Spuren im Sand In einem lebendigen Museum der San in Namibia

Tsintsabis · Namibias San-Kommunen wollen ihr Kulturerbe mit Hilfe des Tourismus bewahren. Die Projekte der Ureinwohner des südlichen Afrikas sind vielversprechend, doch der Spagat zwischen Tradition und Moderne ist groß. Die Umsetzung gestaltet sich mitunter schwierig.

Namibia - Ein lebendiges Museum
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Nachdem sich die Sonne als großer oranger Ball über die Buschlandschaft der Kalahari erhoben hat, beginnt der Tag im Ju-Hoansi-San Living Museum mit Feuermachen. Xari Amace lässt sich auf einem offenen, sandigen Platz vor einem großen Manketti-Baum nieder. Er beginnt, ein Stöckchen in einen Ast zu drehen. Weich und leicht ist das Holz des Manketti-Baumes, mit etwas Sand als Reibungsmittel nutzt sich das dünne Bohrstöckchen schnell ab und bringt ein glühendes Holzmehl-Gemisch hervor.

Amace drückt das heiße Pulver in ein Strohknäuel und pustet leicht hinein. Es klappt, das Feuer brennt. Genau so, wie es hier in der Kalahari bei den San schon vor hundert, vor tausend und vor zehntausend Jahren gelodert hat. Natürlich gibt es inzwischen längst auch Streichhölzer und Feuerzeuge im Dorf, doch die Demonstrationen im Lebenden Museum der San haben einen tieferen Sinn, als einen Kochplatz für den Tag zu schaffen oder Touristen Abenteuer zu bieten.
Sie erhalten eine Kultur, die sich gerade vom Stigma der Rückständigkeit aus Kolonialisierungs- und Apartheidzeiten erholt - und noch immer vom Untergang bedroht ist.

Was die Besucher hier in der Na Jagna Conservancy, einer ländlichen Verwaltungseinheit im Nordosten Namibias, zu sehen bekommen, ist weit mehr als eine Dorfgemeinschaft, die für einen Tag Jeans und T-Shirt gegen Wildleder-Lendenschurz tauscht. Die dreistündige Tour durch den Busch ist eine Mischung aus biologisch-kultureller Exkursion und Überlebenstraining.

Amace gräbt auf seinem Zickzack-Pfad durch das Strauchlabyrinth saftige Knollen aus dem staubtrockenen Wüstensand, die als bitterer Wasserspeicher oder desinfizierendes Handwaschmittel dienen. Er zeigt den Schlangenbusch, dessen geröstete Wurzelrinde Schlangen fernhält und zudem als Schmerzmittel verwendet wird. Und er erklärt das verborgene Geheimnis des unscheinbaren Commiphora-Strauches, dessen Blätter nach der Regenzeit von einer Lausart befallen werden, die sich anschließend im Sand vergräbt und in ihren Puppen das Gift für die Jagdpfeile der San in sich trägt. "Eine Giraffe wird davon nach einem Tag schwach", sagt Amace, der in jüngeren Jahren selbst noch jagen durfte.

"Lang, lang ist das her", fügt der knorrige, alte Mann an. Wie lange genau, weiß er gar nicht, und er kann es auch nicht rekonstruieren. Von seinen Eltern hatte Amace nur erfahren, dass sein Geburtstag in die Regenzeit fiel. Doch die Probleme der San sind spätestens seit der Kolonialisierung ohnehin zeitlos. Die ersten Bewohner des südlichen Afrikas sind zum Spielball der jeweiligen Machthaber geworden, bis heute ohne wirklichen Einfluss. Kommerzielle Farmen, noch immer größtenteils im Besitz der Nachfahren europäischer Siedler, sowie die Viehhaltung der Herero und Kavango haben die traditionellen Lebensgrundlagen der San in Namibia stark eingeschränkt - wie überall im südlichen Afrika. Bis 1990 harrten die Ju Hoansi im Dorf Tsumkwe nahe der Grenze zu Botsuana aus. Nach der Unabhängigkeit Namibias durften sie sich auf Land 170 Kilometer nordwestlich ansiedeln, auf dem heute auch das Living Museum steht. Doch das zugeteilte Land ist zu klein für nachhaltige Jagd.

Geschossen wird dennoch. Nachdem Amace seinen Gast unter strenger Aufsicht einen Bogen hat schnitzen lassen, gerät eine Strohpuppe in Antilopenform ins Visier der Pfeile. Warum der Erhalt der traditionellen Lebensweisen für die nur noch 300 bis 400 Menschen zählende Gemeinde der Ju Hoansi aber auch ganz praktische Bedeutung hat, erklärt der Touristenführer Elias Ui: "Schau, Krankenhäuser und Kliniken sind weit weg von unserem Dorf. Wenn jemand krank wird, müssen wir uns selbst heilen, wir müssen den Heilungstanz darbieten und die Ahnen fragen, welche Krankheit es ist und welche Medizin aus dem Busch wir verabreichen müssen." Der 24-Jährige stammt aus dem Dorf, ist zehn Jahre lang zur Schule gegangen und spricht fließend Englisch. Er ist einer, der die Moderne im San-Dorf verkörpert und dennoch feststellt: "Ohne den Busch zu kennen, kannst du hier nicht leben."

