"Labor für soziale und ästhetische Entwicklung" Letzter Versuch in der Bergerkirche

Düsseldorf · Nach zehn Jahren beendet Pfarrer Thorsten Nolting die Experimente in der Bergerkirche. Zu der Abschlussveranstaltung lud Nolting gestern zu einem "ironischen Medley" ein. Obwohl das Labor endet, geht das Programm an der Kirche unter der Leitung von Pastorin Ulrike Wewer weiter.

 Pfarrer Thorsten Nolting sitzt an einem ausgehobenen Grab.

Pfarrer Thorsten Nolting sitzt an einem ausgehobenen Grab.

Foto: Bußkamp, Thomas

Mit dem "Labor für soziale und ästhetische Entwicklung" ist Schluss, nach zehn Jahren zieht Pfarrer Thorsten Nolting die Bilanz: "Das Experimentelle hat seine Form gefunden, die Arena des Handelns ist jetzt ein dauerhaftes Format." Denn die vielen Aktionen in der Bergerkirche, mit denen Freunde und er nach neuen Aussageformen für die Verkündigung des christlichen Glaubens suchten, sind längst zum festen Programm mit Kunst, Musik und Meditationen geworden. Und Nolting, früher an der Johanneskirche tätig, ist inzwischen Vorstand der Diakonie Düsseldorf. "Ich habe also jetzt einen anderen Beruf", nannte er den zweiten Grund für das Labor-Finale.

So verabschiedete er sich gestern unter dem Motto "Der letzte Versuch" mit Veranstaltungen von zwölf bis 21 Uhr von seiner kreativen Spielwiese. "Alles hat seine Zeit", hieß es zuletzt. Zum Auftakt wiederholte Nolting seine "geistliche Übung zum Thema Auferstehung", die ihm vor Jahren zur eigenen Verwunderung Ruhm und Rüffel eingetragen hatte. So "sensationalistisch und medial wirksam", wie jener Laborversuch in der Öffentlichkeit ankam, war er nie gedacht gewesen, sagte er nun. Deswegen hat er dies Mal die Aktion "Jedes Grab ist zu eng", etwas entschärft, indem er nur eins statt zwei Gräbern hat ausheben lassen.

Nochmals also legte er sich mit Paulus-Texten, Decke, Taschenlampe und Mikrofon in eine Art Grab auf dem Kirchhof. "Eng, aber auch ein bisschen gemütlich, wie auf der Couch eines Psychoanalytikers", kommentierte er, um dann nach der unterirdischen Predigt die Bretter der Abdeckung jäh aufzustoßen und aus der Grube zu springen: "Ich darf leben und darf mich darüber freuen. Alles Gute."

Als Gleichnis für Befreiung sieht Nolting das offene Grab. Als Meditationshilfe werden die von ihm zitierten Texte unter die rund zwei Dutzend Zuschauer verteilt: Worte des Apostels Paulus, der laut Nolting ja auch "krasse Bilder" formuliert habe.

Von der Taufe in den Tod zu neuem Leben, heißt es da etwa als Verheißung für alle Christen. Oder bei der Lyrikerin Marie Luise Kaschnitz im Gedicht "Auferstehung" (1962): "Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage / Mit unserem lebendigen Haar / Mit unserer atmenden Haut." Die Verse münden in die Vision von einem "Haus aus Licht".

Suppe zum Mittag an Tischen draußen, Anregungen zur Nächstenliebe, "freie Reden mit christlichem Unterton", vorgetragen von Nolting und Pfarrer Heinz-Werner Frantzmann, der für die Arbeit in der Bergerkirche ein Team von rund 20 ehrenamtlichen Helfern gegründet hat — und viel Musik prägten den Tag.

Noch einmal sollte in Zitaten die Vielfalt aufleben, die seit Februar 2000 hier gepflegt wurde. "Eine Art ironisches Medley als Schlusspunkt unter zehn bunte Jahre im Dienst der Kirche", so Nolting. Stefan Schneider zum Beispiel spielte auf der Orgel die aktualisierte Kurzfassung eines achtstündigen Konzertes von 2005. Nolting begrüßte "Freunde und Hausgenossen" als Aktive und im Publikum.

Unter ihnen der Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball, seit 2007 Professor in Köln. An Noltings Labor lobte er "die Lust am Unwägbaren" und überbrachte ein Geschenk, mit dem die Bergerkirche künftig noch mehr Förderer zu gewinnen hofft. Kuball hat einen Dessertteller gestaltet, dessen Dekor schemenhaft an einen nie verwirklichten Traum der Gemeinde einst in der Barockzeit erinnert: einen Kirchturm. Jedes Mitglied des Freundeskreises, den die Diakonie gegründet hat (Jahresbeitrag 100 Euro), erhält einen solchen Teller. Auf dem ersten Exemplar verteilte Kuball Apfelstückchen unter den Gästen.

Wie geht es weiter? Pastorin Ulrike Wewer, die im Haus nebenan Erziehungs- und Lebensberatung bietet, übernimmt die Organisation. Auch künftig jeden Freitag um 12 Uhr Gottesdienst, jeden Donnerstag um 19 Uhr (außer in den Schulferien) Ringgespräche mit dem Beuys-Schüler Johannes Stüttgen, regelmäßig auch Vokalimprovisationen unter Chorleitung von Barbara Beckmann, immer wieder auch Konzerte mit dem hauseigenen einzigartigen Instrument "or/bit", einem Zwitter aus Orgel und Synthesizer, Vorträge, Andachten — und Armenspeisungen. Diese wurden übrigens von dem Experiment "Armensuppe für alle" inspiriert. Nolting hatte bei diesem Versuch entdeckt, dass die Bergerkirche ein wunderbarer Ort zum gemeinsamen Essen ist.

In Zukunft ist eines aber auf keinen Fall zu befürchten an dieser schönen Stätte in der Altstadt: Grabesruhe.

(RP)
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