Australien Geheimtipp Auf Tour zwischen den Wassermassen von Riverland

Renmark · Nil, Amazonas, Mississippi: Die großen Flüsse der meisten Kontinente kann fast jeder aufzählen. Australiens Murray River dagegen kaum jemand. Obwohl der Murray nicht nur ein ungewöhnliches Öko-System, sondern auch toll anzusehen ist.

In Australiens Riverland simulieren Menschen Natur
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Das Wasser steht den beiden Männern nicht bis zur Hüfte, wie es bei der Überschwemmung 2011 der Fall gewesen wäre. Es reicht Christophe Tourenq und Peter Waanders auch nicht bis zu den Knien, wie 1996. Ganz zu schweigen vom Rekordpegel 1956, den der Flutmarker hoch über ihren Köpfen anzeigt. Nein, das Wasser ist komplett verschwunden - aufgehalten von einem Regulator.

Das Bauwerk sorgt alle zwei Jahre dafür, dass der Murray River einige Monate lang die Feuchtwiesen des Weinguts Banrock Station in der südaustralischen Riverland-Region nicht erreicht. Es macht damit wieder möglich, was jahrzehntelang nicht ging: Zeiten von Trockenheit und Überflutung wechseln sich ab - für viele Tiere und Pflanzen ist das überlebenswichtig.

Sechs Staudämme

Vor exakt 100 Jahren begannen die Bauarbeiten an einem System von Schleusen und Dämmen, die den Murray stark veränderten. Von 1913 bis 1937 entstanden allein in Südaustralien zwischen Blanchetown und der Grenze zum Nachbarstaat Victoria sechs Stauwehren, um den Fluss besser schiffbar zu machen. Ein Nebeneffekt war, dass der Murray etwa zwei Drittel der Senken an seinen Ufern dauerhaft überflutete. Zum Beispiel die an der Banrock Station, wo viele Ufer-Eukalyptusbäume - die "River Red Gums" - mit der Zeit abstarben, weil ihre Wurzeln regelrecht ertranken. Nur die kahlen, bleichen Stämme blieben stehen.

Doch 1992 kam der Regulator, und seit 2007 lässt das Weingut alle zwei Jahre seine "Wetlands" entlang des Flusses vollständig trocken fallen. "Dadurch wird dann auch verhindert, dass hier Tag für Tag etwa zehn Millionen Liter Wasser einfach so verdunsten", erklärt Christophe Tourenq. Als "Wetland-Manager" von Banrock betreut der Schweizer ein Projekt, das im Riverland Vorbildcharakter besitzt.

Denn weiter flussaufwärts, nordöstlich des regionalen Zentrums Renmark, lässt die Regierung auf dem Gebiet der alten Schaffarm Chowilla für umgerechnet 48 Millionen Euro ein ganzes System von Regulatoren bauen. Das Ziel ist es, in einem von Kanälen und Seen durchzogenen Gebiet, das bis in den Nachbarstaat New South Wales reicht, den Wasserstand variabel zu halten. Im Jahr 2014 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. "Wir simulieren dort die Natur", erklärt Teresa ter Bogt vom McCormick-Umweltzentrum in Renmark das Konzept.

3750 Kilometer langes Flusssystem

Im McCormick-Zentrum wird Besuchern auch erläutert, wie das 3750 Kilometer lange System der Flüsse Murray und Darling funktioniert. Im Sommer bringt der Darling tropischen Regen aus Queensland im Norden, im Winter und Frühling sorgen Niederschläge und die Schneeschmelze in den Bergen Südost-Australiens für den Wassernachschub. Der natürliche Pegel schwankt dabei enorm.

Während der Rekordflut 1956 strömten 350 Milliarden Liter pro Tag den Fluss hinunter - an vielen normalen Tagen sind es gerade mal 10 bis 12 Milliarden. Bei anhaltender Trockenheit wie von 2006 bis 2009 kann der Wasserspiegel aber trotz der Stauwehren rapide abfallen - auch wegen der großen Mengen, die täglich für die Landwirtschaft aus dem Fluss entnommen werden.

"Südlich von Blanchetown konnte man während dieser trockenen Jahre eine Zeit lang zu Fuß durch den Murray laufen", erklärt der Touristenführer Peter Waanders. Üblicherweise ist er dort etwa 2,50 Meter tief. Der Mensch hat hier sehr in die Natur eingegriffen und versucht nun, dies rückgängig zu machen, ohne aber den Urzustand wiederherstellen." Der 42 Jahre alte gebürtige Niederländer wohnt seit 1996 im Riverland. Am Anfang sei es ein "Kulturschock" gewesen, im ländlichen Australien zu leben, das in mancher Hinsicht rückständig war. "In den vergangenen Jahren ist aber viel Geld in die Infrastruktur investiert worden." Dadurch werde Riverland auch für Touristen interessanter.

Maximal Drei-Sterne-Komfort

Viele Unterkünfte an Land haben maximal Drei-Sterne-Komfort. Zwar sind in jüngster Zeit auch Luxus-Apartments für Urlauber entstanden. Was aber fehlt, sind größere Vier-Sterne-Hotel, mit denen sich Busgruppen anlocken ließen - und damit auch mehr internationale Touristen. Zwar stammt fast jeder fünfte Gast aus dem Ausland, sagt Tony Sharley von der Organisation Destination Riverland. Meist seien es aber Rucksackreisende, die vor allem kommen, um als Helfer bei der Weinlese oder Obsternte ihr Reisebudget aufzubessern.

