Meerbusch Altenheime: die Chronik eines Skandals

Meerbusch · Der Seniorenwohnpark Meerbusch und das Altenheim Medina werden in drei Monaten schließen. Grund sind schwere Mängel in der Pflege. Dabei startete die Einrichtung vor fünf Jahren mit den besten Vorsätzen.

 Karlheinz Großgarten (MDK), Jürgen Steinmetz (Kreissozialdezernent), Siegfried Henkel und Marcus Mertens von der Heimaufsicht.

Karlheinz Großgarten (MDK), Jürgen Steinmetz (Kreissozialdezernent), Siegfried Henkel und Marcus Mertens von der Heimaufsicht.

Foto: U. Dackweiler

Nach nur fünf Jahren Betrieb stehen die beiden Altenheime in Strümp nun vor dem Ende. In den nächsten drei Monaten müssen die restlichen 100 Bewohner ausziehen. Die Chronik eines Skandals auf Raten:

 Im Jahr 2008 sind die beiden Altenheime feierlich eröffnet worden. Motto: "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt".

Im Jahr 2008 sind die beiden Altenheime feierlich eröffnet worden. Motto: "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt".

Foto: Ulli Dackweiler

Juli 2008: Am 1. Juli 2008 hat die Marseille-Kliniken AG — nach eigenen Angaben ein "führendes Unternehmen in der professionellen Altenpflege seit über 25 Jahren" — die beiden Pflegeeinrichtungen eröffnet. Geworben wurde mit einer Einrichtung, die den Bewohnern "alle Annehmlichkeiten einer modernen Pflegeeinrichtung in Verbindung mit einer anspruchsvollen Wohnkultur" ermöglicht. Original-Werbetext: "Die Einrichtung ist von einem exklusiven und hochwertigen Hotelcharakter geprägt. Das freundliche und spezialisierte Pflege-Team steht Ihnen rund um die Uhr zur Verfügung". Rund 60 Mitarbeiter sollen dort in Pflege, Küche und Technik arbeiten. Motto der Einrichtungen: "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt."

Februar 2009: "Viele Betten stehen noch leer" — so titelt die Rheinische Post in einem Aufmacher über die Altenheime. Die neue Senioreneinrichtung verfüge über 150 Betten, aber lediglich 81 waren zu dem Zeitpunkt belegt. Im Büdericher Johanniter-Stift warteten damals hingegen 94 Menschen auf einen Platz im Heim. Der damalige Heimleiter erzählt unseren Redakteuren: "Wir wollen, dass die Mitarbeiter langfristig bleiben", und: "Arbeit in der Pflege ist stressig. Viele halten das nicht lange durch". Auch wenn die Marseille-Kliniken ein rein privatwirtschaftlich arbeitendes Unternehmen seien, werde der Personalschlüssel nach den Vorgaben des Landschaftsverbandes berechnet, hieß es damals. Wenn das Personal sich weiterbilde, erhalte es zehn Prozent mehr Lohn und Gehalt."

Juli 2009 Bereits ein Jahr nach der Eröffnung gibt es in der Leitung der Seniorenheime Wohnpark Meerbusch und Medina einen Wechsel. Der bisherige Leiter verlasse die Häuser aus "privaten Gründen", hieß es vonseiten des Betreibers. Er habe "gute Aufbauarbeit" geleistet.

Januar 2010: Die Senioreneinrichtungen müssen ihre Belegungsquote verbessern. Der Träger, die Marseille-Kliniken AG in Berlin, macht auf einer Bilanzpressekonferenz in Berlin Druck. Es ist von neuen Häusern die Rede, die mit ihren "Anlaufschwierigkeiten" zum "schlechten Geschäftsergebnis" beigetragen haben. Das Unternehmen zahlt keine Dividende. Angeblich sei erfahrenes Leitungspersonal nun angefordert. Die Häuser in Meerbusch seien nur zu etwas mehr als 50 Prozent ausgelastet.

Januar 2012: Mittlerweile hat die Leitung mehrfach gewechselt. Die Namen kann sich niemand mehr merken. Der damalige Heimleiter sagt in einem Gespräch mit der RP: "Es ist unser Ziel, Lebensqualität zu erhalten und zu verbessern." Gelobt werden gute Kontakte zu Strümper Vereinen, Institutionen und Bürgern und ein Stand auf dem Weihnachtsmarkt. Die Bewohner, im Schnitt 80 Jahre alt, seien "fit und anspruchsvoll." Dies möge auch daran liegen, dass sie sich, so der Heimleiter, "gut aufgehoben" fühlen. Die Zimmer dürften nach Lust und Laune gestaltet werden, auch Haustiere seien erlaubt. Wer kein eigenes Tier habe, könne am hauseigenen Gehege Hasen streicheln.

Januar 2013: Der Rhein-Kreis Neuss hat "erhebliche Pflegemängel" im Seniorenwohnpark "Medina" in Strümp festgestellt. Vize-Landrat Jürgen Steinmetz bestätigte, dass das Altenheim nach Hinweisen von Angehörigen und im Rahmen von Routineuntersuchungen besonders geprüft wurde. Die Polizei ermittelt nach Anzeige einer Angehörigen wegen fahrlässiger Körperverletzung.

Erste Auflagen sind erteilt worden. Die Heimaufsicht des Kreises besucht das Heim sehr häufig. Es ist die Rede von großer Fluktuation beim Personal. Das Heim wird unter Aufsicht gestellt. Es wird ein Aufnahmestopp erteilt.

Februar 2013: Der damalige Heimleiter wird gefeuert. Grund für den Führungswechsel sind die Ergebnisse einer Qualitätsuntersuchung: Das Wohnheim lag mit der Note 2,9 weit hinter dem Landesschnitt (1,2). Der Betreiber verspricht, man werde die "Vorwürfe prüfen und an der Aufklärung und unverzüglichen Beseitigung aktiv mitwirken". Die fachlichen und organisatorischen Mängel seien dem Hamburger Konzern nicht bekannt gewesen.

April 2013: Nach drei Monaten im Amt wirft der neue Heimleiter hin.

Mai 2013: Eine Hundertschaft der Polizei sucht nach einem aus dem Heim vermissten Senior. Der zuckerkranke Mann ist bis heute nicht aufgefunden worden.

September 2013: Die Rheinische Post berichtet am vergangenen Samstag exklusiv, dass beiden Heimen der Lizenzentzug aufgrund schwerer Mängel in der Pflege droht. Gestern ist es so weit: Der Rhein-Kreis Neuss spricht die Betriebsuntersagung aus. Bis zum 30. November müssen nun neue Plätze für die restlichen rund 100 Bewohner gefunden werden. Die Marseille-Kliniken dementieren die schweren Mängel. Längerfristig sollen Pflegefachkräfte aus Portugal und Spanien in Strümp eingesetzt werden, hieß es noch am Mittwoch abend. Sie seien nun schon vor Ort und machten nebenbei Deutschkurse. Der Kreis dementiert ausdrücklich, dass einer ihrer Mitarbeiter befangen gewesen sei.

(RP)
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