Niederkassel Dörfliche Idylle am Rand der Stadt

Eine Brücke von Düsseldorf ins Linksrheinische veränderte die ländliche Beschaulichkeit Niederkassels, das Mitte der 1950er Jahre noch als rein landwirtschaftlich geprägtes und dünn besiedeltes Dorf beschrieben wurde. Das änderte sich grundlegend durch den Bau der "Nordbrücke", die 1957 dem Verkehr übergeben und später in Theodor-Heuss-Brücke umbenannt wurde.

Niederkassel: Dörfliche Idylle am Rand der Stadt
Foto: RP-Grafik, Jenny Möllmann

Eine einschneidende Veränderung: Denn für den Bau der Rampen mussten große Bauernhöfe und Handwerksbetriebe weichen. "Das konnte zunächst keiner verstehen", erinnert sich Karola Habermehl, deren Familie bis vor wenigen Jahren einen Gärtnereibetrieb besaß und die als Kind auf der Apfelweide unter der mächtigen Kastanie noch gespielt hatte. "Alle fürchteten um ihre Existenz

Nur mühsam konnten die Politiker die Bauern beruhigen mit dem Versprechen, die ländliche Idylle Niederkassels zu schonen. Außerdem bekamen sie die Option, ihre in Bauland umgewandelten Felder zu vermarkten. Die Bauern fanden rasch Käufer, neue Häuser wuchsen empor, so dass sich schon bald die Bevölkerung in Alteingesessene und Neubürger teilte.

Letztere wurden zunächst argwöhnisch beobachtet, konnten diese sich doch großzügige Stadthäuser am Kaiser- Friedrich-Ring und an der Lotharstraße leisten. Nur mühsam kam der Kontakt zustande, sehr gefördert vom Gemüsebauer Heinz Pütz, der in der Scheune seiner Hofanlage in der "Schnaßejass" (der Hof war fast 100 Jahre im Besitz der Familie Schnaß) Gemüse frisch vom Feld verkaufte. Der Gemüseverkauf wurde eingestellt, nachdem Pütz im Jahr 2000 gestorben war.

Die Neu-Niederkasseler siedelten vornehmlich "hinter der Brücke" (Lotharstraße). Zwar auf Ur- Niederkasseler Gebiet, aber doch in Oberlörick, wie das Viertel um die Lotharstraße nach dem Bau der Brücke bezeichnet wurde. So entstand in den 1960er Jahren dort das "moderne Niederkassel" mit Bungalows und individuellen Einfamilienhäusern. Im Laufe von 50 Jahren hat sich auch dieses Viertel gewandelt. Ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Denn durch die stetig steigenden Grundstückspreise werden die Parzellen dichter und raffinierter bebaut. Auf Wunsch der Bürger sorgte der damalige Vorstand des Bürgerund Heimatvereins 1997 dafür, dass aus Oberlörick wieder Niederkassel wurde.

Die Brücke erschloss auch den Seestern, der sich zu einem Bürostandort entwickelte, was die Niederkasseler aber nicht weiter störte — abgesehen vom zunehmenden Verkehrslärm, der erst durch den Bau der Schutzwand in den 1970/80er Jahren gedämpft wurde. Zudem boten die noch vorhandenen freien Flächen in Niederkassel Raum für eine weitere Besiedelung. "Die großen Mehrfamilienhäuser an der Niederkasseler Straße und am Niederkasseler Kirchweg belegen diese Entwicklung", wie die aus Niederkassel stammenden Historiker Oliver Karnau und Johannes Vossen in ihrem Buch "Rundgänge durch Niederkassel" beschreiben.

Rückgrat des Stadtteils ist die alte Dorfstraße, heute Alt-Niederkassel. Dort ist noch die ehemalige Dorfstruktur zu erkennen, wenn auch einige Nachfolgebauten nicht so recht ins Bild passen. Ein Beispiel für eine behutsame Modernisierung ist der ehemalige MaurenbrecherHof, den Georg Eiker, Architekt und Vorsitzender des Verschönerungsvereins, in ein modernes Wohnquartier verwandelte. 1767 hatten die Maurenbrechers dort eine Poststation errichtet. 1860 kaufte Benedikt Schmittmann die Hofgebäude, nachdem er 1818 als Unternehmer die Brennerei Schmittmann gegründet hatte und zu Wohlstand gekommen war. Heute wird das Unternehmen von Kurt Schmittmann und seinen Töchtern Sonja und Vera geführt.

Zu den Kostbarkeiten, die den Charme Niederkassels ausmachen, gehören liebevoll restaurierte und ehemalige Gehöfte wie das Haus der Familie Werner Hansen an der Niederkasseler Straße. Es stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde für den Schreinermeister Jakob Gobbers gebaut. Seine Enkelin Gisela Hansen bewohnt es heute mit ihrer Familie.

Eine weitere Qualität Niederkassels ist, dass fast jeder jeden kennt und auf Dorffesten neue Kontakte geknüpft oder alte aufgefrischt werden können. Dabei helfen vor allem das Tonnenrennen, das jedes Jahr Tausende anlockt, und das gemütliche Schützenfest zwischen Sommer- und Winterdeich. Einmalig in Düsseldorf: Der veranstaltende Schützenverein wird von einer Frau geführt. Britta Damm ist seit 2005 Chefin und überzeugte Niederkasselerin: "Man ist in null komma nix in der Stadt, in 15 Minuten am Flughafen — aber beim Spazierengehen begegnen einem Schafe und Pferde, Und ganz normal ist auch, dass es etwa fünf Minuten von der Altstadt entfernt eine Meutejagd auf den Rheinwiesen gibt."

Neben Britta Damm hat eine zweite Frau Niederkassel in der gesamten Stadt bekanntgemacht: Ute Heierz-Krings mit dörflichem Stammbaum und närrischen Wurzeln in der Tonnengarde machte als Düsseldorfs "Venetia Ute" Furore. Geselligkeit, Geschichte und überschaubares Gemeindeleben — damit kann Niederkassel punkten, doch ein Einkaufszentrum sucht man vergebens. Die Lädchen sind dem dörflichen Charakter entsprechend verteilt. Liebhaber von Küche und Weinkeller kommen dagegen gleich in vier Lokalen in Alt- Niederkassel auf ihre Kosten. Dort trifft man dann schon mal die Hautevolee — nicht nur von Niederkassel, sondern auch von Düsseldorf.

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