Land muss 1060 Syrer aufnehmen NRW-Städte mit Flüchtlingen überfordert

Essen · Die Kommunen suchen händeringend Gebäude, in denen sie die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien unterbringen können. Anwohner in Essen und Duisburg protestieren teils massiv dagegen. Das Land muss 1060 Syrer aufnehmen.

Noch sind die Asylbewerber gar nicht da, und es steht auch noch nicht fest, ob sie überhaupt nach Essen kommen. Doch die Anwohner der Walter-Pleitgen-Schule im Stadtteil Unterfrintrop wissen schon jetzt, dass sie die Bürgerkriegsflüchtlinge in ihrem Viertel nicht haben wollen. Sie würden nicht in die gewachsenen Strukturen der Nachbarschaft passen, meinen sie. Die Bürgerinitiative, die sich sofort gebildet hat, als das erste Gerücht mit der möglichen Notunterkunft in der Schule aufkam, macht aus ihren Vorurteilen keinen Hehl. Prinzipiell, sagen sie, hätte man nichts gegen die Flüchtlinge, "nur nicht eben bei uns vor der Haustür", sagt Anliegerin Gisela M. "Das verstehen Sie doch bestimmt?"

Bundesweit müssen die Kommunen und Städte in den kommenden Wochen und Monaten rund 5000 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, 1060 davon kommen nach NRW. Die Aufteilung erfolgt nach einem Staatsabkommen, dem sogenannten Königsteiner-Schlüssel. "Demnach müssen wir immer rund 20 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen, die nach Deutschland kommen", erklärt eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. 74 Syrer sind schon im Sommer eingetroffen, individuell und nicht per Charter-Flug. Weitere 107 sind vor einer Woche im Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen angekommen, 17 von ihnen sollen nach NRW kommen, verteilt auf Köln, Wuppertal und Meschede. Vorher werden sie in Friedland mit Informations- und Sprachkursen auf ihren Aufenthalt vorbereitet.

Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat den Flüchtlingen schnelle Hilfe zugesichert und zugleich angekündigt, dass das Land noch weitere 1000 Syrer aufnehmen will. Die Hürde dafür ist allerdings hoch. Die Anordnung sieht vor, dass in NRW lebende Syrer Angehörige zu sich holen dürfen, wenn sie für deren Unterhalt aufkommen können. Doch das könnten die wenigsten, kritisiert der Flüchtlingsrat.

Die NRW-Städte sind mit der Unterbringung von Bürgerkriegsflüchtlingen überfordert — finanziell und logistisch. Denn die Kommunen müssen nicht nur für die Syrer Platz bereitstellen, sondern auch für Tausende Asylbewerber. "Wir wissen um die Probleme der Städte", sagt eine Ministeriumssprecherin. "Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, diese Situation zu meistern."

Dabei stünden den Städten eigentlich genügend leerstehende Gebäude zur Verfügung. Allein in Duisburg gibt es eine Vielzahl solcher Immobilien. Doch sie erfüllen meistens nicht die Brandschutzbestimmungen. "Mal fehlt eine Treppe, mal ist die Deckenhöhe zu niedrig", sagt ein Duisburger Stadtdezernent. In Wickede-Wimbern, einem kleinen Dorf im Kreis Soest mit gerade einmal rund 800 Einwohnern, sollten Flüchtlinge in einem Krankenhaus untergebracht werden. Doch eine Raumluftuntersuchung ließ Sanierungsbedarf erkennen. Die Bezirksregierung Arnsberg teilte mit, dass eine Nutzung des Hauses als Notunterkunft vorerst nicht möglich sei.

Der Städte- und Gemeindebund fordert finanzielle Unterstützung für die Kommunen. "Die verursachten Unterbringungskosten müssen von Bund und Land erstattet werden", erklärt Hauptgeschäftsführer Bernd Jürgen Schneider.

Während Städte händeringend nach geeignetem Wohnraum suchen, nutzen Rechtsextreme die Situation aus. In Duisburg, wo die Lage besonders angespannt ist, hat die NPD bei der Bundestagswahl 4,17 Prozent der Erststimmen geholt. Beinahe wöchentlich demonstrieren rechtsradikale Bewegungen vor von Ausländern bewohnten Gebäuden. Zuletzt mussten städtische Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen eine Besichtigung des leerstehenden St.-Barbara-Hospitals, das als Notunterkunft infrage käme, abbrechen, weil draußen mehr als 200 wütende Anwohner protestierten. Die Stadt beobachtet die Entwicklung mit Sorge. "Wenn es so weiter geht, haben wir dann Rechtsradikale im Stadtrat sitzen", sagt ein Duisburger SDP-Ratsherr.

In Essen prüft die Verwaltung 17 Standorte, in denen sie Flüchtlinge unterbringen kann. Fast überall stoßen die städtischen Mitarbeiter auf Widerstand bei den Anwohnern. Die Stadt versucht, die Liste der infrage kommenden Gebäude möglichst geheim zu halten. "Wir haben Sorge, dass die Gebäude für die Notunterkünfte beschädigt werden, damit keine Flüchtlinge dort untergebracht werden können", sagt eine Sprecherin der Stadt.

Dass Flüchtlinge auch ohne Probleme integriert werden können, zeigt das Beispiel Münster. Dort bringt die Stadt die Flüchtlinge in Mietwohnungen unter, aufgeteilt auf das Stadtgebiet "So vermeiden wir, dass sich soziale Brennpunkte bilden", sagt ein Sprecher. Ehrenamtler geben den Flüchtlingen Deutschunterricht. Proteste wie in anderen Städten gibt es kaum.

(RP)
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