Hilden "Hier gleich heimisch gefühlt"

Hilden · Morgen ist der Tag der Russlanddeutschen. Etwa 8000 leben in Hilden. Probleme mit entwurzelten Jugendlichen aus den frühen 90ern sind passé. Die dritte Generation spricht fast nur Deutsch; die Integration scheint gelungen.

Doch, dass morgen der "Tag der Russlanddeutschen" ist, weiß Margarita Wendland. Schließlich vertritt das Vorstandsmitglied des Vereins "Wir in Deutschland" als Vize-Vorsitzende des Spätaussiedlerbeirates die Deutschrussen. Etwa 8000 dürfte es von ihnen in der Itterstadt geben, schätzt die 51-Jährige. Die Wirtschafts-Ingenieurin, die mangels beruflicher Anerkennung inzwischen als Buchhalterin arbeitet, kam im März 1992 mit Schwiegereltern, Mann und den beiden Kindern hierher, die sich dank Sportvereinen und Musikschule schnell integriert haben: "Wer wirklich sucht, für den öffnen sich auch Türen", findet Wendland.

350 Unterkünfte zeitgleich gesucht

Die genaue Zahl der Russlanddeutschen lasse sich nicht beziffern, bestätigt Michaela Neisser vom Integrationsbüro. "Die Aussiedler werden in der Statistik ja als Deutsche gelistet." Die künftige Sachgebietsleiterin "Besondere Soziale Dienste" kann sich noch gut an die Aussiedlerwelle 1992 / 93 erinnern: "Da mussten wir teilweise 350 Menschen gleichzeitig unterbringen." Das Schlimmste seien die Sprachschwierigkeiten gewesen, erinnert sich die Schwäbin – und schmunzelt: "Ich konnte mich mit den Donauschwaben ja prima verständigen, aber Begriffe wie Computer oder EC-Automat gibt's nun mal nicht in dem alten Dialekt."

Die Sprachlosigkeit habe vor allem jene Jugendlichen aggressiv gemacht, die in die Entscheidung ihrer Eltern, auszuwandern, nicht einbezogen worden waren. "Die haben ihre Pubertät dann hier voll ausgelebt." In Kooperation mit dem Jugendamt habe man versucht, sie mit Sport, Spiel, Hausaufgabenbetreuung und Deutschunterricht in die Gesellschaft einzubinden. Inzwischen seien aus manch' früheren Chaoten brave Bürger geworden, deren eigene Kinder nur Deutsch sprächen.

Wie die drei Urenkel von Vergina Lang, die alle in Deutschland geboren wurden. Sie selbst kam 1997 mit ihren drei Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln aus Kasachstan nach Hilden. Der 74-Jährigen war es als Kind von Wolgadeutschen verboten worden, die Muttersprache zu gebrauchen. "Meine Eltern wurden schikaniert von den Behörden und bei Kriegsbeginn nach Sibirien geschickt", berichtet Lang. Dort habe sie auch ihren Mann kennengelernt, mit dem sie 1969 von Sibirien nach Kasachstan kam. Schon immer habe sie nach Deutschland gehen wollen, doch dazu brauchte es eine Anlaufstelle und unzählige Dokumente. "Als wir endlich hier ankamen, habe ich mich gleich heimisch gefühlt", erzählt die Seniorin.

Auswanderung nie bereut

Die alte Heimat aufgegeben zu haben, habe sie nie bereut: "Ich hab' ein kleines Appartment, es ist warm und trocken, meine Kinder sind in der Nähe. Ich sag' immer: Lieber Gott, danke!" Nicht nur Vergina Lang pflegt intensiven Kontakt zu anderen Russlanddeutschen. Ein Grund für Maria Gorjanov, im Januar das Café für Russlanddeutsche im diakonischen Nachbarschaftszentrum "Jungbrunnen" einzurichten. "Gestartet sind wir mit sechs Senioren, heute haben wir eine feste Gruppe von 17 Leuten zwischen 30 und 84 Jahren", freut sich die 49-Jährige, die vor 15 Jahren aus Kirgisien kam. Gesprochen wird während des Kaffeetrinkens überwiegend Russisch – fast eine Fremdsprache für die Enkel mancher Teilnehmer.

Deshalb bringt die gelernte Lehrerin Grundschülern Russisch und die kyrillische Schrift bei. Denn die Identität der dritten Generation hat viele Wurzeln.

(RP)
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