Abschied vom Tausendfüßler Symbol des Wirtschaftswunders verschwindet

Düsseldorf · Die Hochstraße im Herzen der Landeshauptstadt wurde für die autogerechte City gebaut. Nun wird sie abgerissen.

 Der „Tausendfüßler“ in den 1960er Jahren. Lange galt das Bauwerk als architektonische Meisterleistung.

Der „Tausendfüßler“ in den 1960er Jahren. Lange galt das Bauwerk als architektonische Meisterleistung.

Foto: Archiv Ulrich Brzosa

An Tagen wie diesen muss sich Düsseldorf auch damals schon großartig gefühlt haben: Am 5. Mai 1962, 17 Jahre nach Ende des Krieges, tut man einen riesigen Schritt nach vorn und eröffnet eine Hochstraße, von der man hofft, mit ihr den Verkehr künftiger Jahrzehnte schneller in Nord-Süd-Richtung durchs Herz der City leiten zu können. Das gewaltige Ding, das auf gut zwei Dutzend Stelzen steht, hat im Volksmund bald seinen Spitznamen weg: "Tausendfüßler" nennen die Düsseldorfer die kühn geschwungene Betonkonstruktion. Bis heute ist der Name selbst im Umland gültig, jeder weiß, was damit gemeint ist.

Vor dem Abriss wird die Hochstraße in der Düsseldorfer Innenstadt morgen für Autos gesperrt und stattdessen für Fußgänger freigegeben.

Vor dem Abriss wird die Hochstraße in der Düsseldorfer Innenstadt morgen für Autos gesperrt und stattdessen für Fußgänger freigegeben.

Foto: Hans Blossey

Das ist natürlich nicht absehbar, als an jenem Mai-Tag ausnahmsweise nicht nur Autos, sondern auch Fußgänger auf die Brückenkonstruktion dürfen. Morgen, nach knapp 51 Jahren, ist die Situation ähnlich: Ab 6 Uhr morgens ist die Straße für Autos gesperrt, von 13 bis 16.30 Uhr aber für alle offen, die schon immer einmal zu Fuß hinüber wollten. Das gab?s zwischendurch nur zu den autofreien Sonntagen in der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre.

Abschied vom Tausendfüßler: Symbol des Wirtschaftswunders verschwindet
Foto: Rheinbahn/M. Müller

Als man sich Ende der 1950er Jahre entschließt, die City der Landeshauptstadt fit zu machen für die Zukunft, da geschieht das unter dem Diktat des anschwellenden Verkehrs. Deutschland erlebt das Wirtschaftswunder. Und Düsseldorf, damals tatsächlich der Schreibtisch des Ruhrgebiets, profitiert von diesem Wunder ganz besonders. Das sieht man nicht nur auf der erblühenden Flanier- und Einkaufsmeile Königsallee, sondern auch in den anderen Straßen. Die Flut der Autos schwillt an, man lernt Begriffe wie Stau und Parkplatzknappheit. VW-Käfer, Lloyd, Goggomobil, Ford Taunus 17 m, Opel Kapitän und Mercedes 170 D rollen über den Asphalt. Alle sind sicher: Eine Stadt, die Erfolg haben will, muss autofreundlich sein. Kühl nutzt man die Wunden des Kriegsbombardements: In Düsseldorf entstehen Verkehrswege, die es vorher nicht gab - wie etwa die Berliner Allee. Parallel zur Königsallee verlaufend, soll sie den wachsenden Verkehrsstrom aufnehmen. Und dort, wo sie nahe des Dreischeibenhauses große Straßen kreuzt, soll der Tausendfüßler eine stauträchtige Kreuzung ersetzen.

Die Planung verläuft keinesfalls störungsfrei. Als man vorschlägt, Teile des Hofgartens für den Bau von Fahrbahnen zu opfern, gehen mehr als 10 000 Düsseldorfer auf die Straße und verhindern den Frevel - grünes Engagement, Jahrzehnte bevor die Grünen auftauchten. Und auch der heute unvorstellbare Gedanke, für die Hochstraße die Johanneskirche abzureißen, scheitert: Die evangelische Kirche interveniert.

Beides zeigt jedoch das Denken der Städteplaner jener Zeit: Es sind fortschrittsgläubige Technokraten, an präzisen Plänen orientiert und besessen von der Idee, in der Stadt ihre Vorstellung vom Begriff "modern" umzusetzen. An ihrer Spitze Stadtplaner Prof. Dr. Friedrich Tamms: Er hatte sein Handwerk noch bei Hitlers Städtebauer Albert Speer gelernt, und er prägt Düsseldorf bis in die heutige Zeit. Die Brückenfamilie, Straßenzüge - Tamms drückte der Stadt seinen Stempel auf. Das wird übrigens immer noch, trotz seines Werdegangs unter den Nazis, gewürdigt.

Und was blieb vom Stolz auf die geschwungene Straßenkonstruktion? Durchaus Anerkennung: Denn das Konstrukt erfüllt seinen Zweck bis zuletzt. Aber die Zeiten, in denen es sogar als Wahrzeichen der Stadt gesehen und auf Postkarten präsentiert wurde, sind vorbei. Zuletzt sah man es wie eine in die Jahre gekommene Verkehrsmaschine - praktisch zwar und funktionierend, aber von den meisten nicht mehr geliebt und als eher hässlich empfunden. Heutige Stadtplaner, der Psyche des Menschen und weniger den Bedürfnissen der Autos gegenüber offen, stellten zudem fest, dass der Tausendfüßler wie ein Riegel das Herz der Innenstadt teilt. Menschen scheuten unbewusst davor zurück, ihn zu unterqueren, hieß es. Die dahinter liegenden Straßenzüge seien von der Entwicklung der restlichen Stadtmitte regelrecht abgeschnitten.

Aber es gibt auch Fans der Brücke: Die Initiative "Lott Stonn" kämpfte bis zuletzt für den Erhalt der Hochstraße, die immerhin seit 1993 unter Denkmalschutz steht. Über Monate ging der Streit um den Erhalt der Hochstraße, Denkmalschützer waren dagegen, im Rat der Stadt war eine Mehrheit dafür. Am Ende musste der Verkehrsminister der Landesregierung entscheiden: Der genehmigte den Abriss. Am Sonntag wird es also nicht nur Jubel geben, wenn das Ende des Tausendfüßlers eingeläutet wird. In acht Wochen ist er weg, heißt es.

Wer will, darf sich als Souvenir ein Stück des Tausendfüßlers aus dessen Beton klopfen.

(csi/ila/csi)
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