Erdbeben im Spitzensport auf der Insel Fragen und Antworten zum Dopingskandal in England

Düsseldorf · Fünf Monate vor den Olympischen Spielen in Rio wird Großbritannien von einem Doping-Skandal erschüttert. Nach Recherchen des WDR und der Zeitung "Sunday Times" soll der Londoner Gynäkologe Mark Bonar in den vergangenen sechs Jahren rund 150 Top-Athleten mit Doping-Mitteln versorgt haben.

Russischer Dopingsumpf: eine Chronologie
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Foto: dpa, mr nic sup gfh

Darunter seien Fußball-Profis des FC Arsenal, des FC Chelsea und von Tabellenführer Leicester City sowie Teilnehmer der Tour de France, Boxer, Tennisspieler, Kampfsportler und Kricket-Profis. In einer WDR-Dokumentation berichtete der Arzt einem Lockvogel vor versteckter TV-Kamera, über sein umfangreiches Doping-Geschäft.

Warum sind die Aussagen Bonars so brisant?

  1. Weil die Zahl der angeblichen Kunden mit 150 außergewöhnlich hoch ist.
  2. Zuletzt standen vor allem Russland, aber auch Kenia im Mittelpunkt der Dopingskandale. Nun scheint ein europäisches Kernland betroffen. Noch dazu das Mutterland vieler Sportarten und die Heimat des Fairplay.
  3. Die großen Erfolge der Briten bei den Olympischen Spielen 2012 in London (Platz drei im Medaillenspiegel) bekommen einen Beigeschmack. Siebenkampf-Olympiasiegerin Jennifer Ennis-Hill: "Der Fall zeigt, dass der britische Sport ein größeres Doping-Problem hat, als sich viele vorgestellt haben."
  4. Die britische Antidoping-Agentur (UKAD) soll die Planung der Tests im flächendeckend vom Doping betroffenen russischen Sport übernehmen. Laut des Berichts soll UKAD Hinweisen auf Bonars Umtriebe nichts nachgegangen sein.

Wie reagiert der Fußball?

Mit der hinlänglich bekannten Empörung. Die drei Premier-League-Klubs wiesen die Vorwürfe zurück. "Die Anschuldigungen sind falsch und entbehren jeder Grundlage", hieß es in einer Mitteilung des FC Chelsea. Der FC Arsenal teilte mit, dass man sich vollständig an die Anti-Doping-Regeln halte. Arsenals Managers Arsene Wenger hatte im November 2015 von verbreitetem Doping im Spitzenfußball gesprochen. Bonar behauptete, dass er mit englischen und auch Spielern aus dem Ausland zu tun gehabt habe. "Auch mit einem ganz Großen, dem habe ich Epo, Testosteron und Wachstumshormone gegeben", sagte der Arzt. "Fußballer werden ja kaum getestet. Ältere Spieler über 30 müssen was machen, die können mit den jungen Spielern um die 18 sonst doch gar nicht mithalten."

Gibt es ähnliche Fälle?

Auffällig ist die Parallele zum Spanier Eufemiano Fuentes, ebenfalls Gynäkologe. 58 Rennfahrer, darunter Jan Ullrich, wurden 2006 von der Tour de France ausgeschlossen, nachdem sie im Zuge der Operacion Puerto (Bergpass) als Kunden des Blutdoping-Spezialisten Fuentes überführt worden waren. Unter Verdacht standen auch Fußballprofis, Tennisspieler und Motorsportler. Doch die Ermittlungen gegen sie versandeten. Ein Informant zieht in dem Beitrag die Parallele zum Fall Lance Armstrong: "Dr. Bonar ist für mich die britische Version von Armstrongs Dopingarzt Doktor Ferrari. Es war Bonar, der mich zu Testosteron und anderen Substanzen brachte. Er fragte mich: Hast du schon mal Epo probiert? Oder Wachstumshormone?"

Inwieweit ist Deutschland betroffen?

Bislang nicht direkt. Namen der von Bonar behandelten Athleten liegen nicht vor. Die Glaubwürdigkeit des gesamten Spitzensports wird aber einmal mehr erschüttert. Sollte sich herausstellen, dass namhafte Radprofis betroffen sind, würde sich der Skandal als Schatten über den Tour-de-France-Start 2017 in Düsseldorf legen. Auch für die derzeit laufende Diskussion um eine Neuaufstellung des deutschen olympischen Sports (Ziel der Politik: ein Drittel mehr Medaillen) würde ein neuer Dopingskandal praktisch vor der Haustür ein Rückschlag sein. Großbritanniens olympische Erfolge bekämen einen Makel.

(RP)
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