Ägypten Port Said - Stadt der Schönheit und der Schmerzen

Port Said · Port Said ist eine alternde Schönheit. Die Stadt am Suez-Kanal in Ägypten zeugt von Glanz, Krieg und Verfall. Die Ausschreitungen im Fußball-Stadion 2012 sorgen in der Stadt bis heute für Trauer und Entsetzen.

Bilder vom Malwettbewerb in Port Said
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Bilder vom Malwettbewerb in Port Said

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Die ständigen Demonstrationen, die Benzinknappheit und die langen Warteschlangen vor den staatlichen Bäckereien haben die Menschen in Port Said genauso ertragen wie ihre Landsleute in Kairo oder Alexandria. Nur von dem Blutbad im Fußballstadion im Februar 2012 hat sich die ägyptische Hafenstadt am Suez-Kanal bis heute nicht erholt.

Über 100 Tote im Stadion

Port Said ist eine schlafende Schönheit mit ihren Arkaden und verschnörkelte Fassaden. Die Promenade zeugt von alter kolonialer Pracht, nur gelegentlich unterbrochen von kitschigen Neubauten im Neo-Protz-Stil. Überall in der Stadt erinnern Graffiti an die mehr als 100 Menschen, die bei der Schlacht im Fußballstadion und den anschließenden Unruhen ums Leben gekommen sind.

Die Fassade des Gebäudes der Sicherheitsdirektion ist immer noch rußgeschwärzt. "Sie ignorieren die Wahrheit", steht in weißer Schrift auf schwarzem Grund auf einer Mauer vor einem Gelände mit hässlichen Neubauten. Die Anhänger des Fußballvereins Al-Masry aus Port Said fühlen sich bis heute ungerecht behandelt. Dabei waren es Fans aus den eigenen Reihen, die am 1. Februar 2012 bei einem Heimspiel mit Messern und Schusswaffen das Spielfeld stürmten.

Viele Menschen in Port Said glauben, dass die Polizei das Blutbad, bei dem damals 74 Angehörige des Fanclubs des Kairoer Vereins Al-Ahly getötet wurden, provoziert hat, um sich an den Kairoer Fans zu rächen. Denn die sogenannten Ultras Ahlawy hatten sich mit der Polizei mehrfach Straßenschlachten geliefert. Dies geschah während der Proteste gegen Präsident Husni Mubarak Anfang 2011 und bei den Demonstrationen gegen den Militärrat, der nach dem Sturz von Mubarak die Macht übernommen hatte.

"Normalerweise hat die Polizei vor dem Spiel am Stadion-Eingang sogar in unsere Sandwiches hineingeschaut, um sicherzugehen, dass niemand Waffen dabei hat. Aber an diesem Tag gab es gar keine Kontrollen", erinnert sich der Al-Masry-Fan Mohammed al-Borollosy. "Außerdem war die Tür hinter dem Fan-Block der Gastmannschaft versperrt, so dass es für die Ultras Ahlawy kein Entkommen gab."

Al-Masry hatte das Spiel 3:1 gewonnen. Der Hass, der sich auf dem Rasen entlud, war also nicht der Frust darüber, das Match verloren zu haben. Vielmehr ging es um alte Rechnungen zwischen den Fans der beiden Vereine und ein Banner mit der Aufschrift "Hier gibt es keine echten Männer", das die Al-Ahly-Fans während des Spiels hochhielten.

Der ägyptische Fußball ist tot

Seit dem Blutbad von Port Said ist der ägyptische Fußball so gut wie tot. Zwar wird noch trainiert, aber es gibt keine Erstliga-Spiele und keine Meisterschaft. Im November soll die Nationalmannschaft erstmals seit rund zwei Jahren wieder in Kairo spielen dürfen - im Playoff-Rückspiel gegen Ghana geht es um die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2014.

Die Wunden sind noch nicht verheilt. Denn während des Prozesses gegen die gewalttätigen Al-Masry-Fans kam es mehrfach zu Ausschreitungen. In Kairo zündeten Al-Ahly-Fans im März zwei Gebäude der Sicherheitskräfte und die Büros der Fußball-Föderation an. In Port Said starben im Januar bei Protesten nach der Verurteilung von 21 Fans zum Tod durch den Strang 32 Menschen. Im März kam es in der Hafenstadt erneut zu Ausschreitungen, als einige der Verurteilten aus dem Gefängnis von Port Said in eine andere Haftanstalt verlegt wurden.

Vor einigen Wochen sollte Kinder und Jugendliche für einen Malwettbewerb "die jüngsten Ereignisse in ihrer Stadt" künstlerisch darstellen. Die Bilder, die 31 junge Künstler aus Port Said einreichten, sind düster. Sie zeigen das Stadion-Massaker und die Proteste gegen den inzwischen vom Militär entmachteten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi.

Verrufene Stadt

Politik und Fußball, das sind in diesen unruhigen Herbsttagen die Dauerthemen in den Wohnzimmern, Geschäften und Kaffeehäusern von Port Said. Man ist meist unter sich. Ausländer gibt es in der Stadt kaum.
Selbst ein Auto mit Kairoer Kennzeichen fällt auf. "Unsere Stadt hat heute einen schlechten Ruf. Es kommt kaum noch jemand aus Kairo hierher", sagt Fatma Fathi, die zu den Organisatoren des Malwettbewerbs gehört.

