Clemens Antweiler "Das Gesetz ist evident sachwidrig"

Meerbusch · Stromkonverter: Der Anwalt der Stadt Meerbusch steht im RP-Interview Rede und Antwort zu der Verfassungsbeschwerde

Clemens Antweiler: "Das Gesetz ist evident sachwidrig"
Foto: Ulli Dackweiler

Am Montag haben Sie die Verfassungsbeschwerde, die Sie für die Stadt Meerbusch ausgearbeitet haben, ans Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe geschickt. Gibt's schon eine Eingangsbestätigung des Gerichts?

Antweiler Nein. Das Bundesverfassungsgericht übersendet die Eingangsbestätigung in der Regel auf dem Postweg. Das kann schon einige Tage dauern.

45 Seiten ist die Verfassungsbeschwerde lang. In Kürze: Warum verstößt das Bundesbedarfsplangesetz Ihrer Ansicht nach gegen die Verfassung?

Antweiler Mit dem Bundesbedarfsplangesetz werden die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf für zwei HGÜ-Leitungen mit einem Netzverknüpfungspunkt in Osterath bindend festgestellt. Das Grundgesetz garantiert den Gemeinden aber das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Zu diesen Angelegenheiten zählt insbesondere die Aufstellung von Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen. Das Bundesbedarfsplangesetz enthält Vorgaben, die die Stadt Meerbusch in ihrer Planungshoheit einschränken.

Inwiefern?

Antweiler Da nun vorgeschrieben ist, dass ein Netzverknüpfungspunkt für die neuen HGÜ-Leitungen im Stadtteil Osterath liegt, muss die Stadt Meerbusch den aktuellen Flächennutzungsplan ändern. Das will sie aber nicht. Flächen für die Errichtung weiterer Stromleitungen oder Nebenanlagen sind im aktuellen Flächennutzungsplan nicht dargestellt. Bei dem Standort, den Amprion für Errichtung und Betrieb eines Konverters favorisiert, handelt es sich nach dem aktuellen Flächennutzungsplan um eine Grünfläche. Das haben Bundestag und Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren überhaupt nicht erkannt. Deshalb ist die gesetzliche Bedarfsfeststellung evident sachwidrig.

Die Bundesnetzagentur hat erklärt, eine strategische Umweltprüfung sei vor Festlegung auf das Umspannwerk Osterath als Netzverknüpfungspunkt vorgenommen worden.

Antweiler Eine strategische Umweltprüfung wurde zwar durchgeführt; der Umweltbericht genügt aber in keiner Weise den gesetzlichen Anforderungen. Erforderlich ist, dass im Umweltbericht vernünftige Alternativen ermittelt, beschrieben und bewertet werden. Diese Alternativenprüfung hat die Bundesnetzagentur unterlassen. Das ist mittlerweile unstreitig. Selbst das Bundesumweltministerium hat die Bundesnetzagentur schon im Oktober letzten Jahres auf dieses Problem und die daraus folgenden erheblichen rechtlichen Risiken für die Netzentwicklungsplanung hingewiesen.

In die Gesetzesbegründung wurde der Passus aufgenommen, dass ein Standort für den Konverter im Umkreis von zehn Kilometern oder darüber hinaus zu suchen sei. Ist damit die Verfassungsbeschwerde nicht überflüssig?

Antweiler Nein. Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung ist der Wortlaut einer Vorschrift. Das Bundesbedarfsplangesetz stellt die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf für die Höchstspannungsleitungen "Emden-Borßum-Osterath" und "Osterath-Philipsburg" verbindlich fest. Deshalb müssen die Netzverknüpfungspunkte zwingend in Osterath liegen. Bei diesem klaren und eindeutigen Wortlaut gibt es keinen Spielraum für eine Verlagerung der Netzverknüpfungspunkte. Der im Gesetzgebungsverfahren diskutierte Vorschlag, Netzverknüpfungspunkte in einem Radius von zehn Kilometern um die genannten Standorte zuzulassen, ist eben nicht Gesetz geworden.

Mittlerweile wurde der Netzentwicklungsplan 2012, der ja die Grund-lage für das Gesetz war, fortgeschrieben. Können Sie im Netzentwicklungsplan 2013 Verbesserungen erkennen?

Antweiler Sicher: Die Bundesnetzagentur ist jetzt stärker als bisher um Transparenz bemüht. Das genügt aber nicht. Denn die entscheidenden Weichenstellungen sind bereits im Netzentwicklungsplan 2012 erfolgt.

Gerade mal fünf Prozent der Verfassungsbeschwerden werden überhaupt angenommen. Welche Chancen räumen Sie der Stadt Meerbusch in Karlsruhe ein?

Antweiler Die Stadt Meerbusch hat sehr gute Argumente, auch wenn die Erfolgsquote bei Verfassungsbeschwerden generell sehr gering ist. Selbst sehr gute Argumente allein werden aber nicht ausreichen. Entscheidend ist, ob die Richter beim Bundesverfassungsgericht den Willen und die Bereitschaft haben, sich im Detail mit den in der Verfassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfragen zu befassen.

Eine aufschiebende Wirkung hat die Verfassungsbeschwerde nicht. Was würde es der Stadt helfen, wenn sie Recht bekommt, aber der Stromkonverter zu dem Zeitpunkt längst gebaut ist?

Antweiler Bevor die Bauarbeiten für den Konverter beginnen können, muss noch eine ganze Menge passieren. Insbesondere muss der Konverter in einem gesonderten Zulassungsverfahren genehmigt werden. Zuvor können Betroffene Einwendungen erheben; gegen die Zulassungsentscheidung können sie klagen und gegebenenfalls Eilanträge stellen. Auch ein Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht ist denkbar. Die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht erst entscheidet, wenn der Konverter schon gebaut ist, besteht also nicht.

Warum haben Sie der Stadt geraten, direkt vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen? Wäre das Bundesverwaltungsgericht nicht die richtigere Adresse gewesen?

Antweiler Auf keinen Fall! Die gesetzlichen Vorschriften zur Netzausbaubeschleunigung sehen gerade vor, dass Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht erst gegen die endgültige Zulassungsentscheidung möglich sind. Solange will ich nicht warten, denn dann sind die Würfel bereits gefallen. Eine gesetzliche Bedarfsfeststellung kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur mit dem Argument angegriffen werden, sie sei evident sachwidrig und verstoße deshalb gegen die Verfassung. Für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen ist aber allein das Bundesverfassungsgericht zuständig.

MARTIN RÖSE FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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