Spektakuläres Finale der Darts-WM Anderson besiegt die Schwerkraft und übersteht Kraul-Attacke

London · Es gibt Menschen, die mit Wut im Bauch zur Höchstform auflaufen. Gary Anderson scheint so ein Mensch zu sein. Im Finale der Darts-WM gegen Rekordweltmeister Phil Taylor muss der Schotte gleich mehrere Kontroversen überstehen – und kommt jedes Mal auf beeindruckende Weise zurück.

Darts-WM: Gary Anderson triumphiert gegen Phil Taylor
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Gary Anderson triumphiert im "Ally Pally"

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Es gibt Menschen, die mit Wut im Bauch zur Höchstform auflaufen. Gary Anderson scheint so ein Mensch zu sein. Im Finale der Darts-WM gegen Rekordweltmeister Phil Taylor muss der Schotte gleich mehrere Kontroversen überstehen — und kommt jedes Mal auf beeindruckende Weise zurück.

Es ist die Szene im neunten Satz, die ein spannendes in ein dramatisches Finale verwandelt. Es steht 4:4 in den Sätzen, das Spiel steht auf Messers Schneide. Anderson darf das erste Leg beginnen. Drei dieser Legs braucht man, um einen Satz zu gewinnen. Wiederum sieben Sätze reichen im Finale zum Sieg. Die ersten beiden Darts des 44-Jährigen finden ihr Ziel, landen in der Triple 20, dem punktstärksten Feld auf einem Dartboard. Auch der dritte Pfeil fliegt in das kleine, rote Feld in der oberen Hälfte der Scheibe. Doch der Jubel der Zuschauer wird im Keim erstickt. Denn durch den Einschlag des letzten fallen alle drei Darts wieder aus dem Board. "No score", sagt der Caller. Keine Punkte.

"Das war wahrscheinlich eine der besten 180er, die ich je geworfen habe. Alle Pfeile landeten an einer Stelle in der Größe eines Nagelkopfes", wird Anderson später grinsend sagen. Taylor hat auf das Pech seines Gegners die passende wie eiskalte Antwort: Er wirft seinerseits ein Maximum. "Onehundredandeiiiiiiigthyyyyyyy!!!!"

Anderson verliert das Leg. Auch das nächste geht an Taylor, der seinem 17. WM-Titel in der Professional Darts Corporation (PDC) nach einem Fehlstart nun immer näher kommt. Nach einem 1:3-Rückstand ist der Rekordchampion zurückgekommen und scheint immer mehr die Kontrolle zu übernehmen. Anderson fühlt sich bei dem Versuch, das Leg auszuchecken, von einem Pfiff aus den Zuschauerrängen gestört. Der Caller muss eingreifen, Anderson ist sichtbar angegriffen. Doch dann dreht der Schotte auf, holt sich die Legs drei, vier und fünf und damit den Satz. Auch der nächste Satz geht an Anderson, ehe Taylor — auch das passt zu dieser Achterbahnfahrt im Londoner Alexandra Palace — noch einmal zum 6:6 augleichen kann.

Gary Anderson – Schotte, Kaffeetrinker, Darts-Weltmeister
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Das ist Gary Anderson

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Im letzten und entscheidenden Satz beweist Anderson dann wieder Nervenstärke und holt sich den Titel durch ein 3:0. "Als Phil zum 6:6 ausglich, war ich mir sicher, dass Spiel sei verloren. Er war schon 16 Mal Weltmeister, er weiß, wie man in so einer Situation gewinnt", sagt Anderson nach dem Spiel. "Aber ich bin im letzten Satz gut aus den Startlöchern gekommen und habe mir das Ding geholt."

Anderson galt unter den Darts-Fans lange als "Bottler", als jemand, dem im entscheidenden Moment die Nerven versagen. Doch an diesem Abend ist es Taylor, der eine erschreckende Schwäche auf die Doppel zeigt, immer wieder gleich drei Versuche in Serie danebensetzt. "Die verpassten Versuche auch Doppel 16 und Doppel 8 haben mich das Match gekostet. Auf diese beiden Doppel war ich heute grauenhaft", sagt Taylor.

Dabei hat der beste Darter aller Zeiten auch in diesem Finale nichts unversucht gelassen. Einmal verpasst er erst mit dem letzten Dart einen Neun-Darter, ein anderes Mal holt er ein paar Psychotricks aus der Kiste. Nach dem 1:1-Ausgleich in den Sätzen krault er seinem Gegner wie einem Haustier das Kinn. Das ist dieser Moment, als Anderson zum ersten Mal Wut im Bauch hat — und sich kurzerhand eine 3:1-Führung erspielt.

This was Taylor tickling Anderson's chin after levelling at one set each. Phil not so happy now though. pic.twitter.com/qKdn42gC9n

"Es wird eine Weile dauern, bis ich das begriffen habe", erklärt Anderson bei der Pressekonferenz. Mit beiden Händen hält er sich an einem Pappbecher mit Kaffee fest, ohne den bei "Ando" gar nichts geht. Bis zu 20 Tassen Kaffee trinkt er am Tag, glaubt man der Legende. Durch den WM-Titel, es ist der erste eines Schotten in der PDC ("It's great to be Scottish, isn't it?" - Anderson), krönt der Vater von drei Söhnen, der mittlerweile in Sommerset/England lebt, ein beeindruckendes Jahr. Von Platz 18 bis auf Platz vier hat sich Anderson 2014 durch insgesamt acht Turniersiege verbessert. Nach der WM steht er auf Platz drei.

2010/11 hatte Anderson schon einmal im Finale gestanden, das er mit 5:7 gegen Adrian Lewis verlor. Danach musste der "Flying Scotsman" mehrere Schicksalsschläge verkraften. 2011 starb sein Bruder im Alter von 35 Jahren nach einem Herzinfarkt, ein halbes Jahr später verlor er auch seinen Vater. "Ich hatte familiäre Probleme und wollte einfach nicht auf dem Oche stehen", erinnert sich Anderson an die Jahre 2012 und 2013, in denen er weit unter seinem Niveau spielte. "Oche", so nennen die Briten die Bühne, auf der die Profis ihre Pfeile Richtung Dartsscheibe werfen.

Congrats Gary Anderson ! Great final ! #lovethedarts #180 #power

Die Lust hat er mittlerweile wieder. Und auch die nötigen Fertigkeiten mit den Pfeilen aus Wolfram. Bei der WM besiegte Anderson hintereinander die Nummer fünf (Peter Wright), die Nummer eins (Michael van Gerwen) und die Nummer zwei der Welt (Taylor). Ein einfacher Weg zum Titel sieht anders aus. "Jeder Hund hat seinen Tag. Heute war mein Tag", sagte Anderson nach seinem größten Triumph. Es war nicht nur sein Tag, sondern seine Weltmeisterschaft.

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