Clemens Antweiler "Wir haben wirklich sehr gute Argumente"

Meerbusch · Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht bereitet für die Stadt Meerbusch die Verfassungsbeschwerde gegen den Konverter vor

 "Niemand kann sich unter Hinweis auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte seinen gesetzlichen Pflichten entziehen", sagt Meerbuschs Anwalt Clemens Antweiler.

"Niemand kann sich unter Hinweis auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte seinen gesetzlichen Pflichten entziehen", sagt Meerbuschs Anwalt Clemens Antweiler.

Foto: Endermann

Sie werden von der Stadt Meerbusch mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das neue Gesetz zum Netzausbau betraut. Was hat der Gesetzgeber Ihrer Ansicht nach falsch gemacht?

Antweiler Das zentrale Problem liegt darin, dass die gesetzlich zwingend vorgeschriebene Alternativenprüfung bei der Aufstellung des Netzentwicklungsplans Strom 2012 vollständig unterblieben ist. Den Entwurf dieses Netzentwicklungsplans haben die Übertragungsnetzbetreiber selbst erstellt; sie haben darin die Anfangs- und Endpunkte der Ausbauleitungen, die nach ihrer Auffassung erforderlich sind, angeben. Diese Angaben hat die Bundesnetzagentur bei der Bestätigung des Netzentwicklungsplans im Wesentlichen unverändert übernommen.

Aber es gibt doch einen Umweltbericht...

Antweiler ...bei dem der Bundesnetzagentur ein schwerer Fehler unterlaufen ist: Das Energiewirtschaftsgesetz und das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung verlangen ausdrücklich, dass die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen sowie "vernünftige Alternativen" ermittelt, beschrieben und bewertet werden. Diese Prüfung hat nicht stattgefunden: Weder alternative Standorte für Netzverknüpfungspunkte noch alternative Techniken wurden untersucht. In Bezug auf Konverter ist im Umweltbericht ausschließlich der hohe Flächenbedarf angesprochen; sonstige Auswirkungen auf die Umwelt bleiben unerwähnt. Schließlich werden keine Maßnahmen genannt, die die erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen der Errichtung und des Betriebs von Konvertern reduzieren sollen.

Da sagen Sie: ein Mangel.

Antweiler Ein schwerer Mangel, der alle weiteren Verfahrensschritte infizieren wird. Auf diesen Punkt haben nicht nur betroffene Städte und Gemeinden sowie Umweltverbände hingewiesen. Selbst das Bundesumweltministerium hat sich dieser Auffassung angeschlossen und die Bundesnetzagentur zu einer Nachholung der Alternativenprüfung aufgefordert. Die Bundesnetzagentur hat geantwortet, eine detaillierte Alternativenprüfung sei ihr "nicht zuzumuten".

Wie beurteilen Sie das?

Antweiler Dieses Argument ist äußerst schwach: Niemand kann sich unter Hinweis auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte seinen eindeutigen gesetzlichen Pflichten entziehen. Hinzu kommt: Das Abwägungsgebot, das heißt die Pflicht, bei Planungsentscheidungen alle für und gegen ein Vorhaben sprechenden öffentlichen und privaten Belange gegen- und untereinander abzuwägen, folgt unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip. Deshalb hätte die Bundesnetzagentur selbst dann eine Alternativenprüfung durchführen müssen, wenn dies im Gesetz nicht so klar geregelt wäre.

Warum dann gleich der Gang zum Verfassungsgericht?

Antweiler Zum verfassungsrechtlichen Problem wird die Sache deshalb, weil der von der Bundesnetzagentur bestätigte Netzentwicklungsplan Grundlage für das Bundesbedarfsplangesetz ist, das der Bundestag in dieser Woche verabschieden will. Dieses Gesetz greift unmittelbar in die kommunale Planungshoheit ein, denn die dort vorgesehenen Anfangs- und Endpunkte von Ausbauleitungen stehen für andere Planungen der betroffenen Kommunen nicht mehr zur Verfügung. Damit ist die verfassungsrechtlich geschützte Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen verletzt. Zwar hat der Gesetzgeber bei Prognoseentscheidungen grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser Gestaltungsspielraum ist aber nach gefestigter Rechtsprechung dann überschritten, wenn die Bedarfsfeststellung evident sachwidrig ist. Genau diese Situation haben wir hier: Der Gesetzgeber wird den von der Bundesnetzagentur bestätigten Netzentwicklungsplan 1:1 übernehmen; dieser Netzentwicklungsplan wiederum beruht weitgehend auf dem "Wunschzettel", den die Übertragungsnetzbetreiber selbst ausgefüllt haben. Eigene Ermittlungen hat der Gesetzgeber bislang nicht angestellt. Gestaltungsspielräume können dem Gesetzgeber aber dann nicht zugute kommen, wenn es schon an den Voraussetzungen einer sachgerechten Beurteilung in der Sachverhaltsermittlung fehlt.

Wird die Klage Erfolg haben?

Antweiler Es ist bekannt, dass die Erfolgsquote von Verfassungsbeschwerden im allgemeinen nicht gerade hoch ist. Doch das ist Statistik. Nach meiner Einschätzung haben wir hier wirklich sehr gute Argumente. Wenn schon das Bundesumweltministerium die fehlende Alternativenprüfung beanstandet und unter Hinweis auf erhebliche rechtliche Risiken für den gesamten Netzausbau eine Nachbesserung gefordert hat, muss dem Gesetzgeber schon viel einfallen, um plausibel zu begründen, weshalb er sich über diese Bedenken einfach hinwegsetzt. Dazu kommt vom Gesetzgeber aber bisher nichts, abgesehen von der Aussage, die Energiewende sei "alternativlos". Das genügt nicht, um eine gesetzliche Bedarfsfeststellung zu rechtfertigen.

Sie haben in Aussicht gestellt, auch bei der EU-Kommission Beschwerde einzureichen.

Antweiler Die Alternativenprüfung ist in einer EU-Richtlinie zwingend vorgeschrieben. Darüber hat sich die Bundesnetzagentur hinweggesetzt; deshalb ist Unionsrecht verletzt. Nach Einlegung einer Beschwerde prüft die EU-Kommission, ob der geltend gemachte Verstoß vorliegt und fordert gegebenenfalls die Bundesregierung zur Beseitigung des Verstoßes auf.

MARTIN RÖSE FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP/ac)
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