Düsseldorf Professor Anton liest wieder

Herbert Anton haben Generationen von Studenten an der Heine-Uni gehört. Seine kunstvollen Vorträge füllten die größten Hörsäle und lockten sogar Nichtstudenten an die Uni. Nun kehrt der emeritierte Professor aus dem Ruhestand zurück – für eine Vorlesung über Gottfried Benn.

Herbert Anton haben Generationen von Studenten an der Heine-Uni gehört. Seine kunstvollen Vorträge füllten die größten Hörsäle und lockten sogar Nichtstudenten an die Uni. Nun kehrt der emeritierte Professor aus dem Ruhestand zurück — für eine Vorlesung über Gottfried Benn.

Herbert Anton braucht seine Vorträge. Schon deshalb, weil er sich sprechen hören muss, um zu denken. Zumindest sagt er das. Dabei ist der 72-Jährige ein geübter Denker, Schüler des Philosophen Hans-Georg Gadamer, früh gefördert bei einem Parisaufenthalt 1961-1963, wo bei seiner Reihe über "Aspekte der Modernität" sogar Arnold Gehlen und Theodor W. Adorno zuhörten. Was für eine Auszeichnung für den noch jungen Studenten! Er versuchte dann noch (vergeblich), das Vortragshonorar Gadamers für eine Woche Parisaufenthalt einzuteilen und erlebte später mit, wie Heidegger bei einem Zechgelage den elf Jahre jüngeren Gadamer nach Mitternacht ermahnte: "Sie sind nicht etwa müde?"

Heute nutzt Anton die Nacht zum Arbeiten. "Tagsüber komme ich kaum dazu. Ich muss im Haushalt den Biomüll in Zeitungspapier einpacken und entsorgen. Das Sortieren nimmt wahnsinnig viel Zeit in Anspruch", seufzt er. Trotzdem sind seine Vorträge noch immer kleine Kunstwerke — wie damals, als unter Germanistikstudenten die Frage rundging, ob man "den Anton" schon gehört habe.

Doch einen enormen Mangel haben seine Vorträge: Nachlesen ist nicht. Beim Abschied von der Heinrich-Heine-Universität 2001 hat Anton seine Vorlesungsaufzeichnungen einfach in einen Papiercontainer befördert. "Meine Mitarbeiter haben sie wieder herausgeholt, aber ich hab das dann erneut entsorgt", sagt er. "Es gibt drei Sorten von Professoren: Chaoten, Ordner und Vernichter. Ich bin ein Vernichter." Etwas pfleglicher geht er mit seinen Büchern um, er prüft, was er heute noch verwenden kann, alles andere wandert erst in den Keller und dann zum Antiquar. "5000 Bücher habe ich so schon weggegeben, manche jedoch teurer zurückgekauft, weil sie erneut interessant für mich wurden."

Alte Notizen aber zieht der in Alfter bei Bonn lebende Professor nie zu neuen Vorträgen heran, auch nicht für den über Gottfried Benn am 21. Oktober in der evangelischen Stadtakademie. Das erklärt die Lebendigkeit seiner Veranstaltungen. "Das kann auch schief gehen, sie müssen aufpassen, dass Sie nicht Dinge sagen, die Sie gar nicht sagen wollen", erklärt er verschmitzt. "Mir liegt sehr an einem partnerschaftlichen Dialog, ohne störende Pausen — außer denen des Nachdenkens. Die Teilnehmer sind meist sehr wach, kommen oft mit berechtigter Kritik." Inhaltlich kann er deshalb über seinen nächsten Vortrag noch nicht viel sagen.

Sicherlich aber werden Antons Markenzeichen dabei sein: Schal und Ledertasche, beides Arbeitsutensilien. Den Schal strickte ihm seine Frau nach dem ersten Vortrag in Heidelberg, wo er die Lüftung gefährlich im Nacken hatte, seitdem kommt der mit. Die Tasche ist dem freien Vortragsstil geschuldet: "Da ich nicht genau weiß, was ich sagen werde, weiß ich auch nicht, welche Zitate wichtig sein werden. Deshalb habe ich immer alle Bücher dabei." Nervös ist er trotzdem, auch als alter Hase.

Er plant, darüber zu sprechen, wann Benn avantgardistisch war und welche Art Intellektueller, über Anarchie und Ordnung, wilde Mystik. Nicht lesen will er das Gedicht "Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke" — angesichts der allgegenwärtigen Angst vor der Krankheit. Das Gedicht kann man nachlesen, seinen Vortrag nicht.

(RP)
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