Buch von Thomas Druyen 280 Seiten Kriegserklärung

Düsseldorf · Der Wissenschaftler und Publizist Thomas Druyen, Schwiegersohn und bester Freund von Udo Jürgens, präsentiert sein anregend-polemisches Buch für Wahrhaftigkeit und gegen eine allgegenwärtige Scheinheiligkeit.

 Thomas Druyen mit seinem neues Buch „Krieg der Scheinheiligkeit, das gestern in Düsseldorf vorgestellt wurde.

Thomas Druyen mit seinem neues Buch „Krieg der Scheinheiligkeit, das gestern in Düsseldorf vorgestellt wurde.

Foto: Bretz, Andreas

Thomas Druyen hätte bei der Präsentation seines 13. Buches werblich auf den Putz hauen können. Er hätte zum Beispiel gestern seinen berühmten Schwiegervater und besten Freund, Udo Jürgens, im Foyer eines Düsseldorfer Fünf-Sterne-Hauses am Steinway-Flügel aufspielen lassen können. Indes, Thomas Druyen hat das bewusst unterlassen, erklärt er doch der allgegenwärtigen Scheinheiligkeit, dem letztlich so verräterischen wie verführerischen "Mehr Schein als Sein" auf 280 Seiten den Krieg.

So fand keine Inszenierung mit Superstar-Beigabe, sondern eine Begegnung im kleinen Kreis mit dem ideenreichen, nachdenklichen, temperamentvollen Soziologieprofessor Druyen statt. Dessen Helden des Alltags sind jene, die nach Ehrlichkeit und nach Wahrhaftigkeit streben, für die der hehre Grundsatz "Gesagt — getan" keine Leerformel, vielmehr Richtschnur für die Lebensführung bedeutet. Bauchschmerzen, ja, nach eigenem Bekunden "Nierenkoliken" bekommt der 55-Jährige bei allen Auswüchsen von Scheinheiligkeit: in der Politik, im Wirtschaftsleben, im akademischen Betrieb (Stichwort: Plagiate), in der Gesellschaft mit ihrem politischen Korrektheits-Fimmel. Druyen, der gerne große Geister zitiert und an ihnen Maß nimmt, zitierte George Orwell: In Zeiten, in denen Täuschung und Lüge allgegenwärtig seien, sei das Aussprechen der Wahrheit ein revolutionärer Akt.

Zur Wahrheit gehört: Ein Ausbund an Scheinheiligkeit sind Teile der Finanzbranche, deren schiere Größe sie davor bewahrt, für ihre Verantwortlosigkeiten zur Verantwortung gezogen zu werden; oder Wahlkämpfer, die gegen ihre jeweiligen Rivalen Dreckschleudern betätigen, oder (siehe den US-Wahlkampf) die sich und ihr Familienleben um des schönen Scheins willen in den Vordergrund stellen. Druyen mag weder Naivling noch Weltverbesserer sein. Er weiß um die Branchen, deren Geschäftsmodell allein auf Inszenierung beruht, er kennt von seiner Tätigkeit als Reichtumsforscher den Unterschied zwischen glitzernden Neureichen und, im doppelten Sinn, Vermögenden mit starker Gemeinwohl-Ader.

Das Buch, das Formulierungs-Leckerbissen enthält und sich wie eine gelungene Polemik liest, ist mehr als Anklage scheinheiliger Zustände. Es stellt auch und eigentlich ein "Erkenne dich selbst" dar. Der Selbsterkenntnis sollte der Eigenbefehl folgen, die Scheinheiligkeit dadurch zu bekämpfen, indem man sie bei sich abstellt. Das kann schmerzhaft sein. Druyen plädiert für die Neuentdeckung eines gesunden Menschenverstandes und für das, was er Konkrethik nennt. Er will nicht Herrscher im Luftreich der Träume sein. Konkrethik ist dann, wenn sie in vernünftiges, wahrhaftiges Handeln mündet. Vielen Krisen, auch der Schuldenkrise, gehe eine Bewusstseinskrise voraus: "Da müssen wir ran." Der Liebe zur Scheinwelt setzt Druyen am Buchschluss Heinrich Heine entgegen: "Nur Narren wollen gefallen, der Starke will seine Gedanken geltend machen."

(RP/jco)
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