Bruder Matthäus Werner "Jeder Mensch braucht seinen Platz"

Düsseldorf · Bruder Matthäus Werner wird am Montag von der Rheinischen Post und center.tv als "Düsseldorfer des Jahres" ausgezeichnet. Damit wird sein Engagement in der Obdachlosenhilfe gewürdigt. Er hat 1995 mit Hubert Ostendorf das Straßenmagazin fifty-fifty ins Leben gerufen.

 Mit Gottes Hilfe: Bruder Matthäus ist mit 20 Jahren in den Orden eingetreten und widmet sich denjenigen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden.

Mit Gottes Hilfe: Bruder Matthäus ist mit 20 Jahren in den Orden eingetreten und widmet sich denjenigen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Sie wurden von den Lesern als "Düsseldorfer des Jahres" in der Kategorie "Soziales Engagement" ausgewählt. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Bruder Matthäus Werner Das war erst einmal eine Überraschung. Ich bin ja sehr gut vermarktet worden durch fifty-fifty und die Medien — und wenn man so gut vermarktet wird, ist es logisch, dass die Leute einen kennen und auswählen. Ich freue mich, dass die Arbeit und das Engagement gewertet und gewürdigt werden. Das finde ich natürlich gut. Ich hoffe, dass es für die Betroffenen, denen wir hier helfen, auch von Nutzen ist. Aber ich muss dazu sagen, dass natürlich nicht ich alleine die Arbeit leiste, sondern viele Mitarbeiter und Helfer das Ganze ermöglichen. Ich mache quasi nur Reklame.

Wen möchten Sie da besonders herausheben?

Bruder Matthäus Meinen Geschäftsführer Heinz-Theo Wollschläger, der den Verein der Ordensgemeinschaft der Armen Brüder des hl. Franziskus — Sozialwerke mit 250 Mitarbeitern leitet und organisiert und Hubert Ostendorf vom Verein Asphalt, der das Straßenmagazin fifty-fifty herausgibt. Es ist wichtig, dass die Aufgaben delegiert werden und jeder das tut, was er am besten kann.

Wie haben Sie Ihre Talente entdeckt?

Bruder Matthäus Ich bin ja im Düsseldorf der Nachkriegszeit aufgewachsen. Meine Eltern waren katholisch, haben den Glauben aber nicht ausgiebig praktiziert. Ich habe meine persönliche religiöse Berufung aber schon früh entdeckt: Ich bin gerne in die Kirche gegangen. Treu und brav ging ich morgens immer in die Frühmesse in der Pauluskirche. Die Botschaft Jesu Christi und das Reich Gottes, die enge Beziehung der Menschen zu Gott sind mir wichtig. Und dann habe ich überlegt, was ich mit meinem Leben mache. Ich wollte in einen Orden eintreten und Menschen helfen, aber nicht Priester werden — das war mir klar. Dann habe ich mich auf die Suche nach dem passenden Orden gemacht.

In der Ordensgemeinschaft der Armen-Brüder des heiligen Franziskus haben Sie dann Ihren Orden gefunden. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Bruder Matthäus Ich hatte ein Erlebnis in der Kindheit. Als ich mit einigen Freunden am Salierplatz in Oberkassel spielte, da war da ein betrunkener Mann, der auf der Bank saß. Meine Spielkameraden haben sich über den besoffenen Erwachsenen lustig gemacht. Aber ich war erschüttert, dass sich ein Erwachsener so gehen ließ und nicht mehr wusste, was er tut. Für mich war das ein armer Mann, ein Außenseiter, darüber konnte ich mich nicht lustig machen. Das Schicksal des Einsamseins, des Verloren- und Ausgegrenzt-Seins hat mich berührt und ich habe mich 1964 dieser Gemeinschaft angeschlossen.

Haben Sie gefunden, was Sie suchten?

Bruder Matthäus Ja. Aber am Anfang wurden meine Erwartungen etwas gedämpft. Damals kamen die Wohnungslosen noch in großen Schlafsälen unter. Die Menschenmassen, der Dreck haben mich erschüttert. Ich bin froh, dass wir heute wesentlich bessere Möglichkeiten bieten können.

