Erkrath Das Jugendamt sucht Eltern auf Zeit

Erkrath · Eine Pflegemutter berichtet: Viele Kinder sind misshandelt und verwahrlost – und dankbar für liebevolle Zuwendung.

 Yvonne Kardell ist Mitarbeiterin beim Kinderpflegedienst der Stadt Erkrath und vermittelt Notfälle für Wochen oder Monate in Familien mit Geduld und pädagogischer Erfahrung.

Yvonne Kardell ist Mitarbeiterin beim Kinderpflegedienst der Stadt Erkrath und vermittelt Notfälle für Wochen oder Monate in Familien mit Geduld und pädagogischer Erfahrung.

Foto: Dietrich Janicki

Eine Pflegemutter berichtet: Viele Kinder sind misshandelt und verwahrlost — und dankbar für liebevolle Zuwendung.

Wenn bei ihr das Telefon klingelt und der Name "Kardell" aufleuchtet, dann weiß Monika Lange (Name geändert): "Jetzt kommt wieder ein Kind zu mir." Yvonne Kardell ist Mitarbeiterin beim Kinderpflegedienst der Stadt Erkrath, Lange ist Pflegemutter — seit fast 40 Jahren.

Wenn das Jugendamt ein Kind aus einer Notsituation in Obhut nehmen muss, kommt es zu einer Pflegefamilie. "Ich weiß meist nichts über das Kind oder die Kinder, die dann in wenigen Minuten bei mir einziehen werden", sagt Lange. Nur eines stehe fest: Sie sind traumatisiert: von schlimmen Erfahrungen im Elternhaus, von der Trennung der Eltern.

Monika Lange hat früher in einer Großstadt gewohnt. "Ich hatte dort ein Kind in normaler Tagespflege und bin vom Jugendamt angesprochen worden, ob ich mir vorstellen könnte, ein Kind aus einer Notsituation aufzunehmen." Sie sagte zu — und blieb nach ihrem Umzug nach Erkrath Pflegemutter. Ihre drei eigenen Kinder sind längst erwachsen. Sie sind mit ständig wechselnden Pflegekindern aufgewachsen und gut damit klar gekommen. "Etwa 80 Kinder waren für Wochen oder Monate bei mir, bis sie in ihre endgültigen Pflegefamilien gekommen sind, sieben sind über mehrere Jahre in Dauerpflege geblieben."

Jedes Mal muss sie sich neu einstellen, jedes Mal individuell auf das Kind eingehen. "Die meisten kennen keinen geregelten Tagesablauf, kein gemeinsames Essen und Zähneputzen, keine Rituale. Ein Junge hat sich mit Jeans und Pulli ins Bett gelegt, weil er keine Schlafanzüge kannte." Die Jungen und Mädchen, die sie aufnimmt, sind oft misshandelt oder missbraucht worden, meist verwahrlost.

Die Schuhe sind bei der Ankunft zu klein, die Nägel zu lang, sie machen in einem Alter ins Bett, in dem andere Kinder selbstständig auf die Toilette gehen. Lange hat gelernt, wie sie mit den traumatisierten Kindern umgeht, mit Regeln und Grenzen — und viel Geduld und Liebe.

Ob die Kinder in der gleichen Stadt bleiben, ob die Eltern Kontakt haben dürfen — das wird individuell entschieden. Oft gibt es Gerichtsprozesse um Besuchs- oder Sorgerecht. Lange weiß nach den vielen Jahren: "Die Kinder gehen sehr selten in ihre Familien zurück. Für die meisten werden dauerhafte Pflegefamilien gesucht."

Sie sagt ihren Pflegekindern, dass sie nicht für immer bei ihr bleiben. Ein Ordner mit Tagebuch und Fotos erinnert später an den Aufenthalt in der Pflegefamilie. Die Arbeit als Pflegeeltern ist belastend und anstrengend, etwa wenn die Kinder aggressiv sind oder nicht schlafen können.

Lange und ihr Mann investieren gerne Zeit und Energie: "Es ist toll, die Entwicklung der Kinder zu sehen, wenn sie gefördert werden. Es kommt so viel zurück. Allein der Gesichtsausdruck auf den Fotos, die wir bei der Ankunft und beim Abschied machen, spricht meist Bände. Zu vielen habe ich bis heute Kontakt."

(RP)
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