Stadtteil-Serie: Lierenfeld Lebenswertes Arbeiterviertel

Obwohl die Stahlindustrie die besten Zeiten hinter sich hat, bestehen zwei Drittel Lierenfelds aus Gewerbeflächen. Bürgern dort lag es schon immer am Herzen, im Einklang mit der Industrie zu leben und ihr Umfeld wohnlich zu gestalten.

 Blumenhändlerin Marion Ströter vom Blumenladen Merks ist seit Jahrzehnten im Geschäft und freut sich über den täglichen Blick auf die Kirche St. Michael, dem Zentrum Lierenfelds. Apotheker Andreas Dudek lässt sich gerne von ihr beraten.

Blumenhändlerin Marion Ströter vom Blumenladen Merks ist seit Jahrzehnten im Geschäft und freut sich über den täglichen Blick auf die Kirche St. Michael, dem Zentrum Lierenfelds. Apotheker Andreas Dudek lässt sich gerne von ihr beraten.

Foto: Thomas Busskamp

"Gewerbegebiet Lierenfeld" liest jeder Autofahrer, der in die Lierenfelder Straße einbiegt — und stellt alsbald fest, dass mit diesem Schild durchaus der ganze Stadtteil gemeint sein könnte. Denn fast zwei Drittel der Fläche Lierenfelds sind von der Industrie in Beschlag genommen, die Wohnbebauung hingegen beschränkt sich auf den südöstlichen Bereich in Richtung Eller. Seit der Eingemeindung 1384 hat sich der Stadtteil nach und nach von einer waldreichen, sumpfigen Landschaft mit vielen Bauernhöfen ("Lirrenfeld" bedeutet Sumpffeld) gemeinsam mit Flingern und Oberbilk zum größten zusammenhängenden Industriegebiet in der Landeshauptstadt entwickelt.

 Zum Vergrößern anklicken.

Zum Vergrößern anklicken.

Foto: Grafik

Eine Art Zeitachse des Stadtteils ist der Höherweg — allerdings nicht der westliche Abschnitt samt Automeile, der auf Flingerner Gebiet liegt. Wer hingegen von der Ronsdorfer Straße in Richtung Osten fährt, sieht nicht nur in der Ferne bereits die Ausläufer des Bergischen Landes, sondern zur Linken und zur Rechten auch reichlich Verweise auf die Stahlindustrie. ThyssenKrupp hat hier sein Logistik-Zentrum für Rohre, Harley-Davidson bietet in seiner "Steel Factory" schwere Maschinen an.

 Zum Vergrößern anklicken.

Zum Vergrößern anklicken.

Foto: Grafik

An der Eisenbahnunterführung Posener Straße wird an ein düsteres Kapitel der Geschichte erinnert: Eine Gedenkplakette erinnert an die 200 zu Zeiten des Nationalsozialismus im Lager Höherweg internierten und später größtenteils ermordeten Düsseldorfer Sinti. Doch auch die Zukunft der Straße ist stets präsent. Vor der ländlich-idyllischen Kleingartensiedlung Solidarität mahnt ein Schild vor der geplanten Umgehungsstraße L 404n, die das Verkehrsaufkommen auch auf dem Höherweg erhöhen würde.

Stahl, Stein, Bewegung — diese drei Komponenten zeichnen Lierenfeld aus. Die Diskothek an der Ronsdorfer Straße heißt nicht zufällig Stahlwerk, sondern gehörte einst zu Mannesmann. Der Hochbunker an der Lierenfelder Straße, um den herum ein Atelierhaus entstand und dessen Kuppel die Künstlerin Anna Löbner vergoldete, überstrahlt den Stadtteil. Und Mobilität ist ohnehin allgegenwärtig. Nicht nur in Form vieler Autohäuser, Kfz-Werkstätten und Zulieferbetriebe — das Verkehrsaufkommen in und um Lierenfeld ist immens. Schließlich sind hier zahlreiche "Big Player" angesiedelt: die Telekom, das Hauptzollamt, der Anlagenbauer Metso Lindemann, das Montagetechnik-Unternehmen Würth, die Post-Tochter First Mail. Doch Lierenfeld ist auch grün: Kastanienbäume sind allerorts zu sehen, das Gelände des Logistikunternehmens UPS verschwindet fast vollständig hinter Büschen und Bäumen.

Markantestes Wahrzeichen Lierenfelds ist jedoch der Betriebshof der Rheinbahn. Straßenbahn-Fahrer Gerhard-Martin Grittner (42) hat es im Vorjahr sogar privat in die Nähe seiner Arbeitsstätte gezogen. "Ich wohne jetzt in einem der kernsanierten Häuser an der Erkrather Straße", sagt der 42-Jährige. "Als Berlin-Fan erinnert mich die Gegend an Berlin. Ich mag den industriellen Charme. Und der nachbarschaftliche Zusammenhalt ist toll."

Noch im Jahr 1855 lebten in Lierenfeld nur 219 Menschen, heute sind es knapp 10 000. Laut Amt für Statistik und Wahlen sind davon überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche, die Ausländerquote liegt bei 23,2 Prozent und damit deutlich über dem Stadtdurchschnitt von 17,2 Prozent (Stand: Dezember 2007). Die Entwicklung des Arbeiterviertels begann Mitte des 19. Jahrhunderts. 1919 zog dann Albert Schöndorff — dem in Auschwitz ermordeten Unternehmer ist im südlichsten Zipfel des Stadtteils eine Straße gewidmet — mit seiner Schreinerei von Derendorf nach Lierenfeld. Aus dem Betrieb wurde später die Waggonfabrik Duewag (heute Teil des Siemens-Konzerns), die bis zum Jahr 2000 an der Königsberger Straße Straßenbahnen produzierte.

Schöndorff war auch Mitbegründer des Vorläufers der Wohnungsgenossenschaft Düsseldorf-Ost (Wogedo), die ihren Sitz noch immer in Lierenfeld hat. Dass die Bürger stets darum bemüht waren, im Einklang mit der Industrie zu leben und ihr Umfeld — oftmals in Eigeninitiative — wohnlicher zu gestalten, zeigt nicht zuletzt die Siedlung Heimgarten. Diese war 1926 anlässlich der Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen (Gesolei) entstanden, der größten Messe der Weimarer Republik. Heute präsentieren sich die Häuser in einem bunten, modernen Anstrich.

Und dass die Lierenfelder um das kämpfen, was ihnen zusteht, steht auch außer Frage: Seit 2006 ist der Stadtteil um 29 Hektar größer. Damals wurde die Stadtteilgrenze zu Eller verlegt und den historischen Gemarkungsgrenzen angepasst. Seitdem gehört der gefühlte Mittelpunkt um die Kirche St. Michael und das Einzelhandelszentrum an der Reisholzer Straße auch offiziell wieder zu Lierenfeld. Das gesellschaftliche Leben bestimmen die St.-Sebastianus-Schützen — an diesem Wochenende wird das Schützenfest samt Kirmes am Wilhelm-Heinrich-Weg gefeiert.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Oberbilk
Stadtteil-Serie: Oberbilk Oberbilk