Welche sind das konkret?

Bruder Matthäus Anfangs hatten wir ja nur hier am Rather Broich Räumlichkeiten. Mittlerweile haben wir sieben Häuser im gesamten Stadtgebiet erwerben können, um den Wohnungslosen eine Anlaufstelle zu geben. Wir organisieren Wohnangebote, Nachtunterkünfte, bieten stationäre Hilfe und Altenpflege. Außerdem versuchen wir, Wohnungslose auch wieder in Beschäftigung zu bringen. Aber das ist äußerst schwierig, weil die Wohnungslosen häufig nicht die Leistung bringen, die der Markt erwartet.

Deswegen haben Sie das Straßenmagazin fifty-fifty mitgegründet. 1995 ist die erste Ausgabe erschienen. Wie ist es zu diesem Engagement gekommen?

Bruder Matthäus Der Journalist Hubert Ostendorf ist auf mich zugekommen und hat von dem Straßenmagazin "Hinz und Kunz" erzählt, das in Hamburg herausgegeben wird. Er meinte, dass wir so etwas auch in Düsseldorf organisieren sollten. Ich fand die Idee gut, die Wohnungslosen dazu zu bringen, sich in die Öffentlichkeit zu stellen und zu arbeiten. Das ist ein guter Gedanke. Die Arbeit hilft zudem, den Tag zu strukturieren. Wobei ich dazu sagen muss, dass sie damit ja nicht ihren Lebensunterhalt verdienen können.

Aber die Arbeit unterstützt das Selbstwertgefühl.

Bruder Matthäus Genau. Die meisten Wohnungslosen fühlen sich nutzlos und überflüssig. Es gibt keinen Platz für sie in der Gesellschaft. Deswegen ist es mir auch besonders wichtig, ihnen zu zeigen, dass sie Talente besitzen und dass sie wertgeschätzt werden. Man muss sie fördern und ihnen den Glauben an sich selbst zurückgeben.

Diese Ansätze würde man ja auch in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wählen. War das jemals eine Option für Sie?

Bruder Matthäus Während meiner Zeit als Novize habe ich in einem Kinderheim in Aachen gearbeitet. Tatsächlich gibt es Parallelen in der Arbeit. Aber mein Herz schlug immer für die Arbeit mit Erwachsenen.

Welche Erkenntnis hat Ihr Wirken besonders beeinflusst?

Bruder Matthäus Zu Anfang habe ich versucht, den Menschen zu sagen, wo es lang geht. Aber ich habe erkannt, dass der Mensch sich selbst ändern muss. Ich kann da nichts bewirken. Er muss auf die Idee kommen.

Das ist eine ernüchternde Erkenntnis. Wie schaffen Sie es, weiter zu machen, wenn es auch mal Rückschläge gibt?

Bruder Matthäus Ich lasse nicht alles so nah an mich heran und ich vergesse vieles. Wenn ich von jedem Schicksal getroffen wäre, dann könnte ich keine gute Arbeit mehr leisten.

Welche Wünsche haben Sie denn für die Zukunft der Wohnungslosenhilfe?

Bruder Matthäus Die Existenz unseres Arbeitsprojektes Beschäftigungshilfe wird zurzeit politisch infrage gestellt. Die finanzielle Förderung soll zurückgefahren werden, weil man glaubt, die Arbeitslosigkeit sei so zurückgegangen, dass Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose und Menschen, die in besonderen sozialen Schwierigkeiten leben, so nicht mehr gefördert werden müssten Die Politik muss jedoch einsehen, dass es immer wieder Menschen gibt, die den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes nicht gewachsen sind, die aber dennoch durch subventionierte Arbeit Lebenssinn erfahren und dadurch ihren Wert und ihre Würde spüren.

Ist das der Wunsch nach einer leistungsfreien Gesellschaft?

Bruder Matthäus Nein. Ich glaube nicht, dass eine Gesellschaft total konkurrenzlos sein kann. Aber sie muss auch mit den Leistungsschwachen umgehen können. Schließlich muss jeder Mensch seine Würde behalten und einen Platz im Leben finden können.

Kerstin Artz führte das Interview mit Bruder Matthäus.

(RP/jco)
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