Deutscher Volleyballer Westphal Schmettern im Iran

Düsseldorf/Tabriz · Dirk Westphal ist der erste deutsche Volleyballer im Iran. Er berichtet von seinem Alltag, Nasen-OPs als Statussymbol, Sehnsucht nach Kaffee und Weihnachten ohne die Familie.

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Foto: ap, JVR

Dirk Westphal muss an Heiligabend arbeiten. Gut, das müssen andere auch. Aber der 30-jährige Berliner arbeitet morgen knapp 3000 Kilometer entfernt von seiner Familie. In einer Sporthalle im Iran. Während Lebensgefährtin und Kind daheim die Weihnachtsfeiertage einläuten, versucht Westphal, wichtige Punkte im Abstiegskampf zu sammeln. Westphal ist Volleyballer. Und er ist der erste Deutsche, der in der iranischen "Super League" angeheuert hat. Bei Shahrdari Tabriz. Für zunächst mal fünf Monate. Für gutes Geld. Und für ein Dasein als Popstar. "Hier im Iran werden die Volleyballer auf Händen getragen. Es ist ein super Gefühl, wenn du auf der Straße erkannt wirst und dir sofort die Sympathien zufliegen. Das kenne ich so von zu Hause nicht. Da wird man ja meistens für seinen Beruf belächelt", sagt Westphal.

Mitte Oktober begann für ihn das Abenteuer im Nordwesten Irans. Eigentlich hatte er zur neuen Saison nach sieben Jahren in Italien, Belgien, Frankreich und Polen mal wieder in der Bundesliga auflaufen wollen. Für die Netzhoppers KW Bestensee im Spreewald. Doch dann kam das lukrative Angebot aus dem Iran, wo Volleyball Volksport ist. "Da verdienen ausländische Volleyballer das Vier- bis Fünffache von dem, was hierzulande im Durchschnitt gezahlt wird", sagt Arvid Kinder, Geschäftsführer der Netzhoppers.

Wobei Westphals Angebot unterm Strich mehrere parallele Offerten waren. Von einem halben Dutzend involvierter Agenten vorgetragen, die natürlich alle nur das Beste für den Außenangreifer wollten. Fast schon hatte Westphal mit dem Thema abgeschlossen, als sich doch noch alles klärte, er einen Vertrag unterschrieb und im Flieger gen Osten saß. Vorher hatte er mit seiner Frau das Für und Wider des sportlichen Abenteuers abgewogen. "Wir hatten beide ein mulmiges Gefühl bei der Sache. Gerade die Tatsache, dass der Irak nebenan liegt und damit auch der IS, hatte uns schon ein komisches Gefühl verschafft", berichtet Westphal.

Und auch das Land, in dem er landete, gilt hierzulande wahrlich nicht als Demokratie. Im aktuellen Jahresbericht von Amnesty international über den Iran heißt es, die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit seien stark eingeschränkt. Frauen sowie Angehörige von Minderheiten würden weiterhin durch die Gesetzgebung und im Alltag diskriminiert. Die Zahl der Hinrichtungen sei weiterhin sehr hoch. Das Auswärtige Amt empfiehlt: "Alle Deutschen, die sich auch nur vorübergehend in Iran aufhalten, können in eine Krisenvorsorgeliste aufgenommen werden. Die deutsche Botschaft in Teheran rät dazu, auch für kurze Aufenthalte von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen."

Westphal kannte und kennt solche Berichte über den Iran. Doch nach zwei Monaten im Land sagt er: "Mein mulmiges Gefühl war im Nachhinein unbegründet. Das ist halt das Problem, wenn man sein vermeintliches Wissen nur durch Dritte hat. Man muss selbst mal da gewesen sein, um sich ein objektiveres Bild zu machen." Speziell in Tabriz, einer Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt, erlebe er einen "offenen und aufgeklärten" Iran, er sei "sehr überrascht über das Englischniveau hier" und erlebe die Iraner "als zugängliches Volk, das viel fortschrittlicher ist, als viele denken". Ein Volk, das übrigens weltweit die meisten Nasenoperationen über sich ergehen lässt. Eine schöne Nase gilt, gerade bei Männern, so sehr als Schönheitssymbol, dass Jugendliche sich zuweilen einen Verband über die Nase kleben, ohne überhaupt operiert worden zu sein.

