Marokko Streifzug durchs Atlas-Gebirge

Düsseldorf · Die Berber, Marokkos Ureinwohner, leben zurückgezogen in den Bergen. Touristen finden dort karge Landschaften, duftende Oasen und einen Hauch von Abenteuer.

Marokko - ein Land wie aus 1001 Nacht
78 Bilder

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Für Azarwal Tarik ist es das perfekte Leben. Er wohnt in einer braunen Lehmhütte, mitten im marokkanischen Atlas-Gebirge. Drumherum Schafe und Ziegen, Berge, Stauseen und unendlich viel Nichts. Sein Dorf quetscht sich an eine enge Gebirgsstraße, nur selten kommen Autos vorbei. Viel häufiger sind es beladene Esel oder alte Motorroller.

Ein Esel rennt hastig davon, als vier Jeeps, die mit Touristen beladen sind, an ihm vorbeirauschen. Einige Kinder spielen hinter den Lehmhütten Verstecken. Sie sind weniger erschreckt, sondern bleiben fasziniert stehen und winken freundlich, während die Touristen ebenso fasziniert Azarwals Dorf fotografieren.

Azarwal ist Berber, ein Ureinwohner Marokkos. Als im siebten Jahrhundert die Araber in das nordafrikanische Land vordrangen, zogen sich Azarwals Vorfahren in die Berge zurück. Die meisten Berber-Familien sind dort bis heute geblieben. In die Stadt Marrakesch, die sich am Fuße des Atlas-Gebirges ausbreitet, gehen sie nur selten. "Vielleicht einmal im Monat", sagt Azarwal.

So wie der 31-Jährige wollen sich viele Berber von den Stadt-Menschen, den Arabern, abgrenzen. Sie leben im Atlas-Gebirge ihr ganz eigenes einfaches Leben. Darauf sind sie stolz. Doch die Zahl der Marokko-Touristen wächst, und diese wollen nicht mehr nur die Städte und Strände des Landes erleben, sondern auch die faszinierende Landschaft des Atlas-Gebirges - und dessen Bewohner. Im Winter sind die Gipfel des Atlas sogar schneebedeckt. Dann werden die afrikanischen Berge zum Skigebiet, während es in Marrakesch noch angenehm warm ist.

Tatsächlich lässt die wachsende Zahl der Reisenden kleine Touristen-Oasen entstehen, mitten in den kargen Bergen, zwischen kleinen Dörfern, Schafherden und unbetonierten Straßen. Das Restaurant und Gästehaus "L?Oliveraie de Marigha" ist eine davon.

Azarwal strahlt, als die Touristen aus ihren Jeeps auf die kleinen Kieselsteine hüpfen, die den Parkplatz des Restaurants bedecken. Denn dort verdient der Familienvater als Kellner seinen Lebensunterhalt. Der Duft der Rosmarin-Hecke, die die Parkbuchten säumt, strömt den Besuchern sofort in die Nase. Über einen kleinen gepflasterten Weg erreichen die Gäste das L?Oliveraie, das inmitten einer Olivenbaum-Plantage liegt.

Sitzplätze gibt es nur draußen, mit Blick auf das Atlas-Panorama und den Pool mit strahlend blauem Wasser. An der riesigen Bar, die durch ein großes Dach aus Stroh vor der Sonne geschützt ist, werden pralle Zitronen ausgepresst, und in der Luft liegt der Duft von frischem Brot - es ist das Berber-Brot Tanougt, das eine Frau im bunten Rock sorgsam zubereitet. Mehl, Wasser, eine Prise Salz, sonst nichts. Die flachen Teigfladen klebt sie an die heiße Wand des offenen Holzofens. Dadurch bekommt das traditionelle Brot seinen ganz eigenen, sehr würzigen Geschmack. Frisch aus dem Ofen serviert es Azarwal mit goldgelbem Olivenöl, in das man Brotstückchen tunkt.

Bereits seit elf Jahren arbeitet er für die französischen Besitzer, die das Restaurant mitsamt einigen liebevoll eingerichteten Gäste-Zimmer betreiben. So konnte er es bislang verhindern, zum Arbeiten in die Stadt ziehen zu müssen - im Gegensatz zu seinen drei Brüdern, die als Händler, Töpfer und Bauarbeiter in Marrakesch und Casablanca leben.

"Mir geht es besser als meinen Brüdern in der Stadt", sagt Azarwal selbstbewusst. "Neben meinem Job habe ich noch Schafe und Ziegen. Außerdem muss ich keine Miete zahlen." Denn zusammen mit seinem Vater, seiner Frau und seinen drei Kindern wohnt er noch in seinem Elternhaus. Tatsächlich brauchen die Berber die Stadt nicht. Sie haben sich in den Bergen ihre eigene kleine Welt geschaffen. Sogar Schulen gibt es im Atlas, auch wenn die Kinder dafür teils weite Strecken - zu Fuß oder auf dem Rücken eines Esels - zurücklegen müssen. Mit Lebensmitteln versorgen sich die Berber selbst. Was sie nicht anbauen oder herstellen können, besorgen sie sich einmal pro Woche auf dem Markt. Dieser Tag ist für die Berber wie ein Feiertag.

Die Kinder haben schulfrei. Auf Eseln oder mit klapprigen Autos fahren sie mit ihrem Vater zum nächsten Wochenmarkt. Die Stände sind aus altem Holz zusammengehauen, bunte Stofftücher schützen die Ware vor der Sonne. Es gibt Schuhe in verschiedenen Farben und Größen, frisches Obst, sorgsam gefertigten Schmuck, ausrangierte Fenster und jede Menge frisches Fleisch - blutige Schafsköpfe, -füße und Innereien.

Zahlreiche Menschen quetschen sich durch die Marktreihen, und mit ihnen schwer bepackte Esel und Motorroller. Der gesamte Markt verströmt einen seltsamen Duft, eine Mischung aus frischem Blut, Leder, Schweiß und Abgasen.

Auf dem Wochenmarkt können die Berber aber nicht nur ihre Besorgungen erledigen. Dort bekommen sie auch ihre Post und treffen Bekannte. Wer geheiratet hat, kann sich vom Notar eine Urkunde ausstellen lassen, für Unterhaltung sorgen Schlangenbeschwörer und Wahrsager.

Mitten im Getümmel ist ein Zelt mit Teppichen ausgelegt. Dort ist es ganz ruhig. Einige Berber haben sich versammelt, um ihr Mittagsgebet zu sprechen. In der Stadt wurden am Marktplatz extra Moscheen dafür errichtet. Aber im Atlas-Gebirge ist eben alles ein bisschen anders.

Für Azarwal sind die Berge sein Zuhause - und er hat große Hoffnung, dass das auch so bleibt: "Schließlich gibt es hier im Atlas immer mehr Touristen", sagt er und lächelt.

(chk)
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