Meerbusch Mein Leben mit einer neuen Lunge

Meerbusch · Fabian Kreutzer wäre längst ein toter Mann – wenn er nicht eine neue Lunge transplantiert bekommen hätte. Seine Krankheit: Mukoviszidose. Sport hat ihm geholfen. Sein Traum: an der Weltmeisterschaft der Transplantierten in Südafrika teilzunehmen.

 Stolz zeigt Fabian Kreutzer (30) die Goldmedaille der Deutschen Meisterschaften für Transplantierte. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein kleines Kästchen – in das muss er täglich pusten, um die Funktion seiner transplantierten Lunge zu kontrollieren.

Stolz zeigt Fabian Kreutzer (30) die Goldmedaille der Deutschen Meisterschaften für Transplantierte. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein kleines Kästchen – in das muss er täglich pusten, um die Funktion seiner transplantierten Lunge zu kontrollieren.

Foto: Dackweiler, Ulli

Fabian Kreutzer wäre längst ein toter Mann — wenn er nicht eine neue Lunge transplantiert bekommen hätte. Seine Krankheit: Mukoviszidose. Sport hat ihm geholfen. Sein Traum: an der Weltmeisterschaft der Transplantierten in Südafrika teilzunehmen.

 Juli 2008: Fabian Kreutzer nach der Operation. Vier tiefe Narben erinnern noch heute an die Lungentransplantation.

Juli 2008: Fabian Kreutzer nach der Operation. Vier tiefe Narben erinnern noch heute an die Lungentransplantation.

Foto: Ulli Dackweiler

Als der Tod das erste Mal seine knochigen Finger nach Fabian Kreutzer ausstreckte, war der Büdericher gerade ein sieben Jahre altes Kind. Das war 1989. Da bekam Kreutzer seine Diagnose.

Seine Klassenkameraden auf der Hildegundis-Grundschule büffelten das Alphabet, lernten Zusammenzählen und Malnehmen, hörten Roxette mit "The Look" oder die Bangles mit "Eternal Flame" — und Fabian dachte an den Tod. Nur kurz, möglichst gar nicht. "Ich habe das damals immer wieder verdrängt", sagt er 23 Jahre später.

Fabian Kreutzer sitzt auf der Veranda seiner neuen Wohnung in Osterath. Dort ist er vor kurzem mit seiner Freundin zusammengezogen. Eigentlich hätte er das gar nicht gedurft. Eigentlich hätte er das gar nicht gekonnt. Eigentlich wäre Fabian Kreutzer längst ein toter Mann.

Mukoviszidose heißt seine Krankheit. Sie beruht auf einem Gen-Defekt. Der Name kommt aus dem Lateinischen. mucus heißt Schleim, viscidus zäh oder klebrig. Durch den zähflüssigen Schleim in den Bronchien kommt es zu chronischem Husten, Bronchiektasien, häufig wiederkehrenden Lungeninfekten und schweren Lungenentzündungen. In Deutschland haben rund 8000 Menschen Mukoviszidose. Ende der 80er, als Fabian seine Diagnose bekam, war sie ein Todesurteil. Viele Erkrankte erlebten das Erwachsenenalter nicht mehr.

Der Platz auf der Liste

Fabian Kreutzer stand eine Stunde eher auf als seine Klassenkameraden, machte spezielle Atemtechniken, autogene Drainage. Eine Stunde lang. Dann ging er zur Schule. Am Abend wiederholte er das Prozedere. Vor dem Zubettgehen machte er eine weitere Stunde seine Übungen. "Mit zwölf war mit klar, dass ich eines Tages eine neue Lunge brauchen würde."

Doch lange geht alles gut. Der Büdericher mag Sport, ist Mitglied im Verein, macht Leichtathletik. Er joggt durch den Meerbuscher Wald. Neben sich seine Eltern, die ein fünf Kilo schweres Sauerstoffgerät tragen. Vor dem Gesicht trägt Kreutzer die Beatmungsmaske. Immer wieder bekommt er eine Lungenentzündung. Der Schleim bildet einen guten Nährboden für die gefährlichen Bakterien. "Aber ich hatte das Gefühl, ich bekomme das in den Griff."

Als die knochigen Finger des Todes das zweite Mal nach Fabian Kreutzer greifen, besucht er gerade die Oberstufe am Mataré-Gymnasium. Zwei Monate vor dem Ende der zwölften Klasse sammeln sich atypische Bakterien in seiner Lunge. "Das war heftig." Sechs Wochen lang kann er die Schule nicht besuchen. Es wird wieder besser, aber nur kurz. Zwei Monate studiert Kreutzer in Bonn, dann fasst ihn 2002 der Tod an der Schulter. "Es ging mir immer schlechter. Ich wusste, dass ich mich jetzt dringend auf die Liste setzen lassen muss."

Die Liste. Der Platz auf ihr entscheidet über Leben und Tod. Es geht darum, wer ein Spenderorgan bekommt. Und wer nicht. In Deutschland gibt es zu wenige Spenderorgane. Auf eine Million Einwohner in NRW kommen 14,4 Organspenden. Deshalb setzt die Liste auf ein kompliziertes Verfahren. Dem Patienten darf es nicht zu gut gehen. Dann sollte das Organ einem Bedürftigeren zugutekommen. Es darf ihm aber auch nicht zu schlecht gehen. Sonst würde es das Leben vielleicht nur ein wenig verlängern. Im Idealfall erlebt der Patient eine rapide Verschlechterung — das lässt ihn auf der Liste vorrücken. Die Verschlechterung darf aber auch nicht zu rapid sein, damit es dem Patienten nicht zu schlecht für eine Transplantation geht.

Rapide Verschlechterung

Kreutzer geht es rapide schlechter. Er macht eine Kur bei einem Spezialisten in Belgien. Und er geht Joggen und Gehen. Und die Wochen und Monate gehen ins Land. Aus 2002 wird 2003 wird 2004. Kreutzer geht zur Krankengymnastik. Als er dort in Krefeld in der Praxis sitzt, klingelt sein Handy. Sein Spenderorgan ist gefunden. "Das war am 19. Juli 2004. Diesen Tag werde ich nie vergessen."

Ein Krankenwagen bringt ihn nach Hannover. Dort soll er operiert werden. Es ist eine lange Fahrt. In Kreutzers Kopf schwirren die Gedanken. "Ich hatte Angst. Was, wenn es doch nicht funktioniert? Ich hatte aber auch Hoffnung. Endlich wieder richtig Luft holen." Um 18 Uhr wird er in den OP geschoben, zwei Chirurgen operieren ihn gleichzeitig. Einer kümmert sich um den linken, der andere um den rechten Lungenflügel. Um 6 Uhr wacht Kreutzer aus der Narkose auf — und hat das Gefühl, zu ersticken. "Ich war intubiert. Aber ich war heilfroh, dass ich wieder aufgewacht bin." Zwei lange Narben ziehen sich unter seinen Brustwarzen, zwei kurze von der Drainage einige Zentimeter weiter drunter. Und von Tag zu Tag lief es besser. "Ich bekam mehr Luft. Das war ein schönes Gefühl."

Wenn Kreutzer Bahn fährt, trägt er einen Mundschutz, um sich vor Infektionen zu schützen. Nach dem Händeschütteln desinfisziert er seine Hände. Täglich muss er Medikamente nehmen und in einen kleinen Apparat pusten, der die Lungenfunktion misst. 2006 zeigt der Apparat schlechte Werte an. "Ich leide an einer chronischen Abstoßungsreaktion der Lunge", sagt Kreutzer. Eine Heilung ist nicht möglich. "Aber es hat sich wieder stabilisiert."

Wie früher macht er auch heute Leichtathletik. Er trat bei der Deutschen Meisterschaft für Transplantierte an. Im 5000-Meter-Crosslauf und im 3000-Meter-Bahnengehen. Holte Gold. Viermal pro Woche trainiert er. Kreutzer hat ein Ziel. "Nächstes Jahr sind die Weltmeisterschaften für Transplantierte, in Durban in Südafrika. Mein Traum ist es, daran teilzunehmen." Die nötige Puste hat er. Allein: "Mir fehlt das Geld."

(RP/rl)
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