Bundestrainer der behinderten Leichtathleten Suspekte Athleten, unmögliche Wettbewerbe: Gernemann kritisiert Katar

Katar · Suspekte Athleten, skurrile Zuschauerzahlen und unmögliche Wettbewerbe in der Morgenhitze: Willi Gernemann, Leichtathletik-Bundestrainer des Deutschen Behindertensportverbandes, hat in mancherlei Hinsicht Kritik an der WM in Katar geäußert.

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Foto: dpa, rp cs hak hpl

Die Zusammenlegung von Klassen sei eben "die Spezifik des Behindertensports und der Leichtathletik", sagte Gernemann im Interview: "Aber das Ganze muss noch strikter sein, die Regeln müssen klarer und transparenter sein. In einigen Klassen haben wir Fälle gesehen, die vom Laufbild und Gestik suspekt waren." Sprich: Es gibt Zweifel am Fakt oder dem zugesprochenen Grad der Behinderung.

Dass auf den Tribünen in Doha kaum Zuschauer saßen, obwohl die WM inzwischen international Beachtung findet, empfand Gernemann als "ein bisschen skurril. Aber das kennt man von Katar. Bei der Handball-WM war das Interesse auch nicht besonders". Die Bedingungen und die Organisation am vielfach kritisierten Emirat seien "insgesamt gut", Morgen-Wettbewerbe bei 38 Grad seien aber "nicht nötig gewesen. Man hätte lieber einen Tag länger machen sollen", so Gernemann.

Mit dem Abschneiden seines Teams war Gernemann zufrieden, allerdings schlug er mit Blick auf die Zukunft nach den Paralympics 2016 Alarm und attackierte einige Landesverbände heftig. "Es gibt viele Landesverbände, die einfach tot sind. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Hamburg, Bremen, in diesen Verbänden tut sich gar nichts", sagte der 60-Jährige: "Dabei ist die statistische Verteilung an talentierten Behinderten überall gleich."

Die Ausbeute seines Teams bei der am Samstag endenden WM stufte Gernemann als zufriedenstellend ein. "Mit sieben Goldmedaillen und den bereits erreichten Startplätzen für Rio bin ich angesichts des Ausfalls der drei Spitzen-Athleten Birgit Kober, Mathias Mester und Heinrich Popow zufrieden", erklärte er: "Wir haben hier eine Explosion des internationalen Leistungsniveaus gesehen. Da sind wir dabei, aber wir können mehr und haben noch viel zu tun."

Immerhin stellte sein Team in Weitsprung-Weltrekordler Markus Rehm (8,40 m) den Star der Spiele. Die Hoffnung auf einen Olympia-Start Rehms im Weitsprung hat Gernemann aber aufgegeben. "Ich glaube, die Sache ist gegessen", sagte er: "Aber Markus nimmt das sehr sportlich. Der ein oder andere würde den Weg zum Gericht suchen."

Gegen eine getrennte und sogar eine gemeinsame Wertung spräche nach Ansicht Gernemanns, der einst auch den namibischen Sprintstar Frankie Fredericks trainierte, eigentlich nichts. "Ich sehe den angeblichen Vorteil nicht", erklärte er: "Das Wichtigste im Anlauf ist der Weitsprung, und da ist er durch die fehlende Wadenmuskulatur benachteiligt. Und er springt über einen Meter weiter als Athleten, die schneller sind und dieselbe Prothese tragen. Das zeigt seine Leistung."

Deshalb sei Rehm auch der Star der Leichtathletik-WM der Behindertensportler in Katar gewesen. "Er ist ein toller Sportler, der auf den Punkt Leistung bringen kann", sagte Gernemann: "Aber auch ein toller Typ, der sich gut verkauft."

Als weitere positive Überraschungen nannte Gernemann, der seit 2008 Bundestrainer ist, 400-m-Weltmeister David Behre und Kugel-Champion Sebastian Dietz. Enttäuschungen habe es auch gegeben, doch die nannte Gernemann nicht: "Die betreffenden Sportler wissen, wer gemeint ist."

(sid)
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