Meerbusch "Ich fühle mich sehr wohl im Altenheim"

Meerbusch · Die Strümper Seniorenheime müssen wegen Pflegemängeln schließen. Michael Nehls lebt seit einem Jahr in der Senioreneinrichtung Medina. Der 58-Jährige mit Pflegestufe 1 berichtet vom Alltag in der Einrichtung

 Michael Nehls lebt in der Einrichtung Medina. "Ich brauche keine Pfleger, kann mich selbst anziehen und waschen."

Michael Nehls lebt in der Einrichtung Medina. "Ich brauche keine Pfleger, kann mich selbst anziehen und waschen."

Foto: Ulli Dackweiler

Wenn Michael Nehls über sein Berufsleben spricht, hat der Frührentner leuchtende Augen. "Ich bin gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann und war früher wochenlang im Nahen Osten unterwegs", sagt der 58-Jährige, der seit einem Jahr in der Senioreneinrichtung Medina in Strümp lebt. Zuletzt verwaltete er nach eigenen Angaben einen Etat von sechs Millionen Euro und betreute einige Mitarbeiter. Gehandelt hat er mit Papier. Als seine Firma von einem Großkonzern aufgekauft wurde, ist Nehls entlassen worden. "Ich hab dann noch bei anderen Firmen gearbeitet, aber irgendwann ging es einfach nicht mehr weiter", sagt Nehls. Nun ist er Frührentner und hat die Pflegestufe 1. "Nach einigen Operationen aufgrund von Kalkablagerungen in den Adern habe ich mich entschieden, in ein Altersheim zu gehen", sagt Nehls. In die engere Auswahl kamen mehrere Heime, darunter auch die 2008 neu gebaute Einrichtung Medina in Meerbusch.

Meerbusch: "Ich fühle mich sehr wohl im Altenheim"
Foto: Ulli Dackweiler

"Ich habe mich hier umgesehen, und das Zimmer hat mir direkt gut gefallen", sagt Nehls. Ein paar eigene Möbel konnte er mitnehmen, Tisch und Bett werden vom Heim gestellt. An der Wand seines Zimmers hängen selbst mitgebrachte Bilder. Mindestens einmal in der Woche kommt ihn seine Frau besuchen. "Ich kann mich hier über nichts beklagen, mir geht es gut hier. Ich bin zufrieden", sagt Nehls.

Sein Zimmer werde sechsmal in der Woche gereinigt. Die Toilette desinfiziert, die Wäsche regelmäßig gewaschen. Das Essen sei gut, es gebe Auswahl aus mehreren verschiedenen Gerichten. Medikamente, auf die er angewiesen ist, teilt er sich selbst ein. "Ich brauche keine Pfleger, kann mich selbst anziehen und waschen", sagt Nehls.

Zu den anderen Bewohnern des Heims hat er regelmäßig Kontakt. Eine Gruppe von etwa 20 Personen sitze regelmäßig gemeinsam am Mittagstisch. "Da tauschen wir uns aus, lachen und reden miteinander", sagt Nehls. Seit vor einer Woche bekanntgeworden ist, dass der Rhein-Kreis Neuss den Betrieb der Altenheime aufgrund schwerer Mängel in Pflege und Betreuung verboten hat, sei jedoch niemandem mehr zum Lachen zumute. Bis zum 30. November sollen rund 100 Senioren nun ausziehen.

"Ich kann das alles nicht verstehen", sagt Nehls. "Mit uns — den Bewohnern — hat keiner gesprochen". Das Verhalten des Kreises nennt er "menschenverachtend". Freundschaften zwischen den Bewohnern würden durch den bevorstehenden Umzug zerstört. Nehls schätzt, dass gut 40 Prozent der Bewohner dement sind. "Die verstehen das doch alles gar nicht, wenn man ihnen sagt, dass sie woanders hin müssen", sagt Nehls. Die Bewohner hätten sich aneinander gewöhnt, fühlten sich in der Gruppe sicher und vertraut. Nicht nur er, auch viele andere Bewohner hoffen, dass sich noch eine andere Lösung findet. "Vielleicht übernimmt ein anderer Betreiber", sagt Nehls. Er möchte erst einmal abwarten, was nun passiert.

Von den schwerwiegenden Mängeln in der Pflege, die sowohl der Medizinische Dienst der Krankenversicherung als auch die Heimaufsicht des Rhein-Kreises Neuss dokumentiert haben, hat Nehls nichts mitbekommen. Eine Weile überlegt er, bevor er sagt: "Aber das Personal war knapp, das stimmt schon." Er selbst hat mitbekommen, dass nur eine Pflegekraft für bis zu 30 Bewohner auf zwei Etagen zuständig war.

Eine Pflegekraft, die Tabletten austeilen, Windeln wechseln, Bewohner an- und ausziehen und auch noch für Notfälle da sein sollte. "Die Pflegekräfte waren überarbeitet, ausgebrannt und meldeten sich oft krank", sagt Nehls. Zuletzt seien Mitarbeiter aus Portugal eingestellt worden, die gleichzeitig Deutsch-Kurse belegen. Was nun aus ihnen wird — das möchte Nehls gerne wissen. Was werde aus dem Hausmeister, den Angestellten in der Küche, was wird aus dem Gebäude? Wird es abgerissen, wie die Bewohner schon eifrig diskutieren?

Ob er heute Abend zur Info-Veranstaltung für Bewohner und Angehörige in Lank geht, weiß Nehls noch nicht genau. Es sei zugesagt worden, dass ein Bus die Bewohner abholen wird. "Viel verspreche ich mir ohnehin nicht davon. Wir werden ja nicht gefragt."

(RP)
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