Schauspielhaus-Premiere Hamlet in der goldenen Falle

Düsseldorf · Mit einigen Wochen Verzögerung hat der neue Düsseldorfer Intendant Staffan Holm jetzt auch sein renoviertes Großes Haus eröffnet: mit einer eigenen Inszenierung des "Hamlet". Die geriet unentschlossen, zeigt aber, wohin Holm will – zurück zum konzentrierten Schauspielertheater.

Mit einigen Wochen Verzögerung hat der neue Düsseldorfer Intendant Staffan Holm jetzt auch sein renoviertes Großes Haus eröffnet: mit einer eigenen Inszenierung des "Hamlet". Die geriet unentschlossen, zeigt aber, wohin Holm will — zurück zum konzentrierten Schauspielertheater.

Dänemark ist ein Gefängnis und der Königshof ein goldenes Verlies. Die Bühne ist umstellt von hohen, mattschimmernden Edel-Kerkermauern, keine Tür, kein Fenster. Der Zuschauer schaut in diese monumentale Blattgoldzelle, in der die Menschen klein wirken und der Wahnsinn gedeihen kann. Wie froh ist da der junge Hamlet, als die Schauspieltruppe auftaucht.

Endlich Leben im Bunkerpalast! Und endlich eine Chance, den Onkel zu überführen: Auf der Hofbühne sollen die Gaukler zur Schau stellen, wie der Onkel Hamlets Vater vergiftete, auf dass Claudius sich erschüttert selbst verrate. Hamlet ist der Regisseur dieses Jüngsten Gerichts. Fiktion soll den realen Schurken entlarven, ein Schauspieler die moralische Ordnung wieder herstellen, Theater die Wahrheit verkünden. Mehr kann man der Bühne nicht zutrauen.

Mit einem Stück, das die Macht des Theaters beschwört, hat Staffan Holm seine Intendanz am Düsseldorfer Schauspielhaus nun auch als Regisseur begonnen. Im frisch renovierten, auch akustisch auf den neuesten Stand gebrachten Großen Haus bringt er Shakespeares "Hamlet" auf die Bühne als konzentriertes Schauspielertheater.

Das wirkt zunächst radikal in seinem Ernst, seiner Entschlossenheit, auf Shakespeares Wort und die Kraft des Spiels zu vertrauen. Holm mutet seinen Darstellern die leere weite Fläche der großen Bühne zu, wirft ihnen mal eine Kanonenkugel als Spielball zu, verzichtet ansonsten weitgehend auf Requisiten, Musikuntermalung, Videoprojektionen. Das ist erfrischend puristisch. Eine Ära des Antimätzchen-Theaters soll da eingeläutet werden. Und weil Holm ein Lakoniker ist, erstarrt die Inszenierung nicht in Ehrfurcht.

Es hätte also ein großer Abend werden können, doch dann kommt das Spiel, auf das alles ausgerichtet ist, nur schleppend in Gang. Holms Zugriff auf den Stoff ist unentschieden. Das Politische, die Staatstragödie hat er mit Fortinbras gestrichen; Hamlet und Ophelia tanzen cool-keusche Tänzchen, für eine große Liebestragödie reicht ihre Glut nicht. Also bleiben das Zerbrechen einer königlichen Familie und die Psyche eines tragischen Helden, den das Denken zu lange am Handeln hindert.

Es geht also ums Private, doch ist dann auch keine scharfe psychologische Studie zu erleben. Holm hat sich für keinen der vielen möglichen Hamlets entschieden, die Figur nicht zugespitzt. Dabei erspielt sich Aleksandar Radenkovic in der Titelrolle durchaus bezwingende Szenen, wenn er etwa das selbstherrliche Muttersöhnchen gibt oder den rachsüchtigen Neffen oder den brüsk zurückweisenden Liebhaber. Doch das ist von allem ein bisschen und ergibt einen Hamlet, der zu sympathisch ist, zu wenig abgründig, um wirklich zu bewegen.

So bleibt das Feld Rainer Bock überlassen, der als Hamlets Onkel Claudius zu Hochform aufläuft. Bock lässt seine Figur changieren zwischen hemdsärmeligem Emporkömmling, zynischem Strategen und höhnischem Sünder, der sich Reue nicht mal ansaufen kann. Ein brutaler Nihilist, ein Macher mit Funktionärsbrille, der sich im Sarkasmus eingerichtet hat — da scheint endlich in einer Figur etwas auf von unserer Zeit. Das gilt für andere zentrale Rollen leider nicht: Imogen Kogge ist einfach eine tantenhafte Königin ohne Noblesse, eine betuliche eiserne Lady, die man ohne große Rührung sinken sieht. Lea Draeger gibt die Ophelia als staksige Kindfrau mit hipper Helmfrisur. Ihr Spiel bleibt spröde, bis sie barbusig in den Wahnsinn entschwindet.

Die beiden Studienfreunde des Hamlet lässt Holm zur Freude des Düsseldorfer Publikums von zwei altgedienten Darstellern spielen: Marianne Hoika und Winfried Küppers. Eine hübsche Generationenverschiebung, denn die beiden werden durch ihren jugendlichen Spieleifer zum melancholisch-komischen Paar. Zum seltsamen Einsprengsel gerät allerdings eine Schlüsselszene, in der Marianne Hoika als Hamlets Hofschauspieler Verse von Goethe und Sätze von Ingmar Bergman sprechen muss. Mit dieser eigenwilligen Monolog-Montage soll sie aus der Rolle fallen, sich existenziell verunsichert zeigen über das, was sie da auf der Bühne tut, doch diese Szene steht am Ende nur irritierend im Raum.

Zwischen den goldenen Wänden, die Holms Ehefrau Bente Lykke Moller entworfen hat, mehrt sich inzwischen die Zahl der Leichen im schicken Edelzwirn, doch kann alle Tragik das Gediegen-Statische dieser Inszenierung nicht vertreiben. Holm findet zu wenig sinnige Bilder, lässt die Schauspieler zu oft einfach in den Weiten seines goldenen Käfigs stehen, allein mit dem Text. Erst gegen Ende gelingt ihm ein großartiges Bild, als er Hamlet und dessen Widersacher Laertes mit Ophelias Urne rangeln lässt, bis Asche die beiden in graue Gespenster verwandelt, tot schon bevor ihr Duell beginnt.

Man spürt in solchen Momenten, dass am Düsseldorfer Schauspielhaus wieder großes, kühn auf die pure Kraft der Schauspielerei konzentriertes Theater möglich ist. Für den Auftakt hat Holm noch nicht genug riskiert, er ging in die Falle seines eigenen goldenen Käfigs. Doch ein Signal ist diese Inszenierung allemal. Das Publikum jedenfalls dankte für einen intensiven Shakespeare-Abend mit langem Applaus.

(RP)
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