die Menschen, die hinter der Trennmauer leben, von der strengen Bauaufsicht, wie sie sonst in Israel üblich ist, verschont. In Kufr Akab wird eifrig gebaut ohne zeit- und kostenaufwendige Genehmigung und in der Regel ohne das Risiko, dass die Häuser wieder abgerissen werden.

Bauunternehmer Samer Shehade verkauft eine 160 Quadratmeter große Wohnung für 100.000 US-Dollar. Immobilien in Kufr Akab sind preiswert. "Die Käufer zahlen 10.000 Dollar an und den Rest zinslos in Raten verteilt auf sechs Jahre." Shehades kleines Büro, direkt über dem Lebensmittelgeschäft, in dem sein Sohn an der Kasse steht, ist unterkühlt. Der Mittvierziger sitzt in winterlicher Lodenjacke vor seinem Schreibtisch. Er hat einen Bürstenhaarschnitt und tiefe Ränder unter den Augen. In letzter Zeit schlafe er nicht mehr so gut. Shehade ist Teileigentümer von 88 der insgesamt 138 vom Abriss bedrohten Wohnungen. Fast alle seiner Wohnungen sind zwar schon an Familien verkauft, aber noch längst nicht abbezahlt. Als die Nachricht vom drohenden Abriss kam, hat Shehade die Arbeit in einem Neubau umgehend einstellen lassen.

Direkt vor dem Gebäude schiebt ein Schaufelbagger schon riesige Sandberge vor sich her. "Das sind mindestens zehn Meter Zwischenraum", meint Shehade und übertreibt dabei gewaltig: Sein Haus steht deutlich zu dicht an der Mauer. Shehade ist wütend. Hunderte andere Häuser seien seit dem Bau der Trennmauer vor 14 Jahren ohne Genehmigung errichtet worden, sogar eine Schule sei darunter und eine Krankenstation. "Wie kann die Stadt dann mit dem Argument kommen, meine Häuser seien illegal?", schimpft er. "Hier ist alles illegal."

Nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation B´tselem wäre es richtiger gewesen, eine weiter nördlich gelegene Umgehungsstraße zu bauen. Das aber würde bedeuteten, sehr dicht an zwei jüdische Siedlungen zu kommen, "die auch hier strategisch so platziert wurden, um eine palästinensische Ausbreitung zu verhindern", so B'tselem.

(RP)
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