Menschen mit Behinderung Liebe am Ende des Flurs

Düsseldorf · Sonja Schwittek und Sven Janssen sind seit zwei Jahren verlobt. Dass sie Trisomie 21 haben, verhindert zwar, dass sie ganz unabhängig sein können, aber sie gestalten ihr Leben als Paar. Heute sind sie zu Gast in der Black Box, wenn dort eine Doku über ein Paar mit Down-Syndrom läuft.

 Wie frisch verliebt: Sonja Schwittek (31) und ihr Verlobter Sven Janssen (36).

Wie frisch verliebt: Sonja Schwittek (31) und ihr Verlobter Sven Janssen (36).

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Für ihren großen Tag hat sich Sonja Schwittek (31) ein weit schwingendes Chiffonkleid gekauft, rot wie die Liebe. "Ein Killerkleid", sagt sie und lacht so fröhlich, dass es sie kaum auf dem Stuhl hält. "Sie ist meine Traumfrau", sagt Sven Janssen (36) und streichelt seiner Freundin über den Arm. Da wird sie ruhig, schaut ihn an, drückt ihm einen Kuss auf die Stirn. Seit zwei Jahren sind die beiden verlobt — vom Down-Syndrom haben sie sich nicht aufhalten lassen.

Sonja Schwittek und Sven Janssen haben Trisomie 21, ihr Erbgut ist verändert, darum fällt ihnen abstraktes Denken schwer, auch brauchen sie ein wenig Unterstützung im Alltag, damit sie es morgens pünktlich zur Arbeit schaffen oder beim Bummel in die Stadt nicht die Orientierung verlieren. Schwittek arbeitet als Einpackerin, Janssen in der Kantine einer speziellen Werkstatt. Als behindert empfinden sie sich nicht. "Wir machen viel nach der Arbeit", erzählt Schwittek, "Schwimmen, Lesekreis, Musik hören — ganz laut aufgedreht", sagt sie. "Oder tanzen", ergänzt ihr Verlobter. "Ja, Walzer und Tango — tata", sagt Schwittek und wirft den Kopf in Pose.

Seit sechs Jahren unternehmen die beiden solche Dinge zu zweit — als Paar. Weil das noch immer ungewöhnlich ist, sind sie heute zu Gast in der Black Box des Filmmuseums. Dort läuft "Monica und David", eine Dokumentation über die Hochzeit eines Paares mit Down-Syndrom, das in Florida lebt. Schwittek und Janssen werden nach dem Film Fragen der Zuschauer beantworten. Was die Leute wohl wissen wollen, können sie sich nicht vorstellen, aber sie freuen sich auf den Abend. "Und da kommen noch andere Paare hin wie wir", sagt Sonja Schwittek.

Ihren Freund kennt sie seit vielen Jahren. "Wir sind schon zusammen in den Kindergarten gegangen", sagt Sven Janssen, "aber vor sechs Jahren habe ich sie gefragt, ob sie meine Freundin sein will." Seitdem leben sie ihr Leben gemeinsam, sind füreinander da — und wollten das irgendwann auch mit der Familie feiern. Also planten sie mit den Eltern ihre Verlobung, kauften das rote Kleid für Sonja, für Sven einen Frack und für beide goldene Ringe. "Damit wir auch richtig verlobt aussehen", sagt Sonja Schwittek.

Die junge Frau holt ein Fotoalbum aus ihrem Zimmer. Ein gelbes Bild mit einer Porträtaufnahme der Beiden vor rotem Herz klebt auf der ersten Seite. In goldenen Lettern steht "Verlobung" darüber. Dann folgen die Party-Fotos: Sonja in ihrem Killerkleid am Arm ihres Vaters, Sven im Frack, Eltern, Geschwister, Freunde, die gratulieren, das Buffet, Herz-Luftballons, Sonja und Sven, wie sie sich küssen.

Gefeiert haben die beiden daheim, in einem Haus des Düsseldorfer Vereins Lebenshilfe in Benrath. 16 Menschen mit Behinderung leben dort. Jeder hat ein eigenes Zimmer, zwei teilen sich jeweils ein Bad, im Erdgeschoss gibt es eine Küche und ein Esszimmer für alle. Die Küchendienste werden aufgeteilt.

Die Räume von Schwittek und Janssen liegen am Ende eines Flurs hinter einer Zwischentür. So haben sie eine kleine Diele, die Schwittek mit ihrer Schwester vor einiger Zeit umgestaltet hat. Jetzt leuchtet der Eingang sonnengelb, neben der Tür hängen ein rot gerahmtes Foto von beiden in Herzform und ein Hufeisen. Hier beginnt ihr Reich.

In Schwitteks Zimmer stehen ein Schreibtisch, Regale mit Büchern DvDs, Fernseher, ein Bett und ein Sofa. Das kann man ausziehen, am Wochenende übernachtet ihr Freund dort. Wenn die beiden arbeiten müssen, schläft er im eigenen Zimmer gegenüber. Beide haben Bettwäsche mit dem Emblem des Fußballclubs Bayern München aufgezogen. "Wir sind Fans", sagt Schwittek. "Zu Fortuna können wir leider nicht halten. Wir sind Bayern-Fans, immer schon", sagt sie, "und ich mag Harry Potter." Ihr Freund lacht. "Ja, bald kommt der letzte Harry-Potter-Film ins Kino. Da gehen wir hin, obwohl ich kein Fan bin", sagt er. "Herzlein", sagt die Freundin und schmiegt sich an ihn.

Bald wollen die beiden ihre Zimmer umräumen, sich einen Wohn- und einen Schlafraum teilen. "Wie ein Verlobungspaar", sagt Sven Janssen. Den ersten Jahrestag ihres großen Festes haben sie würdig gefeiert. Sie sind ein paar Häuser weiter in eine Pizzeria gegangen, haben einen Tisch bestellt, sind nach Hause zurückgelaufen, haben sich in Schale geworfen, dann sind sie Essen gegangen. "Spaghetti ist unser Lieblingsessen", sagt Janssen.

Auch in "Flitterwochen" ist das frisch verlobte Paar vor zwei Jahren gefahren. Nach Monschau. Bei ihrer Feier hatten sie einen Spielzeug-Reisebus aufgestellt. Statt Geschenke mitzubringen, steckten die Gäste Geld in den Bus, so konnten die beiden mit einem Betreuer eine Woche in die Eifel reisen, sich Monschau ansehen, spazieren gehen, lecker essen. "Schön war das", sagt Sonja Schwittek, "mit meinem Schatzilein."

Was ist Liebe für die beiden? Sven Janssen findet die Frage schwer. Seine Freundin schaut ihn aufmunternd an. "Denk nach", sagt sie und streichelt seine Hand. Als er verlegen wird, gibt sie die Antwort: "Lieb haben", sagt sie "und zusammen bleiben."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort