Rheinkirmes Düsseldorf Das Geheimnis einer guten Achterbahnfahrt

Düsseldorf · Andreas Wild leitet das Ingenieurbüro Stengel. Hier wurde der Looping für Achterbahnfans fahrbar gemacht. Ein Gespräch über die Formel Spaß.

 Andreas Wild ist Designer von Fahrgeschäften auf der ganzen Welt.

Andreas Wild ist Designer von Fahrgeschäften auf der ganzen Welt.

Foto: priv

Herr Wild, das ist schon lustig mit Ihrem Namen!

Wild Das höre ich natürlich öfter. Aber tatsächlich passt es ja ein bisschen.

Bauingenieure befassen sich gemeinhin mit stehenden Objekten. Das ist jetzt nicht so Ihr Ding.

Wild Nein. Aber Bauingenieure wissen viel aus vielen Fachrichtungen, und das ist sehr wichtig. Der Grundbau, die Hydraulik, Antriebe — das alles spielt beim Design eines Fahrgeschäftes eine große Rolle.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Wild Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für Achterbahnen und Geschwindigkeit, aber mein Schwiegervater hat mich dazu gebracht, in seinem Büro einzusteigen.

Der Achterbahn-Papst Werner Stengel. Er konstruierte den ersten Looping, den man ohne körperliche Probleme fahren konnte.

Wild: Und natürlich macht mir der Beruf sehr viel Freude. Die überwiegende Mehrheit der Menschen liebt ja die Dinge, die wir hier konstruieren. Wir verbreiten Spaß, das ist doch nicht so schlecht, oder?

Bestimmt nicht. Warum machen Karussells, Achterbahnen und Fahrgeschäfte eigentlich Spaß?

Wild Jetzt lass ich den Bauingenieur erst einmal beiseite. Der Spaß kommt, glaube ich, durch den Kick, durch die Illusion von Gefahr. Ich spreche da immer von sicherer Unsicherheit. Die schüttet das Adrenalin aus.

Sie meinen: Man spürt das Leben erst richtig, wenn man es einer Gefahr aussetzt?

Wild Man ist ja nicht in Gefahr. Aber es reicht halt die Illusion.

Dabei muss es dann richtig wild zugehen?

Wild Das Geheimnis einer guten Achterbahn ist nicht unbedingt die Wildheit. Ich glaube auch nicht die Geschwindigkeit. Wir und auch die Schausteller wollen ja, dass die Menschen möglichst oft fahren und nicht mit blauen Flecken aus den Kabinen steigen.

Was ist dann das Geheimnis?

Wild: Für mich muss eine Achterbahn etwa einen Lift-Hügel haben.

Den ersten Anstieg nach ganz oben.

Wild Gerade auf den Volksfesten will man doch auch die Aussicht genießen. Gleichzeitig gibt der Lift-Hügel Spannung, Noch kann ich aussteigen, denkt man vielleicht, gleich geht es los. Und dann muss die erste Abfahrt möglichst steil sein. Jetzt verliert der Gast die Kontrolle, muss sie verlieren. Man rauscht nach unten. Wichtig sind dann viele Beschleunigungswechsel, gepaart mit Linksrechtskurven.

Dann kommen die Fliehkräfte, oder?

Wild Damit spielt man bei Karussells. Bei Achterbahnen geht es hauptsächlich um g-Kräfte, die Kräfte also, die auf den Körper einwirken, wenn er beschleunigt wird oder seine Richtung ändert.

Die machen dann dieses Kieksen im Bauch?

Wild Kieksen, äh, das Gefühl der Schwerelosigkeit, meinen Sie wohl.

Ja, das.

Wild Das sind g-Kräfte. Wenn man eine Strecke mit kleinen Hügeln fährt. In der Talfahrt wirken mehr g-Kräfte, auf dem Gipfel weniger und die Organe werden hochgehoben. In den Tälern wird das Blut aus dem Kopf in den Körper gedrückt.

Probieren Sie, bevor sie ein Fahrgeschäft bauen, aus, wie die g-Kräfte wirken?

Wild Das wäre viel zu teuer. Wir haben aus der Physik und der Mathematik Formeln zur Berechnung, wie viel g-Kraft auf den Menschen wirkt. Dabei geht es besonders um die vertikale g-Kraft.

Also mehr g-Kraft, mehr Spaß?

Wild Nicht wirklich. Wir wollen höchstens eine vertikale Beschleunigung von sechs g. Mehr würde den Spaß verderben. Aber sechs g sind schon beachtlich. Die Astronauten beim Space-Shuttle-Start haben 3,5 g.

Das muss ja ein Spaß sein.

Wild Eher nicht. Die haben das über Minuten. In den Achterbahnen gibt es sechs g für eine Sekunde oder so.

Und die horizontale g-Kraft?

Wild Böse. Menschen sind dafür nicht konstruiert. Wir sind zum Laufen gemacht. Nicht zum plötzlichen Richtungswechsel. Deshalb versuchen wir bei den Fahrgeschäften nicht mehr als 1,2 bis 1,5 g an horizontaler g-Kraft zu erreichen. Außerdem sollte sich der Wert langsam aufbauen. Deshalb ist die "Wilde Maus" auch so heftig. Ich würde Eltern für ihre Kinder eher den Fünfer- Looping empfehlen als die "Wilde Maus".

Der Fünfer-Looping: Was halten sie von ihm?

Wild Er ist halt "The one and only", das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Und die Optik ist sensationell. Man darf nicht vergessen, dass er schon 20 Jahre alt ist. Sowas wird heute nicht mehr gebaut.

Warum eigentlich nicht? Warum gibt es keinen Sechser-Looping?

Wild Weil kein Schausteller mehr 20 Millionen Euro investieren kann. Die Banken würden da niemals mitmachen. Sehen Sie: Die Jugendlichen, die so etwas hauptsächlich fahren, haben ihre Handys. Die fahren den einmal, und das war es. Schausteller ist ein harter Job heutzutage, und er wird immer härter. Jetzt werden zum Beispiel Normen geändert und dem Europa-Recht angepasst. Wahrscheinlich werden Volksfeste, so wie wir sie kennen, deshalb in drei Jahren nicht mehr existieren. Wenn es ganz schlecht läuft, wird es demnächst vielleicht nur Bierbuden und Imbissstände auf den Festplätzen geben.

Was halten Sie von der Alpina-Bahn?

Wild Die stammt ja noch aus einer Zeit ohne Überschläge. Die Bahn ist richtig klassisch mit schnellen, tollen Umschwüngen. Seit ungefähr zehn Jahren ist so etwas wieder in. Optisch ist sie auch gut. Sie erzählt ja eine Geschichte mit ihrem Bergpanorama. Früher war sie mal die "Himalaya-Bahn".

Sehen Sie auf der Rheinkirmes neue Entwicklungen?

Wild Die Zeit der großen Neuheiten ist schlicht vorbei. Natürlich gibt es Geschichten, die eindrucksvoll sind, aber ein Fahrgeschäft braucht auch Kapazität. Ob sich das oft lohnt? Ich glaube eher nicht.

Eine Kirmes ohne Fahrgeschäfte ist schlicht nicht vorstellbar.

Wild Auf jeden Fall. Eine echte Kirmes braucht zum Beispiel ein Kettenkarussell. Für mich ist das aber nichts. Ich habe ein Problem mit dem Rundenfahren. Es gehört die Musik dazu, die Ansprache der Gäste.

Wasserbahnen?

Wild Wasserbahnen sind im Sommer natürlich super. Allerdings haben sie als Betreiber im Winter überall ein Problem. Außer in Skandinavien. Die finden es sehr lustig, wenn sie nach der Fahrt Eis im Bart haben.

Sind Sie den Fünfer-Looping eigentlich schon einmal gefahren?

Wild Zigmal. Jedes Jahr bei uns auf dem Oktoberfest in München.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE TORSTEN THISSEN

(RP)
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