Düsseldorf Schützen meiden Problemviertel

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Schützenverein St. Sebastianus ändert in diesem Jahr die Zugstrecke seines Festumzugs. Grund sind angebliche Anfeindungen und Pöbeleien von marokkanischen Anwohnern im Stadtteil Oberbilk, der als sozialer Brennpunkt gilt.

Das ist die St. Sebastianus Schützenbruderschaft in Oberbilk
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Das ist die St. Sebastianus Schützenbruderschaft in Oberbilk

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So viel Aufmerksamkeit hatte der Schützenverein St. Sebastianus im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk lange nicht mehr. Dabei soll doch bloß der alljährliche Festumzug im Sommer einen neuen Weg gehen. Begründet wird das unterschiedlich — und jede Erklärung sorgt für Wirbel. Denn die Schützen wollen im August eine Straße meiden, an der mehrere marokkanische Cafés liegen und an der viele Menschen mit Migrationshintergrund leben.

Schützensprecher Hans Jürgen Brock hatte am Rande des jährlichen Empfangs, den die Schützen und der Bürgerverein im Stadtteil gemeinsam ausrichten, von Pöbeleien gegen den Festzug berichtet. Die überwiegend jungen männlichen Gäste der marokkanischen Cafés hätten die Schützen in den vergangenen Jahren mehrfach als nationalistisch beschimpft, sogar Gegenstände sollen geflogen sein, und die Pferde im Festzug hätten gescheut. "Da gehen wir nicht mehr hin", sagte Brock — und löste damit einen Sturm der Entrüstung aus.

Prompt musste sich der Schützensprecher am nächsten Tag korrigieren. Die Sache mit den geworfenen Gegenständen sei wohl "eine Fehlinformation" gewesen. Und der zweite Chef des Vereins will nicht einmal von Pöbeleien, die laut Brock mehrfach Thema in Vorstandssitzungen gewesen sind, gehört haben. "Wir ändern den Zugweg, weil in dem genannten Bereich der Ausländeranteil hoch und das Interesse am Schützenwesen gering ist", sagte Ulrich Köppen. "Da könnten wir genauso gut durch einen dunklen Tunnel ziehen." Ein Vergleich, den mancher für vorgeschoben hält, um nicht rechtsextreme Parolen zu bedienen, die sich nach den ersten Berichten prompt erhoben. Dennoch: Die Oberbilker Sebastianer, eine Schützengemeinschaft unter dem Patronat des heiligen Sebastianus, fühlen sich offensichtlich im eigenen Stadtteil ausgegrenzt. Unterstützung erhalten die Schützen vom Kölner Weihbischof Heiner Koch, der tief bestürzt auf die Nachricht reagierte, dass die Zugstrecke wegen der vermeintlichen Pöbeleien auf eine andere Route verlegt wird. "Das macht mich traurig", sagt er. Koch ist auch Bundespräses der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften. "Normalerweise begegnen uns muslimisch Gläubige stets mit Respekt", sagt er.

Im Bistum Essen erklärt man sich die Anfeindungen mit dem zunehmenden Werteverfall in der Gesellschaft gegenüber der christlichen Kultur. "Da ist es nicht erstaunlich, dass der Respekt gegenüber allem Religiösen bei vielen Mitbürgern schwindet", sagt ein Bistumssprecher. "Je größer die Gruppe ist, die nicht religös sozialisiert ist, desto höher ist die Zahl der Anfeindungen gegen kirchliche Einrichtungen und Traditionen." Soziologen teilen die Einschätzung. "Bestimmte Gruppen beleidigen die Schützen, weil etwa die Trachten nicht in ihr Lebensbild passen. Sie verstehen nicht, was das soll. Deswegen provozieren sie", erklärt Marius Harring vom Zentrum für Jugendforschung der Universität Bielefeld. "Manche Jugendliche haben im Elternhaus nicht gelernt, dass man friedlich und respektvoll mit anderen Menschen umgeht. Es ist auch ein kulturelles Problem."

Die Zeiten, in denen jedermann im Viertel sein Haus mit bunten Fähnchen schmückte, wenn das Schützenfest ins Haus stand, seien "auch anderswo schon lange vorbei", sagt der Oberbilker Pfarrer Ansgar Puff, der selbst seit Jahren mit dem Schützen-Festzug durch den Stadtteil zieht. "Wenn ich mit der Karfreitags-Prozession durch Oberbilk gehe, ruft man mir auch aus manchen Kneipen zu ,willste'n Bier' — das muss man nicht überbewerten." Und dafür, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Oberbilk sehr hoch sei, "leben wir hier doch ganz friedlich miteinander".

147 Nationen sind in dem einstigen Industrieviertel hinter Düsseldorfs Hauptbahnhof vertreten. Von einem homogenen Stadtteil ist Oberbilk noch weit entfernt. Gerade der Schützen- und der Bürgerverein haben sich dort bislang immer für ein neues "Wir"-Gefühl stark gemacht und sich um Integration bemüht. Sogar der Festzug wurde schon einmal geändert: Ein Altenheim hatte darum gebeten, im Zugweg berücksichtigt zu werden. CDU-Ratsherr Jürgen Kirschbaum, selbst bei den 6. Grenadieren im Verein, rät zum Gespräch mit den Café-Betreibern, "wenn es dort Differenzen gibt".

(RP)
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