Die Rebstöcke und Obstplantagen bestimmen das Landschaftsbild rund um die Orte Renmark, Berri und Loxton. Angebaut werden Zitrusfrüchte, Pfirsiche, Aprikosen und Avocados, vor allem aber Weintrauben. "Früher hat man den Wein zu Brandy und Sherry verarbeitet", erzählt Tony Sharley. Seit den 70er Jahren aber werden Chardonnay und andere Sorten verstärkt für die Weinindustrie angebaut. Schafzucht gibt es ebenfalls noch immer, auch wenn einige große Viehfarmen nördlich des Murray aufgegeben wurden. Als "Conservation Parks" sind sie der Natur überlassen. Auf dem mit Spinifex-Gras und den geduckten Mallee-Büschen bewachsenen Sandboden leben wilde Ziegen und etliche Vogelarten, weshalb das Riverland auch Vogelfreunde anlockt.

All die landwirtschaftlichen Produkte zuverlässig nach Adelaide bringen zu können, war einst der Grund für den Bau der Stauwehren. "Die Ironie der Geschichte ist, dass die Zeit der Dampfschiffe im Grunde vorbei war, als 1932 die Eisenbahn nach Renmark kam - gerade als die Schleusen und Dämme alle fertig wurden", sagt Tony Sharley.

Australiens größter Rosengarten

Heute fahren die Produkte auf Lastwagen durch das Land. Die Anbauflächen wurden zugleich immer mehr erweitert, ein Großteil des Murray-Wassers zweigen Landwirte deshalb für die Plantagen ab. Sie bewässern aber immer öfter durch Schläuche entlang der Wurzeln statt über Sprinkleranlagen mit großen Streuverlusten. Wozu das führt, zeigt "Ruston's Roses" bei Renmark, Australiens größter Rosengarten mit rund 4000 Sorten und etwa 40.000 Rosenstöcken: "Unser Wasserbedarf ist von 171 auf 56 Millionen Liter im Jahr gesunken", sagt Mitinhaber Richard Fewster.

Ein Besuch im Riverland lässt sich gut über drei oder vier Tage strecken, zu sehen gibt es genug. In Overland Corner steht ein Pub aus dem Jahr 1859, das nicht stark verändert und vor kurzem in ein Restaurant mit regionaler Küche umgewandelt wurde. Kanutouren werden angeboten, und im Murray River Nationalpark südlich von Berri gibt es mehrere Wanderwege am Wasser. Der Ort Loxton, wo der Murray eine Schleife zieht, besitzt wegen vieler Einwanderer im 19. Jahrhundert ein deutsches Erbe - gut ablesbar ist das am Ehrenmal mit den Soldatennamen aus zwei Weltkriegen, von Albrecht bis Ziersch.

Kölsch im Outback

An einer anderen Flussbiegung, den Headings Cliffs bei Renmark, leuchten in der Sonne hohe Steilklippen aus orange-rotem Sandstein - ein beliebtes Ziel für Hausbooturlauber, die vor einer besonderen Kulisse Fotos machen möchten. Für einen weiteren Stopp bietet sich in der Nähe die alte Schafschurhütte der Wilkadene Station an, die zur Brauerei mit Pub geworden ist; gezapft wird unter anderem ein Kölsch.

Eine Möglichkeit, den Murray vom Wasser aus zu erleben, ist eine Tour mit dem Boot von Loch Luna Cruises. Vom kleinen Ort Kingston-on-Murray aus geht es 14 Kilometer lang rund um die Insel Snake Island. Vor dem Bau der nahe gelegenen Schleuse Nummer drei lag der Wasserspiegel hier drei Meter tiefer. "Damals wurde aus einem Überflutungsgebiet ein überflutetes Gebiet", sagt Kapitän Carl Doubikin, während er langsam an einigen "River Red Gums" vorbeizieht. "Schon 1928 sind die abgestorben, drei Jahre nach dem Schleusenbau."

Nur ein paar hundert Meter entfernt stehen kurz darauf Christophe Tourenq und Peter Waanders an jenem Regulator, der den Murray gerade daran hindert, auch die Feuchtwiese der Banrock Station zu fluten. Rund um eine Pfütze, die der Fluss gelassen hat, liegen die Kadaver von Hunderten von Karpfen und bilden einen reich gedeckten Tisch für Vögel und Warane. "Wenn wir das Wasser ablassen, gehen einheimische Fische mit dem Strom. Die aus Europa eingeführten Karpfen ziehen ihm entgegen", erklärt der "Wetland-Manager", der es nicht schlimm findet, dass so viele Karpfen verendet sind: "Wir nennen sie auch die Karnickel des Flusses, weil sie sich so rasch vermehren und hier alles wegfressen."

Dann setzen die Männer ihre Tour fort auf den Wegen, die während der Trockenphase durch das Überschwemmungsgebiet führen. "Im August 2013 werden wir wieder fluten", sagt Christophe Tourenq. Dann werden auch die "River Red Gums" hier wieder Wasser um die Wurzeln haben.

(dpa/nbe/csi/jco)
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