141 Jahre alte Rennbahn in Neuss Letzter Aufgalopp

Neuss · Kaum noch Besucher, geringer Umsatz an den Wettschaltern – der Renntag am Freitag in Neuss könnte das Ende der 141 Jahre alten Bahn sein. Bürgermeister Reiner Breuer (SPD) jedenfalls glaubt nicht, dass der Galopprennsport in Neuss eine Zukunft hat.

 Ein Blick auf die Rennbahn in Neuss.

Ein Blick auf die Rennbahn in Neuss.

Foto: Woi

Kaum noch Besucher, geringer Umsatz an den Wettschaltern — der Renntag am Freitag in Neuss könnte das Ende der 141 Jahre alten Bahn sein. Bürgermeister Reiner Breuer (SPD) jedenfalls glaubt nicht, dass der Galopprennsport in Neuss eine Zukunft hat.

Wenn am Freitag nach dem achten Rennen gegen 21.45 Uhr das Flutlicht auf der Neusser Galopprennbahn abgeschaltet wird, hat das durchaus symbolischen Charakter. Denn 141 Jahre, nachdem auf der Schützenwiese in Sichtweite des Quirinus-Münsters erstmals um Sieg und Platz galoppiert wurde, drohen die Lichter auszugehen. Ob im Oktober, zur neuen Wintersaison, der Rennbetrieb noch einmal aufgenommen wird, weiß zur Zeit keiner. Bürgermeister Reiner Breuer (SPD) bezweifelt das. Er könne sich "nur schwer vorstellen, dass Neuss eine große Zukunft im Galopprennsport hat", sagte er im Interview mit unserer Redaktion.

Das sah 1996 noch ganz anders aus. Mit dem Bau einer Allwetter-Sandbahn und einer Flutlichtanlage, die Rennen auch am Abend und im Winter möglich machte und zusammen mit der vorhandenen Grasbahn eine in Europa damals einmalige Kombination darstellte, wollte sich die flächenmäßig kleinste deutsche Rennbahn (17 Hektar) für diese Zukunft rüsten.

Die Idee hatte Winfried Engelbrecht-Bresges. Der ehemalige Regionalliga-Fußballer, durch Einheirat ins renommierte Gestüt Zoppenbroich erst mit Vierbeinern in Kontakt gekommen, war damals Präsident des Neusser Reiter- und Rennvereins, später Chefmanager des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen, das von Köln aus den Rennbetrieb hierzulande organisiert.

Fit für die Zukunft machte sich der heute 61-Jährige damit vor allem selbst. Headhunter holten ihn 1998 ins Zockerparadies Hongkong, wo an einem Tag mehr Wettumsatz bei Pferderennen erzielt wird als in seiner Heimat im ganzen Jahr. Sein Jahressalär als Renndirektor des berühmten Jockey-Clubs liegt deutlich über dem, was in Neuss an den neun Renntagen zwischen Oktober und März an den Wettschaltern umgesetzt wird - der "Rekord" in diesem Winter lag bei 65.900 Euro, davon 17.622 Euro direkt auf der Bahn.

Mit dem Abgang von "EB" begann der schleichende Niedergang der Bahn am Neusser Hessentor, die einst auch als Trainingszentrale mit den Derbysiegern Herero (1962), Tarim (1972) und Nicaron (2005) populär wurde. Je mehr sich das Geschehen auf die Sandbahn und damit in den Winter verlagerte, desto geringer wurde das Interesse - zumindest bei den Besuchern. Drei Grad und Nieselregen sind halt nicht die besten Voraussetzungen für einen lauschigen Abend beim Pferderennen. Die Situation verschärfte sich 2009. Die in die Jahre gekommene Tribüne und das legendäre Rennbahn-Restaurant wurden abgerissen und durch einen zwar formschönen, aber höchst unpraktischen Bau ersetzt, der Zuschauern nicht einmal Wetterschutz und keine Außengastronomie bietet.

Das Dilemma: Jockeys, Trainer und Besitzer befürworten und benötigen diese Winterrennen, weil es für Zwei- und Vierbeiner sonst ein halbes Jahr kaum Beschäftigungsmöglichkeiten gibt - in Deutschland kann nur noch in Dortmund auf Sand und unter Flutlicht galoppiert werden. Weil aber Besucher und damit Wetter wegbleiben, hängen diese Rennen am finanziellen Tropf des französischen Wettgiganten PMU, der die deutschen Rennen live in seine Wettbüros überträgt und damit Millionenumsätze macht.

Deshalb bestimmt er auch die Termine und Startzeiten - was zu wenig publikumsträchtigen Renntagen donnerstags oder samstags ab 18 Uhr führt. Der in Neuss überaus beliebte Silvesterrenntag hingegen passt nicht ins Konzept - und wurde aus dem Programm gestrichen. Was Reiner Breuer zu der Schlussfolgerung bringt: "Die Veranstaltungen haben kaum noch mit Neuss zu tun, weshalb man auch kaum noch Neusser auf der Bahn trifft."

Der Bürgermeister möchte deshalb aus dem innenstadtnahen Gelände einen "multifunktionalen Sportpark" machen und sieht sich dabei im Konsens mit den anderen Ratsfraktionen. Die nehmen dem Reiter- und Rennverein übel, dass er seinen Pachtverpflichtungen in Höhe von 100.000 Euro jährlich nicht mehr nachkommt. Das, sagt dessen Präsident Jan A. Vogel, wie sein Vorgänger inzwischen Chefmanager des deutschen Galopprennsports, könne er nicht, weil die Einnahmen fehlen - aus den Rennen, aber auch die aus anderen Veranstaltungen wie Trödelmärkten oder dem Freiluft-Ableger der weltgrößten Pferde-Fachmesse "Equitana Open Air", deren Mieten inzwischen unter Umgehung des Vereins direkt an die städtische Marketingtochter gehen.

Breuer sieht den Rennverein in der Bringschuld. Sollte dann im multifunktionalen Konzept "noch Platz für ein paar Galopprennen sein, ist das gut - wenn nicht, ist das kein so großer Verlust für diese Stadt", sagt der Bürgermeister. Sein Vorgänger Herbert Napp (CDU) macht sich hingegen für einen Fortbestand der Bahn stark - doch es hat den Anschein, als stünde er ziemlich allein. Ob sein Einfluss ausreicht, damit heute nicht endgültig die (Flut-)Lichter ausgehen, ist die entscheidende Frage.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort