Doping-Kontrolleur Thieme im Interview "Die heile Sportwelt wird es nicht geben"

Detlef Thieme, Leiter des Doping-Kontrolllabors im sächsischen Kreischa erklärt, warum es naiv ist, an einen Sieg über das Doping zu glauben.

Detlef Thieme, Leiter des Doping-Kontrolllabors im sächsischen Kreischa.

Detlef Thieme, Leiter des Doping-Kontrolllabors im sächsischen Kreischa.

Foto: Imago

Im Haus der Geschichte wird an diesem Tag gefeiert. Die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) feiert 15. Geburtstag. Das deutsche System des Anti-Doping-Kampfs gilt heute international als vorbildlich. An zentraler Stelle im System arbeitet Detlef Thieme. Er leitet seit 2008 das Kontrolllabor in Kreischa bei Dresden - eins von zwei von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) akkreditierten deutschen Laboren neben dem in Köln.

Herr Thieme, sind 15 Jahre Nada wirklich ein Grund zum Feiern?

Thieme In der Rückschau schon, weil sich in dieser Zeit zweifellos viel verbessert hat. Die Frage lautet ja auch nicht: Was ließe sich im Optimalfall erreichen, sondern: Was ist erwartbar angesichts der vorhandenen Mittel? Und da sind wir heute unbestritten um ein Vielfaches professioneller im Anti-Doping-Kampf.

Was ist die wichtigere Eigenschaft eines Anti-Doping-Kämpfers?

Thieme Frustrationstoleranz ist ja schon geboten. Ich halte mich jetzt nicht für einen besonders naiven Menschen, aber Dinge, wie sie 2014 in Sotschi passiert sind, hätte ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen können.

Dürfen Sie sich in einem Fall wie Sotschi Anerkennung erlauben für ein so ausgeklügeltes System des Betrugs?

Thieme Bewunderung für kriminelle Energie hat man nur, wenn man einen Krimi im Fernsehen schaut. Aber wenn man sieht, mit welchem Aufwand da staatlich organisiert skrupel- und humorlos gearbeitet wird, um andere zu betrügen, ist keine Sympathie vorhanden.

Haben Emotionen in Ihrem Job überhaupt einen Platz?

Thieme Im Labor habe ich ja nicht den unmittelbaren Bezug zum Sportler. Das Analytische in unserem Job ist abgekoppelt von dem Menschlichen. Insofern ist es wahrscheinlich unspektakulärer, als sich viele vorstellen. Ich sehe die anonymisierte Kontrollprobe, weiß aber ja nicht, welcher Sportler sich dahinter verbirgt. Wir sind also auch nicht enttäuscht, wenn jemand positiv getestet wurde. Wir sind eh immer die Letzten, die den Namen des Dopingsünders erfahren.

Wann haben Sie bei Ihrer Arbeit zum letzten Mal gestaunt?

Thieme Gestaunt habe ich über die Quote der positiven Dopingfälle bei den Nachuntersuchungen zu Sotschi. Das hätte ich mir so nie vorstellen mögen. Dass da mehr als 100 Fälle zu Tage gefördert wurden, hat mich tief erschüttert.

Lehrt der Fall Russland, dass Doping heute staatlich organisiert sein muss, wenn es erfolgreich sein will?

Thieme Ja. Wenn es in der Top-Liga des Betrugs stattfinden will, dann muss es perfekt organisiert sein. Verbunden mit Beratern, mit Kontakten, großem Geld, mit Zugang zu Laboren. Die Zeiten, in denen ein Athlet bei Olympischen Spielen durchkommt, weil er von Freunden ein paar Tipps in Sachen Doping bekommen hat, sind vorbei. Doping ist heute kein Freundschaftsdienst mehr.

Der frühere Leiter des Wada-Labors in Moskau, Grigori Rodtschenkow, ist inzwischen Kronzeuge in der Aufdeckung des Dopingskandals. Ist er also Held oder doch Verbrecher?

Thieme Die Wahrheit liegt in der Mitte. Ich kannte ihn ja nun sehr lange Zeit persönlich und habe ihn als herausragenden Naturwissenschaftler kennengelernt. Natürlich kann man Rodtschenkow moralisch dafür kritisieren, dass er sich von dem organisierten System des Betrugs hat vereinnahmen lassen. Das muss er am Ende mit sich selbst ausmachen, das ist schwer, von außen zu beurteilen. Andererseits hat er aber eben auch einen Schlussstrich gezogen und Sachen aufgedeckt, die sonst nie an die Öffentlichkeit gekommen wären.

Wer an den sauberen Sport denkt, gilt schon seit langem als naiv. Ist aber auch der naiv, der daran glaubt, dass Doping irgendwann besiegt wird?

Thieme Naivität in gewissem Maße ist ja zunächst mal nichts Negatives. Aber man muss sich eben darüber im Klaren sein, dass Doping vor allem da vorkommt, wo es um viel Geld geht. Ich halte es für ausgeschlossen, dass in Sportarten, in dem mit einem einzigen Medaillengewinn Geldsummen bewegt werden, die Sie und ich im Leben nicht verdienen werden, Manipulation ausgeräumt werden kann. Man kann Doping reduzieren, aber die heile Sportwelt wird es nicht geben.

Stefan Klüttermann führte das Gespräch

(RP)
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