Klemens Awarab ist kein San, er gehört der Volksgruppe der Damara an - und als Marketing-Leiter dem Namibischen Tourismusbüro. Doch wenn es um den Erhalt der verschiedenen Kulturen in seinem Land geht, dann hebt sich seine Stimme, dann klingen seine Worte so gar nicht nach Marketing-Floskeln. "Es ist absolut unglücklich, dass mit den Lebenden Museen ein ökonomischer Wert verbunden ist, der die San zum Wachsen ermutigt", sagt er. Stattdessen sollten Stolz und Zugehörigkeitsgefühl die treibende Kraft sein, nicht das Geld und auch nicht der Tourismus an sich.

Wichtiger als die Einnahmen findet Awarab das Selbstwertgefühl, das die Touristen den im eigenen Land lange als rückständig und minderwertig angesehenen Gemeinschaften ganz unbewusst geben. "Der Fakt, dass Touristen sich für den Lebensstil ihrer Vorväter interessieren, erfüllt die Leute mit Stolz." Auswirkungen habe das weit über den Rand der Traditionsdörfer hinaus. "Es sind Leute wie ich", sagt der Tourismusmanager und fasst sich an sein elegantes, weißes Hemd, "die die Selbstsicherheit wiedergewonnen haben, ihre traditionelle Kleidung zu tragen." Es geht um Geschichte, um Herkunft, um die Wurzeln - "denn das ist das Fundament einer jeden Gesellschaft". Einfach ist die Identitätsfindung nicht. Auch Daniel Awaseb denkt viel über die Bedeutung der traditionellen Lebensweise für die Generationen nach ihm nach. "Wir fragen uns, wenn sie die Schule abschließen, ob sie diesen Ort nicht verlassen wollen, nach Windhuk zur Universität gehen und vielleicht Lehrer oder Krankenschwester werden", sagt der traditionelle Heiler aus dem Dorf Tsintsabis über seine beiden Enkelinnen.

Die besuchen derzeit die 8. und 9. Klasse der Schule im Ort. Awaseb sagt, dass er sich freuen würde, wenn sie Karriere machen. Er sitzt vor den aus Lehm, Ästen, Riedgras und Plastikplanen zusammengezimmerten Hütten seiner Familie im Sand, ein kleiner Baum spendet ihm Schatten. Ein ausgewaschener Blaumann hängt von seinem ausgedörrten Körper, die beige-graue Hose verdeckt die knöchernen Schienbeine des Alten nur gut zur Hälfte. Den traditionellen Lendenschurz trägt im Ort niemand mehr.

Tsintsabis, 120 Kilometer östlich des Etosha Nationalparks im Norden des Landes gelegen, war zu Apartheidzeiten eine Armeebasis der Südafrikaner, die die San aus der Etosha-Pfanne dorthin umsiedelten und als Fährtenfinder im Krieg gegen die Befreiungsfront SWAPO einsetzten. Auch Awaseb wurde rekrutiert, später verdingte er sich in der Küche des Stützpunkts, ehe er 1990 nach der Unabhängigkeit und dem Abzug der Truppen entlassen wurde.

Als Abfindung bekam er ein paar Kühe und ein winziges Steinhaus im Ort. Er vermietet es, für 18 Euro im Monat. Genügend Platz für die Familie wäre eh nicht darin - und der nötige Raum für ein traditionsbewusstes Leben schon gar nicht. Er fragt seinen Gast aus dem fernen Deutschland, ob es stimmt, dass die Menschen in Europa sogar in Blocks übereinander wohnen und lacht über die für ihn wahnwitzige Vorstellung. Das von der Gemeinschaft der Hei Omn-San geführte Treesleeper Camp, einst eines der erfolgreichsten im Land, sollte eigentlich längst zur Lodge umgebaut worden sein. Komfortablere Unterkünfte sollten mehr Arbeitsplätze und Geld in die Gemeinschaft bringen. Doch das Projekt geriet ins Stocken, seit über einem halben Jahr ist an den nahezu fertigen Luxus-Bungalows, die nun verputzt aber kahl in der idyllischen Ruhe des Busches stehen, nichts mehr passiert.

Drei Camping-Stellplätze, in Anlehnung der Hei-Omn-Baumhäuser auf Holzplattformen im Galeriewald eines trockenen Flussbetts angelegt und noch immer täglich gefegt, bleiben als Zeugen einer besseren Zeit. "Alles fällt hier auseinander, es ist sehr traurig", sagt Hilda Aukhumes, die junge Gästeführerin, fatalistisch. Wenn sich nicht bald etwas tue, werde sie wegziehen müssen, irgendwohin in die Stadt, um die Schulgebühren für ihre Tochter weiter aufbringen zu können. Es wäre ein schwerer Schlag, nicht nur für sie selbst, sondern auch für den Kulturkampf, in dem sie an vorderster Front steht.

(dpa)
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