Opernhaus Düsseldorf Schläpfers neuer Ballettabend

Düsseldorf · Am Düsseldorfer Opernhaus hat sich Ballettdirektor Martin Schläpfer Schumanns "Rheinische" Sinfonie vorgenommen und zeigt eine Choreografie mit Bezügen zur Biografie des Komponisten. Dazu ist Hans van Manens "Compositie" zu sehen und eine starke Arbeit von Regina van Berkel.

Ach, wie fließt der Rhein so schön in den ersten Minuten von Schumanns 3. Sinfonie, mit dem prächtigen Hauptthema, dem stolzen, fast triumphalen Aufschwingen des gesamten Orchesters und dem feinen Gewoge, das dann folgt. Da rauscht ein Fluss breit und selbstzufrieden durch rheinische Lande und lässt sich seine Wellen durch die Sonne vergolden. Man kann da noch glauben, Schumanns "Rheinische" sei ein heiteres Werk.

Dass es so einfach nicht ist, ist jetzt in der Rheinoper zu erleben, in der neuen Arbeit des Ballettdirektors Martin Schläpfer. Der vertraut sich anfangs zwar noch ganz dem Wasser an, lässt Paare in fließenden Bewegungen auf die Bühne strömen. Sie tragen blaue Trikots mit glänzenden Schlieren, die aussehen wie schimmerndes Öl auf Wasser, und bieten ein munter wogendes Schauspiel. Doch dann ist da schon im ersten Satz ein Tänzer, der in eine grüblerische, ja stumm verzweifelte Haltung verfällt, aus der er sich nur retten kann, in dem er sich an einen anderen klammert, ohne dass diese Umarmung etwas Tröstliches hätte. Es scheint da auf, dass Schumann die Sinfonie zwar in einem ersten Hochgefühl als Neuankömmling in Düsseldorf aufs Blatt geworfen hat, dass sich in dieser Musik aber auch all das Quälende abgelagert hat, das ihn drei Jahre später in den Rhein treibt. Wie viel Pein steckt etwa im vierten Satz, diesem verzweifelt schönen Choral. Schläpfer lässt da klassisch Spitze tanzen, präsentiert sein Ensemble in feierlicher, dunkler Schönheit.

Leider schält der Ballettchef jedoch immer wieder Einzelfiguren aus solchen Bildern, die allzu direkt auf Schumanns Biografie verweisen. Da verkörpern zwei Tänzer Brahms und Schumann beim Wettlauf im Kreis, ringen um Clara, die Frau in ihrer Mitte. Später werden sie auch mal nebeneinanderstehen und wetteifern, wer den Mund weiter öffnet zum stummen Schrei. Oder es werden Kinder auf die Bühne kommen in Schlafgewändern im 19. Jahrhundert-Look, die Clara folgen wie eine Schar lästiger Entlein. Da bedient Schläpfer die gängigen Schumann-Klischees, noch dazu in so offensichtlichen Bildern, dass auch der Rest nicht mehr die Sogkraft des Verschlüsselten entfaltet, die den Zuschauer bei Schläpfer sonst so bannt. Es ist, als habe sich der zu Recht gefeierte Choreograf diesmal in den biografischen Bezügen verrannt, als hinderten sie ihn daran, seine sonst so eigenständige, aus der Essenz der Musik gewonnene Körperbildersprache zu entwickeln.

Das gelingt an diesem Abend der niederländischen Choreografin Regina van Berkel, die als Tänzerin unter anderem Ensemblemitglied bei Forsythe in Frankfurt war und seit 1998 als Choreografin arbeitet. Der Installationskünstler Dietmar Janeck hat ihr aus Computerbildschirmen ein Gerippe gebaut, das in leichtem Schwung über der Bühne hängt wie die Wirbelsäule eines Dinos — futuristisch und archaisch zugleich. Dazu spielen die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung der Mainzer GMD Catherine Rückwardt zeitgenössische Musik des niederländischen Komponisten Theo Verbey. Es sind gewaltige Klänge, die da aus dem Orchestergraben dringen, mal düster dräuend mit schwerem Blechbläsereinsatz, dann plötzlich entrückt zirpend, wenn die Streicher zu obertonreichen Flageoletttönen greifen. Zitatreiche Musik ist das, die Assoziationen weckt wie Filmmusik. Dazu zeigen die Tänzer in erdfarbenen, gerafften Kostümen eigenwillig verdrehte, verschnörkelte Bewegungen. Mal wirken sie wie eine organische Masse, in der ein Teilchen dem anderen Impulse gibt. Das wuchert und rankt unter dem Riesenwirbel, und versetzt den Zuschauer in die unwirtliche Science-Fiction-Welt eines garstigen Planeten.

Manchmal finden die Tänzer auch zu klaren Ordnungen, tanzen in der Diagonalen oder in Formationen, lassen plötzlich in all den barocken Windungen System erkennen, zähmen das Chaos. Dazu gibt es Randfiguren wie eine Dame mit verwehter Rokoko-Frisur, von deren Finger ein seidener Blutfaden tropft oder eine Tänzerin in reinweißem Gewand mit verwickelter Schleppe. Ihr Geheimnis geben diese Figuren nicht letztgültig preis, aber sie alle weben mit an der dichten, sphärischen Atmosphäre dieser starken Arbeit "Frozen Echo".

Im spannenden Kontrast dazu steht die erste Choreografie des Abends, Hans van Manens 1994 uraufgeführtes Werk "Compositie". Es ist eine Arbeit, die ihre Kraft aus der Klarheit zieht. Acht Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich in perfekter Spiegelsymmetrie um zwei quadratische Tische. Das ist in seiner Durchsichtigkeit höchst anspruchsvoll und läuft beim Düsseldorfer Ensemble ab wie ein gut geöltes Uhrwerk. Bis sich Julie Thirault und Bogdan Nicula in einem hinreißenden Pas de deux von der starren Ordnung befreien.

So spannt Schläpfer in seinem klug arrangierten b.07 den Faden von einem abstrakten Humanisten bis zum Romantiker Schumann, der mit vermeintlicher Heiterkeit in den Abgrund blickt.

(RP/rai)
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