Schlaraffenland für Bisons In Kanadas Grasslands-Nationalpark

Val Marie · Einst waren sie fast komplett ausgestorben, heute gibt es in Kanada wieder rund 1000 Prärie-Bisons. Im Grasslands-Nationalpark in Saskatchewan finden sie bestes Futter und werden so groß wie nirgends sonst.

Die Bisons in Kanadas Grasslands-Nationalpark
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Die Bisons in Kanadas Grasslands-Nationalpark

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Manche Menschen zählen Geld, Karten oder Kalorien. Wes Olson zählt Kälber, genauer gesagt Bisonkälber. An einem heißen Sommertag sitzt der Wildhüter auf einer Anhöhe über der kanadischen Prärie im hohen Gras zwischen Salbeibüschen und blickt durch sein Fernglas. Er murmelt ein paar Zahlenreihen in seinen grauen Bart, schließlich flüstert er: "58 - unglaublich!"

58 Kälber in einem Jahr - so viele hatte Olson noch nie. Der schlaksige Mann mit der grünen Schildmütze arbeitet im Grasslands-Nationalpark in Kanada und ist einer der erfahrensten Bisonexperten der Welt. Regelmäßig bricht er mit seinen schweren Stiefeln auf, um nach der Herde zu sehen. "Ich habe die Tiere aufgezogen, sie sind wie meine eigenen Kinder", sagt er voller Stolz.

Kleinod Grasslands

Der Grasslands-Nationalpark im Westen Kanadas schützt eine der letzten intakten Graslandschaften in Nordamerika. Hier lebt die größte in ihrem traditionellen Lebensraum streunende Präriebison-Herde des Landes. Nur in den USA ziehen wieder größere Herden umher, etwa im Yellowstone-Nationalpark.

Einst waren die gemischten Grasprärien zwischen Rocky Mountains und Kanadischem Schild Heimat für viele Millionen Bisons. Doch Ende des 19. Jahrhunderts kam es in ganz Nordamerika zu einem beispiellosen Massenschlachten. Am Ende blieben in Kanada acht Tiere übrig. Die Art überlebte nur dank staatlicher Aufzuchtprogramme.

Dafür haben nicht zuletzt Wes Olson und seine Leute von der kanadischen Nationalparkbehörde gesorgt. Vor sieben Jahren setzten sie 71 Präriebisons im Westteil des Parks aus. Das Ergebnis hat ihre Erwartungen übertroffen: Heute streunen wieder 240 Tiere durch die Flusstäler und Hochebenen des Frenchman-River, in ganz Kanada sind es etwa 1000 wild oder halbwild lebende Präriebisons.

Urlaub mit Abenteuerfaktor

Etwa 10 000 Besucher reisen jedes Jahr in den Park an der Grenze zu den USA, um die Präriebisons in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten. Doch das ist nicht einfach: Nur wenige Schotterstraßen und Feldwege führen durch den Park. Das Schutzgebiet ist mehr als 560 Quadratkilometer groß, die Tiere können sich darin frei bewegen.

Es ist ein Ausflug für Abenteuerlustige. Im Park gibt es nur wenige offizielle Wanderwege, und die Tiere grasen selten nahe der Straßen. Die Spur zu den Bisons führt oft querfeldein durch die Büsche, gutes Schuhwerk und Kompass sind unerlässlich. An einigen Sommerwochenenden führen Wildhüter angemeldete Gäste auf einer rund acht Kilometer langen Wanderung direkt zu der Herde.

Heute grasen die Bisons am Fireguard Coulee, einer Senke am Ende des Parks. Die Sonne brennt herab, in der Luft liegt der Duft von wilden Kräutern. Als sich die Besucher der Herde nähern und sich zu Olson ins Gras setzen, heben einige Tiere kurz die Köpfe. Sie sind nur ein paar hundert Meter entfernt. Dann traben sie weiter unter dem tiefblauen, weiten Himmel. Ab und zu wälzen sich einzelne Bisons in Staubsuhlen. Das schützt sie vor Moskitos und markiert ihr Revier.

Die wilden Grasebenen im Nationalpark sind ein Schlaraffenland für die Tiere. "Die Gräser hier sind für sie wie ein Energy-Drink", flüstert Olson den Gästen zu, um die Bisons nicht zu verschrecken. Mehr als 70 Grasarten, zahllose Busch- und Kakteengewächse sprießen im Park aus den fruchtbaren Böden. Das ist selten. Im Großteil der nordamerikanischen Prärie wurden die gemischten Grasebenen längst von Landwirten umgepflügt.

Die üppige Nahrung ist den Tieren anzusehen. "Die Präriebisons im Grasslands-Nationalpark sind bis zu einen Viertel größer und schwerer als ihre Artgenossen, die jenseits des Grasprärie oder auf Zuchtfarmen leben", erklärt Olson. Die Bullen bringen bis zu 1000 Kilogramm auf die Waage.

Die Bisons helfen der Natur

Die Natur profitiert von der Rückkehr der Säuger. "Die Bisons sind wichtig für das ökologische Gleichgewicht der Prärie", erklärt Katherine Patterson, die Leiterin des Parks, im kleinen Besucherzentrum in Val Marie. Im Winter schlagen die Tiere Schneisen in den Schnee, ihnen folgen Gabelantilopen, Maultierhirsche, Kojoten.

Im Sommer wandern sie im Schnitt 1500 Kilometer durch den Park und verteilen dabei überall Grassamen und Dung. Unterwegs werfen sie ihr Fell ab, das viele Vögel zum Nestbau verwenden. Im Geleit der Bisons haben andere gefährdete Tierarten wie der Schwarzfußiltis oder die Kanincheneule im Nationalpark wieder eine Heimat gefunden.
Präriehunde bevölkern in riesigen Kolonien die Böden.

"Nachdem die Bisons vor mehr als 120 Jahren beinahe ausgestorben wären, ist ihre Heimkehr in die Grasprärien für uns wie ein kleines Wunder", sagt Patterson. Und eine stete Herausforderung: Denn die Tiere vermehren sich mittlerweile so schnell, dass der Nationalpark schon bald zu klein sein dürfte.

Daher kauft die Parkbehörde jedes Jahr angrenzendes Land von Farmern hinzu und sät dort in mühevoller Kleinarbeit gemischte Gräser aus. Damit den Königen der Prärie nicht Platz und Futter ausgehen.

(dpa)
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