Architektin Ursula Ringleben in Düsseldorf Tausendfüßler: "Die Stadt verliert eine Kennmarke"

Düsseldorf · Der Abriss des Tausendfüßlers ist für Architektin Ursula Ringleben, Mitglied der Initiative Lott Stonn, nicht durchdacht und ein Verlust für Düsseldorf. Das Planungsverfahren der Stadt sei unvollständig, die neuen Tunnelrampen ein Schandfleck.

Historische Bilder vom Tausendfüßler
5 Bilder

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Frau Ringleben, in Kürze wird der Tausendfüßler abgerissen. Sie haben als Vorstandsmitglied des Bundes Deutscher Architekten (BDA) mit der Initiative Lott Stonn für die Erhaltung gekämpft. Wie fühlen Sie sich?

Ringleben Verständnislos. Es ist unbegreiflich, dass die Stadt den Erhalt des denkmalgeschützten, einmaligen Tausendfüßlers nicht bis zum Ende durchdacht hat. Es gibt bei der Gestaltung der Stadtmitte von Düsseldorf den Konflikt zwischen Bewahren und Erneuern. Den hat die Stadt nicht angesprochen und alle Aspekte der Situation nicht konsequent durchgespielt.

Was hat die Stadt nicht beachtet?

Ringleben Es gibt drei große Kritikpunkte. Zum Ersten ist die städtebauliche Entwicklung nur unvollständig und fehlerhaft bedacht worden. Der Tausendfüßler und der Jan-Wellem-Platz sind das Herz der Stadt. Das wurde für die Planung getrennt. Es gab zwei unabhängige Planungsverfahren, einen für den Jan-Wellem-Platz mit neuer Bebauung und einen für den Abriss des Tausendfüßlers. Das Areal wurde nicht zusammen betrachtet. Vor allem aber wurden — beispielsweise durch einen Ideenwettbewerb — keine Möglichkeiten geprüft, den Tausendfüßler stehenzulassen. So kennen wir keine Alternativen.

Was kritisieren Sie außerdem?

Ringleben Der zweite Kritikpunkt ist die große Geldverschwendung durch den Bau des neuen, sehr teuren Tunnels als Ersatz für den Tausendfüßler. Es hätten Kompromisse gemacht werden können, die auch der BDA gemacht hat: Den Tausendfüßler erhalten und den Tunnel in Gegenrichtung kürzer bauen. Mit diesem preiswerten Kompromiss wäre man gut gefahren, wenn man heute sieht, dass für einen ausgeglichenen Haushalt große Summen gespart werden müssen. Der dritte Kritikpunkt hängt damit zusammen. Es ist versäumt worden, auf die Nachhaltigkeit von bestehenden Bauten zu achten und Sanierungsmöglichkeiten zu prüfen.

Welche Auswirkungen hat der Tausendfüßler auf das Bild und das Image der Stadt?

Ringleben Der Tausendfüßler ist eine Kennmarke der Stadtentwicklung. Er steht für den Stil dieser Zeit und die Konzeption der Planung in den 1960er Jahren, als Düsseldorf zu einer Stadt der Brücken werden sollte. Als ich in den 1970er Jahren nach Düsseldorf kam, sind mir mehrere einmalige städtebauliche Situationen aufgefallen. Dazu gehörte der Dreiklang von Bauten der Nachkriegsmoderne — Dreischeibenhaus, Schauspielhaus und Tausendfüßler — ebenso wie der Hofgarten und der Ehrenhof.

Der Verkehrsminister hat seine Entscheidung für den Abriss damit begründet, dass der Tausendfüßler saniert und verändert werden müsse. Hätte der Tausendfüßler trotz Veränderungen stehenbleiben können?

Ringleben Auf jeden Fall. Ich kenne die Kritik, dass der Tausendfüßler durch Veränderungen kein Denkmal mehr ist. Aber es gibt viele Beispiele, dass denkmalgeschützte Bauten bei der Aufrüstung auf den neuesten technischen Stand ihr Aussehen ändern, aber trotzdem ihren Charakter bewahren. Es gibt gute Beispiele, etwa das ehemalige Mannesmann-Hochhaus oder die Haniel-Hochgarage. Auch beim Tausendfüßler wäre das möglich gewesen. Die ersten Entwürfe für eine Sanierung der Hochstraße waren so schlecht nicht.