Westphal bezog in Tabriz ein Drei-Zimmer-Apartement in einem Hotel. Der Hotelmanager ist eine Frau. Viele der alltäglichen Dinge werden ihm abgenommen: Wäsche waschen, kochen, aufräumen. Nebenan wohnt Milan Rasic, Westphals Mannschaftskollege. Ein Serbe und der einzige weitere Ausländer im Team. In ihrer Freizeit unternehmen die beiden viel zusammen. Ausflüge. Sightseeing. Oder einfach durch die Stadt schlendern. Und in diesen Stunden ist es nicht die religiös geprägte Alltagskultur, nicht die Bitte, lange Kleidung zu tragen, die gewöhnungsbedürftig ist. "Das, woran ich mich gewöhnen muss, ist, dass es hier keine Kaffeekultur gibt. Immer nur Tee, damit tue ich mich noch schwer", sagt Westphal.

Vier Tage nach seiner Ankunft bestritt Westphal sein erstes Spiel für den neuen Verein. Gegen Irans Meister Sarmayeh Teheran gab es ein 0:3, aber "Drik", wie sie ihn hier meist nennen, war dennoch angetan vom Niveau seiner neuen Teamkollegen. Es sei nicht leicht, das Niveau der Super League mit dem europäischer Ligen zu vergleichen. Im Iran, sagt Westphal, werde mehr draufgedroschen auf den Ball. Die Spieler erinnern eher an Schwimmer. Breites Kreuz, viele Muskeln. Kurze Ableger hinter den Block, wie sie Westphal beherrscht, sind hier nicht gerne gesehen. Lieber ordentlich Kasalla im Schlag. "Irgendwie wird Volleyball wie Gewichtheben gespielt. Je mehr Kraft man anwendet, desto wahrscheinlicher ist es, dass man gewinnt. So zumindest vermittelt es unser Trainer", sagt Westphal. Wobei es nicht den einen Trainer gibt, sondern viele Trainer, die einem Head-Coach zuarbeiten.

Vor dem ersten Training hielt der Cheftrainer eine Rede an die Mannschaft. Für Rasic und Westphal wurde sie ins Englische übersetzt. Die Übersetzung startete mit "In the name of God" (Im Namen Gottes). Der Deutsche und der Serbe guckten sich verwundert an. "Aber nach einer kurzen Pause und angesichts unserer Sprachlosigkeit brach großes Gelächter aus. Das scheint hier sowas wie ein Aufnahmeritual für ausländische Spieler zu sein", sagt Westphal, der bis zu seinem Rücktritt 78 Mal für die deutsche Nationalmannschaft auflief und mit ihr 2014 Bronze bei der WM gewann.

Zwölf Partien sind inzwischen in der Super League absolviert. Mit nur 14 Punkten steht Tabriz auf Rang neun, dem ersten Abstiegsplatz in der Zwölfer-Liga. Es könnte also rein sportlich deutlich besser laufen. Trotzdem bereut Westphal nichts. "Die Hallen hier sind immer voll, hier gibt es eine richtige Fankultur", schwärmt er.

Nur das mit dem Spiel an Heiligabend hätte nicht unbedingt sein müssen. "Es ist schon komisch, denn den Schokoweihnachtsmann oder den Tannenbaumverkäufer finde ich hier natürlich nicht", sagt Westphal. Die Familie kommt zwischen Weihnachten und Neujahr zu Besuch, da wird das Fest dann nachgeholt. "Laut Islamischem Kalender sind wir momentan ohnehin im Rabi al-awwal, was vergleichbar mit dem März ist. Vielleicht feiern wir dann einfach Ostern anstatt Weihnachten", sagt Westphal. Für ihn ist in diesen Monaten eben alles anders. Anders als in Deutschland. Und anders als gedacht.

(klü)
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