Köln Zehntausende demonstrieren gegen Erdogan

Köln · Zehntausende Menschen haben am Samstag in Köln gegen die Politik des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan protestiert. Zu der Demonstration kamen so viele Menschen, dass ein der geplante Protestzug durch die Innenstadt abgesagt werden musste.

Köln: Massendemo gegen Erdogan
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"Erdogan geh' - dann wird alles besser", hat die Alevitin Laura in türkischer Sprache auf das Plakat geschrieben, das sie am Samstag auf dem Kölner Heumarkt in die Höhe hält.

"Wir wollen unsere Solidarität mit den Demonstranten in der Türkei zeigen", sagt die 19-Jährige aus Bergisch Gladbach, nachdem sie ihren Mundschutz zum Kinn hinuntergezogen hat. Mit der Atemschutzbinde will sie gegen den Gaseinsatz der türkischen Polizei protestieren, die in den vergangenen Wochen wiederholt massiv gegen Protestierende in türkischen Städten vorgegangen ist.

Laura ist eine von Zehntausenden, die zur bislang größten Demonstration in Deutschland gegen die türkische Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach Köln gekommen sind. Bundesweit hat die Alevitische Gemeinde Deutschlands in den vergangenen Tagen für die Kundgebung unweit des Kölner Doms mobilisiert.

Mit Erfolg: Statt der zunächst erwarteten 30.000 Teilnehmer sind nach Veranstalterangaben mehr als 80.000 Menschen aus ganz Deutschland und mehreren Nachbarstaaten nach Köln gekommen. Während der Kundgebung macht sogar die Zahl von mehr als 100.000 Teilnehmern die Runde. Die Polizei wollte sich zur Teilnehmerzahl zunächst nicht äußern.

"Die Revolution hat gerade erst begonnen"

Wie viele nun auch immer in die Kölner Altstadt gekommen sein mögen - die Zahl der Erdogan-Kritiker ist jedenfalls so groß, dass die Veranstalter aus Sicherheitsgründen auf die ursprünglich geplante Demonstration durch die Innenstadt verzichten und stattdessen eine mehrstündige Kundgebung abhalten.

"Wir sind nicht alle - es fehlen die Gefangenen", steht auf einem der Plakate, die die protestierenden Aleviten während der Veranstaltung hochhalten. "Die Revolution hat gerade erst begonnen", steht auf einem anderen Transparent.

Solidarität auch mit Demonstranten in Brasilien

Doch die deutschen Aleviten solidarisieren sich nicht nur mit den türkischen Demonstranten vom Istanbuler Taksim-Platz und in anderen türkischen Städten. "Wir alle sind Taksim - wir alle sind Sao Paulo", steht auf einem weiteren Schild zu lesen. Auch die Prostierenden in Brasilien sollen an diesem Samstag in Köln eine Stimme bekommen. Mit Riesenbeifall wird eine Gruppe von neun jungen Brasilianern auf der Rednerbühne begrüßt. Gemeinsam mit den Aleviten skandieren sie: "Hoch die internationale Solidarität."

Auch deutsche Politiker haben die Aleviten als Redner zu ihrer Großkundgebung eingeladen. Gekommen sind der Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich und der Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck, außerdem das IG-Metall-Vorstandsmitglied Christiane Benner.

Die weitreichenden Forderung der alevitischen Demonstranten freilich sind in der deutschen Politik nicht mehrheitsfähig: Die Aleviten, Angehörige einer gemäßigten Glaubensrichtung des Islams, bestehen auf dem Rücktritt Erdogans und sofortigen Neuwahlen - vorher dürfe "kein neues Beitrittskapitel bei den Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU eröffnet werden", heißt es in einem Forderungspapier.

Neben lauter Kritik an Erdogan gibt es bei der Kölner Großkundgebung auch stille und emotionale Momente. So wird es plötzlich auf dem randvoll gefüllten Heumarkt ganz ruhig, als von der Rednertribüne zu einer Schweigeminute für die Gewaltopfer unter den Demonstranten in der Türkei aufgerufen wird. Und später fassen sich die Protestierenden an den Händen, um drei Minuten lang nach dem Vorbild des "stehenden Manns" für Freiheit in der Türkei zu demonstrieren - jener in Istanbul erfundenen neuen Protestform.

(afp/jco/gre/nbe)
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