Die jungen Künstler haben Tränengaswolken gemalt, Fußballfans, die in Blutlachen auf dem Rasen liegen und arme Menschen, die anstehen, um subventioniertes Brot zu kaufen. Den ersten Platz hat Amal Jahja (15) belegt, die ihre Erlebnisse bei einer Trauerfeier für getötete Demonstranten in leuchtend bunten Farben dargestellt hat. Die Trauergäste tragen einen Sarg, der mit einer ägyptischen Fahne geschmückt ist, während sie von der Polizei mit Tränengas beschossen werden.

"Meine Familie hat sich Sorgen um mich gemacht, trotzdem bin ich immer zu den Demonstrationen gegangen, denn ich hatte das Gefühl, dass man etwas tun muss, gegen die Ungerechtigkeit", sagt die junge Künstlerin mit dem roten Kopftuch. Beim Lächeln blitzt ihre Zahnklammer im Sonnenlicht. Amals Vater, Mohammed Jahja, hat Verständnis für ihren Aktivismus. Gemeinsam sitzt er mit ihr und den Familien der anderen Teilnehmer des Wettbewerbs in einem Unterrichtsraum der kleinen Genna-Kunstschule in Port Fuad, der Schwesterstadt von Port Said auf der östlichen Seite des Kanals.

Natürlich geht es wieder um Fußball und auch um Politik. Mohammed Jahja hat bei der letzten Parlamentswahl den linken Aktivisten George Ishak gewählt, "weil er ein guter Politiker ist. Für mich hat überhaupt keine Rolle gespielt, dass er Christ ist", betont er. Dann setzt Jahja an zu einer Tirade gegen die Muslimbrüder, "die sich angemaßt haben, zu entscheiden, wer ein guter und wer ein schlechter Muslim ist".

Auch Hoda al-Bani (69) ist nicht gut auf die Anfang Juli entmachtete Islamisten-Bewegung von Ex-Präsident Mursi zu sprechen. Die pensionierte Kunstlehrerin empört sich: "Während des Referendums über die Verfassung standen diese Typen vor den Wahllokalen und sagten jedem, der hineinging "Wer gegen die Verfassung stimmt, der ist ein Ungläubiger". Wo hat man so etwas schon gehört".

Malwettbewerb hat Tradition

Al-Bani hat eine ganz besondere Beziehung zu dem Malwettbewerb, an dem sich auch ihre 13 Jahre alte Enkelin Schahed beteiligt hat. Denn die Idee für diesen Wettbewerb wurde geboren, als der Kairoer Architekt Tarek Labib kürzlich in Kisten seiner verstorbenen Eltern, die beide Kunstlehrer waren, stöberte. Er fand die Fotos alter Kinderzeichnungen aus Port Said. Die Zeichnungen waren bunt, doch fröhlich waren sie nicht. Sie zeigten Leichen, brennende Häuser und Soldaten, die mit Fallschirmen über Port Said absprangen. Der Architekt stellte Nachforschungen an und fand heraus, dass seine Eltern 1956 direkt nach der Suez-Krise einen Kunst-Workshop organisiert hatten, in dem Kinder aus Port Said ihre Kriegserlebnisse ausdrücken sollten. Eines der Kinder von damals ist Hoda al-Bani.

Sie malte damals eine weinende Mutter, die ein blutendes Kind in den Armen hält. Hinter der Frau stehen Soldaten mit maskierten Gesichern. Al-Bani war elf Jahre alt, als Präsident Gamal Abdel Nasser den Suez-Kanal verstaatlichte. Kurz darauf begann die Invasion in Ägypten, an der sich Briten, Franzosen und Israelis beteiligten. Stolz zeigt die Großmutter heute ein Schwarz-Weiß-Foto, das sie bei einer Ausstellung der Kinderbilder 1957 zeigt. Die Zeichnungen wurden damals auch in Kairo und mehreren europäischen Städten gezeigt. Heute lagern sie in der ägyptischen Botschaft in Rom. Jasmine al-Dorghami, die in Kairo die Kultur-Zeitschrift "Rawi" herausgibt, will demnächst nach Rom fliegen und versuchen, die Originale zu beschaffen, um sie zusammen mit den Kinderzeichnungen von 2013 auszustellen.

Die Menschen in Port Said wünschen sich, dass ihre Stadt wieder zur Ruhe kommt. Doch das Fußball-Drama ist noch nicht ganz ausgestanden. Ein Revisionsgericht hat für den 5. Dezember einen neuen Prozess angeordnet. Viele Ägypter, und besonders die Fußball-Fans, hoffen, dass es dann nicht wieder zu Gewalt auf den Straßen kommt. Denn das würde die Hoffnung auf eine baldige Wiederaufnahme der Spiele der ersten Liga zunichtemachen - und die Ägypter sind eine fußballverrückte Nation.

(dpa)
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