Irische Geschichte erleben Auf dem "Weg des Riesen"

Belfast · Der Nordosten der Grünen Insel lockt mit imposanter Natur, einem Titanic-Museum und der quirligen Hauptstadt Belfast.

Wer mit dem Flugzeug nach Nordirland reist, landet in Dublin und gelangt zunächst in die Republik Éire. In Dublin zahlt man wie im ganzen Land mit Euro, und die Entfernungsangaben auf den Autobahnen gelten in Kilometern. Doch sobald man die Grenze zu Nordirland überschritten hat, bemerkt man, dass die gälisch-irischen Bezeichnungen der Ortsnamen wegfallen und die englischen Begriffe übrigbleiben. Ab sofort gilt die Maßeinheit der Meile. Und zahlen muss man mit dem Pfund Sterling. Alles Indizien der tiefgreifenden Trennung.

Der aus konfessionellen Spannungen zwischen der protestantischen Mehrheit und der katholischen Minderheit in Nordirland herrührende Konflikt scheint heutzutage geschlichtet. Der Tourist spürt davon kaum etwas. Es sei denn, er begibt sich in Belfast auf eine "Black-Cab-Tour". Dabei zeigt sich, dass die Trennmauern zwischen katholisch und protestantisch bewohnten Straßenzügen zu touristischen Sehenswürdigkeiten wurden.

Oranier sind Identifikationsfigur

Im Shankill-Viertel hält Taxifahrer Billy vor einer Hausfassade, die König William III. von Oranien in Rüstung streitbar auf einem steigenden Pferd zeigt. Der Oranier ist nach wie vor Identifikationsfigur für viele Protestanten, die an die legendäre Schlacht 1690 am River Boyne erinnern, welche die Vorherrschaft der Protestanten in Ulster besiegelte. Mit Folgen, die Nordirland mehrmals an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht haben.

Dann fährt Billy über eine unsichtbare Grenze in ein katholisches Viertel, nach Carrick Hill. Dabei ändert er, wie er schmunzelnd erklärt, seinen englischen in den irischen Vornamen Liam. Für Mitteleuropäer, die Religion und Staatsverfassung zu trennen gewohnt sind, fällt es schwer, Verständnis für die schleppende Entwicklung zum Frieden aufzubringen. Nach wie vor scheint das eine Aufgabe für Riesen zu sein, denn die rigide Aufteilung der Kinder auf konfessionelle Schulen sorgt kaum dafür, Grenzen in den Köpfen niederzureißen.

Riesen mit Köpfchen wiederum gehören zum nordirischen Selbstverständnis. Wer das Besucherzentrum an der als Unesco-Weltkulturerbe ausgewiesenen Steilküste bei Bushmills aufsucht, wird mit einer Legende konfrontiert, die die Entstehung der Säulen und des Pflasters aus Basalt erklärt. "The Giant?s Causeway", Dammweg des Riesen, heißt das imposante Naturdenkmal mit seinen Orgelpfeifen und Schornsteinen. Die Schluchten sind das Ergebnis dreier Vulkanausbrüche im Tertiär.

Viel lieber als eine geologische Erklärung führen die Iren aber eine mythische an: Es waren zwei Riesen, der irische Finn McCool und sein schottischer Gegenspieler Benandonner. Obwohl Finn wusste, dass sein Gegner größer war, forderte er Benandonner zum Duell und baute einen Steindamm über das Meer bis nach Schottland. Als der schottische Riese sich näherte, bekam es Finn mit der Angst zu tun. Da hatte seine Frau eine Idee: Sie bauten eine riesige Wiege, in die sich Finn, verkleidet als Kind, hineinlegte. Als Benandonner das Haus der McCools betrat und das riesenhafte Kind erblickte, bekam er einen Schreck. Wenn das Baby seines Gegners so groß war, wie gigantisch würde erst der Vater sein? Eilig stürmte Benandonner über den "Causeway" zurück nach Schottland, dabei trampelte er den Damm kaputt, damit Finn ihm nicht folgen konnte.

Titanic vor 100 Jahren gesunken

Ein anderer Riese schläft seit 100 Jahren im Atlantik südöstlich von Neufundland: die Titanic. Nach der Kollision mit einem Eisberg sank das in Belfast gebaute Passagierschiff, das am 31. Mai 1911 vom damals größten Trockendock der Welt vom Stapel lief, auf seiner Jungfernfahrt. Die Titanic ist in dem 300 Meter langen Dock am River Lagan von dem Schiffsbauunternehmen Harland & Wolff gebaut worden. Touristenführerin Ashley kann sich eine lakonisch-trockene Feststellung nicht verkneifen: "Das Schiff war mit seinen drei Millionen Nieten im Rumpf perfekt gebaut - leider hat ein englischer Kapitän die Titanic auf einen Eisberg gelenkt."

Kürzlich hat das erst im März eröffnete Besucherzentrum "Titanic Belfast" den 500.000. Gast, die Kanadierin Lynda Price, willkommen geheißen. Das imposante Bauwerk, das in seiner äußeren Form die drei berühmtesten Schiffe aus Belfast - Olympic, Titanic, Britannic - darstellt, bietet für 13,50 Pfund Eintritt Informationen in Hülle und Fülle.

Die Hauptstadt Belfast zählt knapp 270.000 Einwohner. Aber in der Universitätsstadt mit Parlamentssitz und einer prachtvollen City Hall tobt das Leben. Stolz auf ihre zahlreichen Musikgruppen sprechen Einheimische mittlerweile von "Swinging Belfast". Zu Recht. Eine quirlige Hauptstadt - nicht riesig, aber faszinierend.

(anch)
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