Befürworter des Abrisses heben hervor, dass der Hofgarten vergrößert wird und zusammenwächst.

Ringleben Das ist nicht der Fall, denn die Tunnelrampen durchschneiden den Hofgarten. Auch die Straßenbahntrasse bleibt bestehen. Tragisch finde ich es, dass die Jägerhof-Passage zerstört ist. Sie war eine wichtige und gute Verbindung für Fußgänger und vor allem für Radfahrer. Außerdem wird der Park-Charakter des Hofgartens an der Landskrone zerstört, weil die neuen Gebäude sehr nahe ans Ufer rücken. Die Befürchtung, sie könnten den Park erdrücken und die eigenständige Grünanlage zu ihrem Vorgarten degradieren, hat sich bestätigt.

Stichwort Rampen: Können sie in das Stadtbild integriert werden?

Ringleben Ich kenne keine Stadt mit gelungen gestalteten Rampen für Autotunnel. In manchen Städten werden Tunnel bereits wieder zugeschüttet. Die Düsseldorfer Stadtplaner haben von den Erfahrungen der anderen nichts gelernt. Sie hätten ein neues, grundlegend verändertes Verkehrssystem erarbeiten können, anstatt durch die breiten Tunnel noch mehr Autoverkehr in die Stadt zu holen. Tunnelrampen sind Schandflecke in der Stadt. Die fertige Ausfahrt auf der Elberfelder Straße beweist das: Der Blick auf die alten und neuen Gebäude auf dem Schadow- und Jan-Wellem-Platz über dem dunklen Loch ist fast zynisch zu nennen. Da ist Urbanität nicht zu spüren.

Hätte die Stadt mit dem Tausendfüßler Chancen für ihre Entwicklung gehabt?

Ringleben Düsseldorf hätte eine wichtige Kennmarke behalten, der Tausendfüßler unter den Gesichtspunkten des Denkmalschutzes weiter entwickelt werden können. Die nötigen Ideen hätten Wettbewerbe liefern können. Außerdem hätte die Stadt Kosten sparen können. Wenn der Tausendfüßler noch etwa 20 Jahre stehengeblieben wäre, hätte die Stadtverwaltung Zeit gewonnen, ihr Verkehrskonzept an die neuen Entwicklungen anzupassen.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Auseinandersetzung um den Tausendfüßler?

Ringleben Wir werden die Stadtplanung weiter beobachten, uns einmischen und gegebenenfalls den Finger auf die Wunde legen. Es gibt noch viele wichtige Projekte, beispielsweise die Gestaltung der Umgebung des Hauptbahnhofs. Um kreative Konzepte zu bekommen, ist ein Wettbewerb nötig. Es gibt keine bessere Methode, viele unterschiedliche Ideen zu sammeln. Und wenn sie offen diskutiert werden, steigt die Zufriedenheit der Bürger.

Sollte es Erinnerungen an den Tausendfüßler geben?

Ringleben Natürlich. Der Bau und die Funktion des Tausendfüßlers werden deshalb detailliert dokumentiert. Die Initiative Lott Stonn wird ebenfalls ihre Pläne und Vorschläge dokumentieren.

Wäre ein Modell hilfreich?

Ringleben Es gab die lange Tradition, in einem Stadtpavillon ein Modell der Innenstadt zu zeigen. Dazu würde auch der Tausendfüßler als Modell passen. Aber es gibt leider keinen zentralen Ort in der Stadt für dieses Stadtmodell mehr, deshalb erübrigt sich die Frage.

Ist es denkbar, dass Teile des Tausendfüßlers aufgestellt werden?

Ringleben Um Gottes willen — nein. Versatzstücke des Bauwerks zu erhalten, wäre zynisch.

Werden Sie am Abschiedsspaziergang teilnehmen?

Ringleben Die Künstler aus der Initiative Lott Stonn überlegen, ob sie mit einer Aktion das Unverständnis für den Abriss zum Ausdruck bringen sollen. Wenn sie zustande kommt, werde ich auf jeden Fall dabei sein.

MICHAEL BROCKERHOFF FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP/ila/top)
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