Referendare vor ungewisser Zukunft Die letzten Schulferien vor Hartz IV

Düsseldorf · Landesweit stehen rund 3800 Referendare vor einer ungewissen Zukunft. Trotz angeblichen Lehrermangels gibt es für die meisten von ihnen keine offenen Stellen in diesem Jahr. Sie bekommen nicht einmal Arbeitslosengeld.

13 Fakten zu Hartz IV
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Foto: dpa, Oliver Berg

Jan Wachtmeister hat die Abschlussprüfungen seiner Lehrerausbildung mit Bestnoten bestanden. Der 29-Jährige unterrichtet die Fächer Sport und Spanisch. Doch statt jetzt eine eigene Klasse zu übernehmen oder zumindest Vertretungsunterricht geben zu können, muss er zum Arbeitsamt, Hartz IV beantragen.

An seiner jetzigen Schule, dem Gelsenkirchener Grillo-Gymnasium, gibt es wie an den meisten Gymnasien keine offenen Stellen. "Erst zum nächsten Schuljahr kann ich hoffen, dass irgendwo an einer anderen Schule in Deutschland eine Stelle für mich frei wird." Aber auch dafür stünden die Chancen sehr schlecht, sagt er. "Das ist unbefriedigend und macht wütend."

Insgesamt gibt es laut Schulministerium in NRW rund 3800 junge Lehrer, die spätestens am 30. April mit ihrer Ausbildung fertig sind. Die meisten von ihnen haben wie Jan Wachtmeister noch keine feste Anstellung bekommen und wissen nicht, wie es für sie beruflich weitergehen soll. Viele müssen Hartz IV beziehen, weil sie als Referendare Beamte auf Widerruf sind und deswegen auch nicht in die Arbeitlosenversicherung einbezahlt haben. "Das ist für sie wirklich dramatisch. In manchen Fällen beträgt der Satz nur 120 Euro" sagt Peter Silbernagel, Vorsitzender des Philologenverbandes in NRW.

Doppelter Abiturjahrgang sorgt für Probleme

Hauptgrund für die angespannte Situation sei der doppelte Abiturjahrgang in diesem Jahr. "Dadurch verlassen gleich zwei komplette Stufen eine Schule, was zwangsläufig zur Folge hat, dass es im nächsten Schuljahr weniger Schüler gibt", erklärt Silbernagel. "Lehrerstellen hängen aber von der Anzahl der Schüler ab." Hinzu kommt der doppelte Referendarsjahrgang. Durch die in NRW von 24 auf 18 Monate verkürzte Lehrerausbildung werden erstmals und einmalig Tausende junger Lehrer gleichzeitig fertig. So aussichtslos sei die Lage für junge Lehrer seit 30 Jahren nicht mehr gewesen "Die können einem leidtun", sagt Silbernagel.

Dabei fehlen an fast allen Schulen in NRW Lehrer. Junger, engagierter und gut qualifizierter Nachwuchs wird besonders an weiterführenden Schulen händeringend benötigt. Jede achte Stelle ist laut Bildungsexperten unbesetzt. Unterrichtsstunden fallen aus. Doch statt die ausgebildeten Referendare einzustellen, vergibt man einige der freien Stellen vorübergehend an Studenten und freiberufliche Quereinsteiger mit zum Teil fragwürdigen Qualifikationen. "Es reicht aus, in der Schule den Physik-Leistungskursus besucht zu haben, um eingestellt zu werden", berichtet ein Rektor eines Gymnasiums am Niederrhein. "Wir würden gerne die Referendare einstellen, können es aber nicht, weil es die Planstellen dafür nicht gibt. Studenten hingegen kosten kaum etwas."

Ministerium: "Jede freie Stelle wird besetzt"

Beim Schulministerium sind die Probleme bekannt. Vorwürfe, man würde zu wenige Lehrer einstellen, weist die rot-grüne Landesregierung aber von sich. "Wir haben bis zum 1. August vergangenen Jahres 6529 neue Lehrer eingestellt", sagt ein Ministeriumssprecher. "Jede freie Stelle wird auch sofort wieder besetzt." Am verkürzten Referendariat, was Kritiker ebenfalls als Sparmaßnahme bezeichnen, soll weiter festgehalten werden. Das Schulministerium rät den arbeitssuchenden Lehrern, Geduld zu haben. In den nächsten Jahren würden aufgrund von Pensionierungen Zehntausende Stellen frei. "In diesem Jahr ist es leider so, dass es vor allem an Gymnasien kaum Stellen gibt", räumt der Ministeriumssprecher ein.

Für den Philologenverband sind solche Aussagen nicht viel mehr als "Augenwischerei". Silbernagel will die Landesregierung in die Pflicht nehmen: "Bis zu Beginn des nächsten Kalenderjahres müssen ausreichend neue Stellen für junge Lehrer geschaffen werden", fordert er. "Wir können es uns nicht leisten, junge Akademiker zum Arbeitsamt zu schicken."

Manfred Gast ist Schulleiter des Gelsenkirchener Grillo-Gymnasiums, an dem Jan Wachtmeister seine Lehrerausbildung gemacht hat. Gerne hätte Gast ihn und die anderen acht Referendare übernommen. "In ein bis zwei Jahren kann ich wieder einen Referendar einstellen", sagt der Schulleiter, der sich um die berufliche Zukunft seiner jungen Kollegen große Sorgen macht. Im Regierungsbezirk Münster, zu dem seine Schule gehört, werden im Sommer lediglich 40 Stellen an Gymnasien frei. "Das ist so gut wie nichts", meint Gast. "Dabei sind die Referendare wie Herr Wachtmeister hervorragende Lehrer."

(RP/jre/das)
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